Название: 3000 Plattenkritiken
Автор: Matthias Wagner
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783741869433
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Jeff Buckley
„Mystery white Boy” (2000)
Die Legendenstrickmaschine surrt und surrt. Klar: Jeff Buckley war Sohn eines früh verstorbenen Genies und starb selber früh, ertrank 1997 im Wolf River, einem Zufluss des Mississippi, in Memphis, Tennessee. Die Legendenstrickmaschine webt deshalb Albumtitel wie „Mystery white Boy“, sie schickt sogar seine Mutter auf Interviewtour, und sie verlängert unablässig das schmale Œuvre, was am besten mit Livealben wie diesem geht. Es versammelt sperrige Auftritte aus zwei Jahren (1995/96) und auf drei Kontinenten. Kraftvolle und – bei aller Dynamik – beängstigend intime Songs eines Hochbegabten, dem nur der exzessive Vortrag geeignet zu sein schien, um dem Brodeln der Gefühle gerecht zu werden. Nichts gegen diese Musik, nur etwas gegen die Stilisierung, gegen das Surren der Legendenstrickmaschine, die nicht mal vor Platzierungsplattheiten zurückschreckt: Das letzte Stück ist „Hallelujah/It’s all over“. Eine Dramaturgie à la Hollywoodtrash.
Jimmi’s Chicken Shack
„Bring your own Stereo” (2000)
Für einen Sänger, Songschreiber und Gitarristen, der sich Jimi Haha nennt, ist es kaum eine Beleidigung, wenn man ihn und seine Band schizophren nennt. Im Gegenteil, das freut den Mann. „Das Album IST schizophren“, begeistert er sich, „wie unsere Geschmäcker.“ Aus Maryland kommt die mit zwei Gitarren, Bass und Drums klassisch besetzte Combo; in diesem ländlichen Ambiente bleibt einem anscheinend kaum etwas anderes übrig, als schwammartig ferne Einflüsse aufzusaugen, ob es nun um Rap, Ska, Gitarrenpop oder Hardrock geht. Jimmie’s Chicken Shack sind ein guter Schwamm, und sie verstehen es, alles leicht verändert und eingefärbt wieder auszuwringen. Das sprudelt und spritzt dann ziemlich, wie das halt so ist bei Newcomern, bei denen der Enthusiasmus noch nicht der Saturiertheit wich. Stärkste Momente: die Kämpfe zwischen Gitarren und Streichern auf „Fill in the Blank“.
Jimmie Dale Gilmore
„One endless Night” (2000)
Von hinten sieht er aus wie Laetitia Casta, von vorn wie ein Hippiebruder von Iggy Pop. Seine Musik erinnert allerdings stark an Willie Nelson. Als der neue Nelson wird der (gleichfalls schon grauhaarige) Gilmore gerade auch gefeiert, und legte er nicht bisweilen eine Spur zu viel Tremolo in seinen Gesang, die Mimikry gelänge noch besser. Vor allem seinen eigenen Stücken merkt man an, wie er sich bemüht, den Standard der Coverversionen zu erreichen. Die sind nämlich die Stärken seiner Platte, ob er sich nun Townes Van Zandt, John Hiatt oder Jerry Garcia vornimmt. Und Brecht/Weills „Mackie Messer“ gewinnt er somnambule, beinah gespenstische Stimmungen ab – trotz Steelgitarre und B3-Orgel.
Joan Osborne
„Righteous Love” (2000)
Die Osborne ist nicht von dieser Welt. Sonst käme sie nicht auf die schnurrige Idee, Songs im Stil von Howlin’ Wolf schreiben zu wollen – jetzt, im Jahr 2000. Tut sie aber. Und mit dem Titelstück ihres neuen Albums gelingt ihr etwas, was eigentlich nicht mal mehr einen Versuch wert schien: eine üppige Bluesgroßballade hinzulegen, die ganz und gar von dieser Welt ist. Joan Osborne, die es schaffte, nach einem Platinalbum („Relish“, 1997) lange ohne Plattenvertrag dazustehen, präsentiert nun mit „Righteous Love“ einen ungemein kraftvollen Nachfolger, dessen Bluesbasis von Funkgitarren, melancholischen Streichern und Beatboxsplittern zeitgemäß verjüngt wird. Überragendse Stück ist das asiatisch angehauchte „If I was your Man“: ein verquerer Ohrwurm mit mäandernder Melodie. Welcome back, Lady!
Joe Jackson
„Night and Day II” (2000)
Diese perlende, bisweilen überschäumende und New York gewidmete kleine Großstadtsinfonie klingt besonders gut am frühen Abend, wenn im Westen der Himmel noch hell ist, aber das Neon schon glüht. Das Album, geprägt von Joe Jacksons kraftvollem Tastenspiel und dem Ethel-Streichquartett, hat Gershwin viel zu danken, es nickt dem Soul freundlich zu und zitiert spielerisch die Popgeschichte. Der Brite, 1979 als Wavepopper gestartet, formte ein Handicap zur Tugend: „Ich fühle mich nicht eigenständig genug, um einen definitiven Stil zu haben“, gestand er schon damals, „deshalb benutze ich verschiedene, so wie ich verschiedene Kleidungsstücke trage.“ Jackson ist in der Lage, das Eklektische formvollendet in ein Konzept zu gießen, das schließlich zu nichts anderem wird als – Stil. Seine Sicht des urbanen Völkchens ist dabei eher von Hommage geprägt als von der Kritik am Moloch der Moderne, und das klingt so intellektuell wie eingängig. Auch das etwas, das nur ein Stilmixer wie Jackson hin bekommt.
John Campbelljohn
„Nerves of Steel” (2000)
Die Spezies der Slidegitarristen gehört inzwischen zu den bedrohten Arten. John Campbelljohn aus Kanada blickt dieser Gefahr allerdings keineswegs bang ins Auge. Sein Bluesstil ist gelassen bis cool. Der Mann ist kein Poser, sondern schlicht mit seiner Slide verwachsen. Sich die Finger abzuspielen, käme JC nicht in den Sinn. Den eirigen Ton seines Instruments setzt er sparsam, fast schüchtern ein. Bei ihm kommt die Kraft aus dem Off, und die luftige Kargheit des restlichen Line-ups (Bass, Drums) erlaubt der Slide dennoch, ihren Platz auf dem Thron dieses Sounds zu behaupten. Klassischer, gar humorvoller Elektroblues – und ein 1a-Argument für den Artenschutz.
John Prine
„Souvenirs” (2000)
Normalerweise kommt der Manager des Musikzombies erst kurz vorm Exitus des Schützlings auf die verzweifelte Idee, den abgetakelten Exstar die alten Sachen noch mal aufnehmen zu lassen. Ein Indiz fürs nahe Ende. Außer bei John Prine, wie man nach dem Hören von „Souvenirs“ sofort zugeben muss. 15 seiner Klassiker (darunter „Angel from Montgomery“ oder die bedrückende Drogenelegie „Sam Stone) hat er neu eingespielt, meist zur akustischen Gitarre, manchmal mit karger Countryband. Mit überwältigendem Ergebnis: Nur ganz wenige Countryalben haben diese Intensität, diese Intimität. Prines Gesang ist leicht verschlurft, er visiert die Melodien nur an, ohne sie auf die „schöne“ Nashville-Art zu treffen, und der sanfte Anflug eines Kojotenjaulens in mancher Phrasierung lässt uns frohgemut seinem Alterswerk entgegenschauen. Alle Versionen auf diesem Album übertreffen die Originale bei weitem. Sie gewinnen in ihrer Kargheit jene Kraft zurück, die ihnen die (Über-)Produktion einst entzogen hatte. So was ist selten, aber wahr.
John Williams
„The Patriot” (2000)
Williams ist zurück aus der Zukunft, zurück aus dem Weltraum. Sein sinfonischer Blick in die US-amerikanische Geschichte für Emmerichs Kolonialkriegsepos „Der Patriot“ meidet jedoch nur phasenweise jenes 100-Millionen-Dollar-Pathos, für das Williams berühmt-berüchtigt ist. Und seine Stilmittel sind absehbar. Ratet mal, ob er die Idee hatte, Marschtrommeln im Titelstück zu verwenden? Hatte СКАЧАТЬ