Название: Vom höchsten Gut und vom größten Übel
Автор: Cicero
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783748566243
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§ 24. Und wie erklärt es sich denn, dass derjenige Torquatus, welcher mit Cn. Octavius Consul war, so streng gegen seinen Sohn verfuhr? Er hatte ihn aus der väterlichen Gewalt entlassen, damit D. Silanus ihn an Kindesstatt annehmen konnte, und forderte ihn zur Verantwortung vor sich, als die macedonischen Gesandten ihn anklagten, er habe sich als Prätor in der Provinz bestechen lassen. Nach Anhörung beider Theil fällte er seinen Spruch dahin, dass sein Sohn sich in seinem Amte nicht so wie seine Vorfahren benommen habe, und er verbot ihm, wieder vor seine Augen zu kommen. Meinst Du, dass er dabei nur an sein Vergnügen gedacht habe? Ich übergehe die Gefahren, Anstrengungen und Schmerzen, welche die besten Männer für das Vaterland und die Ihrigen übernehmen, obgleich ihnen keine Lust dabei sich bietet. Sie gehen vielmehr Allem der Art vorbei und wollen lieber alle Schmerzen ertragen, als irgend eine ihrer Pflichten versäumen; ich wende mich vielmehr zu geringern Dingen, welche dies nicht minder bestätigen.
§ 25. Welche Lust hast Du, mein Torquatus, und Du, unser Triarius, nicht von den Wissenschaften, von der Geschichte und der Kenntniss der Dinge und dem Auswendiglernen so vieler Verse? Sage mir nicht: »Dies Alles an sich macht mir Vergnügen, wie Jenes es den Torquatern gemacht hat.« Nirgends vertheidigt Epikur dies so, und auch Du nicht und Niemand, der Verstand hat oder seine Lehre kennt. Wenn man sich aber über die grosse Zahl der Epikureer wundert, so giebt es mancherlei Ursachen dafür; hauptsächlich wird die Menge davon angelockt, weil sie meint, das Gerechte und Sittliche gewähre nach dessen Ausspruche, als solches, durch sich Freude und damit Lust. Die guten Leute sehen nicht ein, dass sein ganzes Lehrgebäude umstürzen würde, wenn es sich so verhielte. Denn wenn Epikur zugestände, dass jene Dinge, auch wenn sie zur sinnlichen Lust nichts beitragen, doch um ihrer willen an sich selbst angenehm seien, so müsste auch die Tugend und das Wissen um ihrer selbst willen erstrebt werden, was er keinesweges will.
§ 26. Diese Lehren Epikur's billige ich also, wie gesagt, nicht; im Uebrigen hätte ich gewünscht, er wäre unterrichteter in den Wissenschaften gewesen; denn er ist, wie ja auch Du anerkennen musst, in jenen Wissenschaften und Künsten wenig bewandert, in deren Besitz man zu den Gelehrten gerechnet wird; wenigstens hätte er Andere nicht von der Beschäftigung mit den Wissenschaften abschrecken sollen, obwohl ich sehe, dass Du Dich keinesweges davon hast abschrecken lassen.
Kapitel VIII.
Ich hatte dies mehr gesagt, um den Torquatus zu reizen, als um selbst das Wort zu führen. Da sprach Triarius lächelnd: Du hast ja den Epikur beinahe ganz aus dem Philosophen-Chor vertrieben; nichts hast Du ihm belassen, als dass Du, wie er auch sprechen mag, verstehst, was er sagt. In der Physik soll er nur die Lehre Anderer vorgetragen haben und selbst diese nicht so, dass Du es billigen kannst; wenn er etwas darin verbessern gewollt, so soll er es verschlechtert haben; die Kunst der Erörterung soll ihm gefehlt haben, und wenn er die Lust für das höchste Gut erklärt, so soll er erstens dies selbst nicht recht eingesehen haben und zweitens es ebenfalls Andern entlehnt haben. Denn schon vor ihm habe Aristipp dasselbe und besser gelehrt; zuletzt hast Du ihn sogar für keinen Gelehrten erklärt.
§ 27. Darauf erwiderte ich: Es ist unmöglich, Triarius, dass man seine Missbilligung nicht da aussprechen soll, wo man anderer Ansicht ist. Was könnte mich hindern, ein Epikureer zu werden, wenn ich seine Lehre billigte? zumal da man sie spielend erlernen kann. Wenn sich deshalb Männer verschiedener Ansicht tadeln, so verdient dies noch keine Rüge; nur Schimpfreden, Verläumdungen, Zorn, Zank, und hartnäckigen Eigensinn bei den Besprechungen halte ich eines Philosophen nicht würdig.
§ 28. Da sagte Torquatus: Ich bin ganz Deiner Meinung; man kann sich nicht streiten, ohne zu tadeln, und ebenso wenig kann man im Zorne oder Eigensinn gründlich erörtern. Aber in der Sache selbst könnte ich wohl antworten, wenn es Euch nicht belästigt. – Glaubst Du, erwiderte ich, dass ich so gesprochen haben würde, wenn ich Dich nicht gern hätte hören wollen ? – Soll ich also, sagte er, die ganze Lehre Epikur's durchgehen oder nur seine Lehre über die Lust untersuchen, auf die ja aller Streit hinausgeht? – Mache es ganz, sagte ich, wie es Dir angemessen scheint. – Nun gut, erwiderte er, so mag es so sein; ich werde nur einen Gegenstand, aber den wichtigsten erläutern. Ueber die Physik will ich ein andermal sprechen und hoffe Dir dann sowohl jene Abweichung der Atome wie die Grösse der Sonne zu beweisen, auch dass Epikur viele Irrthümer Demokrit's aufgedeckt und verbessert hat. Ich beschränke mich also jetzt auf die Frage über die Lust und werde dabei zwar nichts Neues beibringen, aber vertraue, dass auch Du das, was ich sage, billigen wirst. – Gewiss, antwortete ich, werde ich nicht eigensinnig sein, sondern Dir in Allem, was Du mir beweisen wirst, gern beistimmen.
§ 29. Dies wird geschehen, wenn Du so billig bist, wie Du sagst. Ich werde indess dabei im Zusammenhange und fortgehend sprechen, ohne zu fragen oder mich fragen zu lassen. – Wie es Dir beliebt, sagte ich.
Kapitel IX.
Er begann hierauf folgendermaassen: Zunächst will ich so verfahren, wie es der Stifter dieser Lehre verlangt, und feststellen, was und welcher Art der Gegenstand unserer Untersuchung ist; nicht, weil ich meinte, es sei dies Euch unbekannt, sondern damit meine Darstellung begründet und geradeaus vorschreite. Wir suchen also das höchste und äusserste Gut, was nach aller Philosophen Ansicht so beschaffen sein muss, dass alles Andere auf es zu beziehen ist, während es selbst durch nichts bedingt ist. Epikur setzt dasselbe in die Lust; er erklärt sie für das höchste Gut und den Schmerz für das höchste Uebel.
§ 30. Er zeigt dies in der Weise, dass jedes lebende Wesen von seiner Geburt ab nach der Lust verlange und sin hrer als des höchsten Gutes erfreue, während es den Schmerz, als das höchste Uebel, abweise und möglichst von sich zurückstosse. Dies geschehe von demselben, noch ehe es verdorben worden, lediglich nach dem reinen und unverfälschten Antriebe seiner Natur. Es bedürfe deshalb keiner Gründe und Beweise dafür, weshalb die Lust zu erstreben und der Schmerz zu fliehen sei; dies lehre schon das Gefühl, so wie man wahrnehme, dass das Feuer wärme, der Schneeweiss, der Honig süss sei; für den Beweis dessen bedürfe es keiner besonders ausgewählten Gründe, es genüge, darauf aufmerksam zu machen. Denn die Beweisführung und Schlussfolgerung unterscheide sich von der einfachen Wahrnehmung und Beachtung; jene eröffne das Verborgene und gleichsam Eingewickelte, diese urtheile über das sofort Erfassbare und offen zu Tage Liegende. Nehme man dem Menschen seine Sinne, so verbleibe ihm Nichts; deshalb müsse die Natur selbst beurtheilen, was ihr angenehm oder zuwider sei, und diese bemerke und erkenne als Ursache des Begehrens und Verabscheuens nur die Lust und den Schmerz.
§ 31. Doch möchten Manche der Unsrigen dies noch scharfsinniger begründen; sie bestreiten deshalb, dass es genüge, blos nach dem Gefühle zu bestimmen, was ein Gut und was ein Uebel sei; vielmehr könne man auch geistig und durch die Vernunft einsehen, dass die Lust um ihrer selbst willen zu suchen und der Schmerz um seiner selbst willen zu fliehen sei. Nach ihnen ist in der Seele des Menschen die natürliche und angeborne Vorstellung enthalten, dass das Eine zu suchen und das Andere zu fliehen sei. Andere dagegen, denen ich beistimme, meinen, dass man hier seiner Sache nicht zu sehr vertrauen dürfe, da von verschiedenen Philosophen Vieles angeführt sei, weshalb die Lust nicht zu den Gütern und der Schmerz nicht zu den Uebeln zu rechnen sei; deshalb müsse diese Frage über die Lust und den Schmerz mit Gründen in genauern Erörterungen und reiflichern Erwägungen behandelt werden.
Kapitel X.
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