3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner
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Название: 3000 Plattenkritiken

Автор: Matthias Wagner

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия:

isbn: 9783741869433

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      Helicopter Girl

      „How to steal the World” (2000)

      Auf dem Cover faucht Helicopter Girl im Tigerkleid unsichtbare Gegner an, und wir denken sofort an ein Riot-Grrrl, das der Welt zeigen will, wie eine Bitch gestrickt ist – oder an den Seitensprung eines Mädchens aus einer Mädchenband. Alles falsch. Die Schottin Jackie Joyce beginnt ihr Debütalbum mit einer Lo-Fi-Akustikballade, zu der sie singt wie eine britische Stina Nordenstam. Dann wechselt sie zu funkigem Pop, dem Bass, Orgel und manchmal Soundtrackstreicher eine bedrohliche Basis geben, und dem Rhythmus bleibt sie hörig für den Rest des Albums. Dunkler Sound, helle Stimme: Von diesem Kontrast lebt „How to steal the World“, und das sehr gut. Ein außergewöhnliches Album. Und manchmal, wenn sie einen Vokal kehlig verebben lässt, klingt sie doch richtig bitchy.

      HIM

      „Razorblade Romance” (2000)

      Keiner, der Roland Emmerichs „13th Floor“ sah, wird das tröpfelnde Pianothema des HIM-Songs „Join me“ vergessen haben. Auf ihrem zweiten Album ist der gotische Rock der Finnen nicht immer so stark wie auf der bezwingend düsteren Single, doch wie energetisch sie ihre oft euphorisierenden Refrains ansteuern, hebt sie weit über den Genreschnitt. Um so erstaunlicher angesichts der drohenden Bandauflösung während der Deutschland-Tour 1999, als kurzfristig zwei Musiker ersetzt werden mussten. Zum Glück nicht der Songwriter, Sänger und Bandbeau Ville Valo. Ohne den geht nämlich nichts bei HIM; vielleicht wird er mal ein ganz Großer des europäischen Rocks.

      Honky Tonk Heroes

      „Honky Tonk Heroes” (2000)

      Die Travelling Wilburys haben jetzt ihr Pendant im Country. Vier Elder Statesmen des Genres tun sich zusammen: Kris Kristofferson, Willie Nelson, Waylon Jennings und Billy Joe Shaver. Letzterer war 1989 im Studio, als im Wochenabstand erst Nelson und dann Jennings vorbeischauten; wie und warum Kristofferson noch dazu stieß, verheimlicht das Booklet. Wie üblich bei solchen Treffen von Halb- und Volllegenden führt der Respekt voreinander zu rührenden (leider auch etwas sentimentalen) Momenten, doch richtig Schmackes will sich nicht einstellen. Immerhin werden mit diesem Album vier Fangemeinden zusammengeführt, die schon lange gemeinsame Schnittmengen hatten.

      Irmin Schmidt

      „Gormenghast” (2000)

      Vom Aufstieg eines Küchenjungen zum Schlossherrscher sowie dem unvermeidlichen Fall erzählt der Ex-Can-Keyboarder in seiner dreiaktigen Fantasyoper. Sie verbindet großes Musiktheater mit techonophiler Rhythmik zum neogotischen Drama, und wenn man Schmidts Soundtracks kennt, ahnt man, dass es ihn dort schon immer hinzog. „Gormenghast“ ist ein Werk zwischen den Welten, das es wenigstens schafft, nicht am üblichen Problem zu scheitern – nämlich den kleinen Pop so pausbäckig großzublasen, bis er zu Miniklassik wird. Chöre und Beats vertragen sich hier zwar nicht sonderlich, stören sich aber auch nicht weiter. Störender schon eher, dass diesem Extrakt der Wuppertaler Uraufführung beim Exzerpieren die innere Spannung abhanden kam – wie einem geschnittenen Horrorfilm auf RTL II.

      J Mascis + The Fog

      „More Light” (2000)

      Irgendwie hatte ich J Mascis als Schlaffi abgestempelt, als Herumhänger in Flanell. Nicht, dass er den bei Dinosaur Jr gepflegten unverkennbar brüchigen Gesang nun abgelegt hätte; doch auf seinem ersten Soloalbum – es ist wirklich eins, Mascis spielt alles selbst – klingt er viel straffer als zuletzt mit seiner ruhmreichen Band. Aus dem Lo-Fi-Rock von früher wurde zwar noch immer kein radiokompatibler Sound, doch manch vollfettes Arrangement (Piano! Orgel!) und mantraartige Hymnen wie „Waistin“ sagen deutlich: Hey, ich will jetzt in Clubs spielen, in die ein bisschen mehr als nur hundert Leute passen. Der Noise nimmt zu im Lauf der Platte, bis er explodiert in euphorischem, naivem Spacerock. Und auch den spielt kein Schlaffi.

      Jay-Jay Johanson

      „Poison” (2000)

      Immer, wenn er ein Album vorlegt, frühlingt es gerade. Aber Jay-Jay macht auf melancholisch. Der Schwede verdunkelt uns die lichte Saison mit seinem wehmütigen Gesang, der weder zu ihm noch zu seinen tragischen Breakbeats zu passen scheint – und sich doch zusammenfügt zur großartigsten Novembermusik, die man im Mai bekommen kann. 1984 sah er Chet Baker, hörte ihn singen, und danach wusste der dürre Provinzhecht, wie auch er singen wollte. Und er singt bis heute so, genau wie Chet: hoch und dünn, rein wie ein Engel. Von Liebe und Sehnsucht, dem Verlust der Liebe und der Wiederkehr der Sehnsucht. Johanson wäre wohl ein Baker-Epigone geblieben, hätte es keine Clubszene in Stockholm gegeben. Dahin war der Kleinstadtbursche geraten, um Grafikdesign zu studieren, dort wurde er Artdirector, aber auch DJ und Breakdancer. Was in ihm aber immer nachklang, war die Stimme von Chet Baker. Also schmiss er den Job und wurde Musiker – und was für einer. Den Jazzgesang mit den düsteren Grooves des TripHop zu verbinden, war die beste Idee seines Lebens. Kaum ein Song berührt dich so schmerzlich schön wie ein Johanson-Song, und zu kaum einem schmeckt der Kehrausdrink in der Loungebar besser. Seine Musik ist der beste Novembersoundtrack, der mitten im Mai zu haben ist. Denn immer im Frühling gibt es ein neues Jay-Jay-Johanson-Album. Die ewige Abfolge der Jahreszeiten.

      Jayhawks

      „Smile” (2000)

      Aus der Asche der zerstrittenen New-Country-Band Jayhawks ersteht überraschend ein Popphönix – als hätte die Band aus Minneapolis alle wichtigen Elemente von Byrds, Beatles, Beach Boys und Wilco auf einmal eingesaugt. Wer von diesen beschwingt melancholischen Melodien umgeben und erfüllt ist, muss ein gutes Leben haben. Und Gary Louris, Sänger, Songwriter und Gitarrist, singt sie so, als wüsste er das genau. Selten hat ein Trio aus Gitarre, Bass und Drums (plus Streicher und Piano) einen so vollen Sound, eine so traumhafte Sicherheit beim Inszenieren seiner Songs erreicht. Bisher die Platte des Jahres – gerade weil sie traumverloren schwebt zwischen den Genres Pop, Rock, Country und Folk. Und es ist schon Juni!

      Jaz Coleman + Nigel Kennedy

      „Riders on the Storm – The Doors Concerto” (2000)

      Jene, die Nigel Kennedy schon immer des Verrates an den hehren Klassikidealen geziehen haben, werden wieder aufjaulen. Doors-Fans nicht. Denn was der Arrangeur Jaz Coleman (Ex-Killing-Joke) und Englands Geigenpunk aus den Songs der Westküstenikonen herausholen, ist allemal ähnlich gut wie die berühmten Stones-Adaptionen des London Symphony Orchestras. Ach was: Es ist viel besser. Wie sich die einst beschwingte Hippiehymne „Love Street“ unter großorchestraler Umarmung der Prager Symphoniker zur Wehmutsballade bläht, rührt fast zu Tränen, während „Light my Fire“ das ganze erotische Feuer der Vorlage aufnimmt und hellauf weiterlodern lässt. Und aus „The End“ wird eine Art „Bolero“. Kennedy kann eh nicht anders als sich einem Komponisten hinzugeben – ob er nun Vivaldi heißt oder Morrison. Großer Kitsch, große Klasse. Und letztlich eine größere Leistung als seine „Vier Jahreszeiten“-Einspielung, mit der er als junger Geiger weltberühmt wurde. So was hätte der Yehudi-Menuhin-Schüler Kennedy ewig weiter machen können: durch die renommiertesten Konzerthäuser ziehen und oben von der Bühne aus grauhaarigen Abonnementhonoratioren beim Wegdämmern zusehen. Doch er riskiert es, beim Crossover zu scheitern. Und tut es nicht mal – denn dieses Album ist ein einziger Triumph.

      Jazzpaña II

      „Jazzpaña СКАЧАТЬ