Название: Seine Exzellenz Eugene Rougon
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Rougon-Macquart
isbn: 9783754188460
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»Meiner Ansicht nach«, fuhr Rougon fort, »schadet es ihm, daß er so geistreich ist. Ich habe eine andere Vorstellung von Kraft. Ich habe ihn unter sehr ernsten Umständen mit Wortspielen witzeln hören. Immerhin, er hat es zu etwas gebracht, er regiert nicht weniger als der Kaiser. All diese Bastarde haben Glück! – Das Persönlichste an ihm ist sein schneidiges Vorgehen, eine eiserne Hand, kühn, entschlossen, sehr zart und dennoch sehr schlagfertig.«
Unwillkürlich hatte das junge Mädchen den Blick auf die groben Hände Rougons gesenkt. Er merkte es und sagte lächelnd: »Oh, ich habe Pranken, nicht wahr? Deshalb haben Marsy und ich einander nie verstanden. Er säbelt die Leute elegant nieder, ohne seine weißen Handschuhe zu beflecken. Ich – erschlage sie.«
Er hatte die Fäuste geballt, fleischige Fäuste mit behaarten Fingergliedern, und er schüttelte sie, froh über ihre ungeheure Größe.
Clorinde griff nach dem zweiten Butterbrot, in das sie, immer noch verträumt, die Zähne grub. Endlich hob sie die Augen zu Rougon auf.
»Nun, und Sie?« fragte sie.
»Meine Geschichte wollen Sie wissen?« sagte er. »Nichts ist leichter erzählt. Mein Großvater verkaufte Gemüse, ich selber habe bis zu meinem achtunddreißigsten Jahr als kleiner Advokat meine abgetragenen Schuhe durch meine heimatliche Kleinstadt geschleift. Gestern war ich noch ein Unbekannter. Ich habe nicht, wie unser Freund Kahn, meine Schultern damit abgenützt, sämtliche Regierungen zu stützen. Ich bin nicht, wie Béjuin, aus der Ecole polytechnique hervorgegangen. Ich laufe weder mit dem schönen Namen des kleinen Escorailles noch mit der schönen Gestalt dieses armen Combelot herum. Ich habe keine so angesehenen Verwandten wie La Rouquette, der seinen Abgeordnetensitz seiner Schwester verdankt, der Witwe des Generals de Llorentz, die heute Palastdame ist. Mein Vater hat mir nicht, wie es Delestang geschah, ein im Weinhandel erworbenes Vermögen von fünf Millionen hinterlassen. Ich bin nicht, wie der Graf de Marsy, auf den Stufen eines Throns geboren und bin nicht, am Rock einer gelehrten Frau hängend, unter den Liebkosungen Talleyrands33 aufgewachsen. Nein, ich bin ein neuer Mann, ich habe nichts als meine Fäuste ...«
Und laut lachend schlug er, die Sache ins Scherzhafte ziehend, seine Fäuste aneinander. Aber er hatte sich hoch aufgerichtet, er schien zwischen seinen geschlossenen Fingern Steine zu zermalmen. Clorinde bewunderte ihn.
»Ich war nichts; jetzt werde ich sein, was mir gefällt«, fuhr er fort, alles um sich her vergessend, nur für sich selber redend. »Ich bin eine Macht. Und ich kann nur die Schultern zucken über die andern, wenn sie sich auf ihre Ergebenheit für das Kaiserreich berufen! Lieben sie es etwa? Haben sie es im Gefühl? Würden sie sich nicht allen Regierungsformen anpassen? Ich bin mit dem Kaiserreich groß geworden; ich habe es geschaffen, und es hat mich geschaffen ... Ich wurde nach dem 10. Dezember34 zum Ritter der Ehrenlegion ernannt, zum Offizier im Januar 1852, zum Kommandeur am 15. August 1854, zum Großoffizier vor drei Monaten. Unter der Präsidentschaft war ich für kurze Zeit Minister für öffentliche Arbeiten; später hat mich der Kaiser mit einer Mission in England beauftragt; dann bin ich in den Staatsrat eingezogen und in den Senat ...«
»Und wo werden Sie morgen einziehen?« fragte Clorinde mit einem Lachen, hinter dem sie ihre brennende Neugier zu verbergen trachtete.
Er sah sie an, brach jäh ab.
»Sie sind recht neugierig, Fräulein Machiavelli«, sagte er. Da baumelte sie noch heftiger mit den Beinen. Eine Pause entstand. Als Rougon sie abermals in tiefe Träumerei versunken sah, hielt er den Augenblick für günstig, um etwas aus ihr herauszulocken.
»Die Frauen ...«, begann er.
Doch sie unterbrach ihn; mit verschleiertem Blick, leicht ihren Gedanken zulächelnd, sprach sie halblaut: »Oh, die Frauen haben anderes.«
Das war ihr einziges Geständnis. Sie aß ihr Butterbrot auf, leerte in einem Zuge das Glas klaren Wassers und stand mit einem Sprung, der von ihrer Reitergeschicklichkeit zeugte, auf dem Tisch.
»Also Luigi!« rief sie.
Der Maler hatte sich, vor Ungeduld auf seinem Schnurrbart kauend, seit einem Weilchen erhoben und war um sie und Rougon herumgetrappelt. Mit einem Seufzer setzte er sich wieder, griff nach seiner Palette. Aus den drei Minuten Gnadenfrist, die Clorinde erbeten hatte, war eine Viertelstunde geworden. Jetzt aber stand sie, immer noch in das Stück schwarze Spitze gehüllt, auf dem Tisch. Als sie dann wieder in ihre Stellung zurückgefunden hatte, entblößte sie sich mit einer einzigen Bewegung. Sie wurde wieder zum Marmorbild, sie empfand keine Scham mehr.
In den ChampsElysées rollten die Wagen spärlicher. Die sinkende Sonne füllte die Avenue mit einem Geflimmer, das die Bäume bestäubte, als hätten die Räder diese Wolke rotgelben Lichts aufgewirbelt. In dem durch die hohen Fenster fallenden Tagesschein wurden Clorindes Schultern von goldenen Reflexen überspielt. Und allmählich verblich der Himmel.
»Ist die Heirat des Herrn de Marsy mit jener walachischen Fürstin noch immer beschlossen?« fragte sie nach einer kleinen Weile.
»Ich denke doch«, antwortete Rougon. »Sie ist ungeheuer reich. Marsy fehlt es stets an Geld. Übrigens erzählt man, er sei in sie vernarrt.«
Die Stille wurde nicht mehr gestört. Rougon blieb, fühlte sich wie zu Hause, dachte nicht mehr daran, fortzugehen. Er überlegte, nahm sein Umherwandern wieder auf. Diese Clorinde war wirklich ein sehr verführerisches Mädchen. Er dachte so an sie, als habe er sie schon seit langem verlassen; und die Augen aufs Parkett geheftet, versank er in undeutliche Gedanken, sehr angenehme Gedanken, deren inneres Prickeln ihm Genuß bereitete. Es kam ihm vor, als entsteige er mit einer köstlichen Mattigkeit der Glieder einem lauen Bad. Ein eigentümlicher Duft von fast zuckriger Strenge drang auf ihn ein. Er hätte sich gern auf eines der Kanapees gelegt, um dort in diesem Duft einzuschlafen.
Er wurde jäh durch den Laut von Stimmen aufgeschreckt. Ein hochgewachsener Greis, den er nicht hatte eintreten sehen, küßte Clorinde, die sich lächelnd über den Rand des Tisches hinabbeugte, auf die Stirn.
»Guten Tag, meine Kleine«, sagte er. »Wie schön du bist! Du zeigst wohl alles, was du hast?«
Er grinste ein wenig, und als Clorinde verwirrt ihr Stück schwarze Spitze aufraffte, meinte er lebhaft: »Nein, nein, es ist sehr hübsch so, du kannst alles sehen lassen, glaub's nur! – Ach, mein armes Kind, ich habe ganz andere gesehen!«
Dann wandte er sich zu Rougon um, den er mit »lieber Kollege« ansprach, drückte ihm die Hand und fügte hinzu: »Ein wildes Mädelchen, das sich, als sie noch klein war, mehr als einmal auf meinen Knien vergessen hat! Jetzt hat sie einen Busen, der einen geradezu blendet!«
Es war der alte Herr de Plouguern. Er zählte siebzig Jahre. Unter LouisPhilippe vom Departement Finistère in die Kammer entsandt, gehörte er zu den legitimistischen Abgeordneten, welche die Wallfahrt zum Belgrave Square35 machten; und anschließend an die entehrende Abstimmung, von der seine Gefährten und er überrascht wurden, reichte er seinen Rücktritt ein. Später, nach den Februartagen, bekundete er seine plötzliche Liebe zur Republik, der er auf den Bänken der Verfassunggebenden Versammlung kräftig Beifall zollte. Jetzt war er, seit ihm der Kaiser im Senat eine wohlverdiente Zuflucht gesichert hatte, Bonapartist. Nur verstand er sich darauf, es als Edelmann zu sein. Seine große Unterwürfigkeit gestattete sich zuweilen den Reiz eines Anflugs von Opposition. Undankbarkeit ergötzte ihn. Skeptiker bis ins Mark, verteidigte er dennoch Religion und Familie. Er glaubte, das seinem Namen, einem der glänzendsten der Bretagne, schuldig zu sein. An manchen Tagen fand er das Kaiserreich unmoralisch und sprach das ganz laut aus. Er selber hatte sehr ausschweifend, sehr erfinderisch und die Genüsse verfeinernd, ein Leben voll СКАЧАТЬ