Название: Die Entführung der MS Hansa Stavanger
Автор: Frederik Euskirchen
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783844238655
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Man kaut die Blätter, entzieht ihnen mit dem Speichel die Wirkstoffe und spuckt den Rest aus.
Nach unserer Freilassung habe ich oft gelesen, dass Khat, von dem ich vorher nur sehr wenig wusste, so ähnlich wie Speed sei und dass es die Leute aggressiv und unberechenbar macht.
Das habe ich weder bei den Piraten bemerkt, noch bei uns.
Auch ich habe es nach einiger Zeit an Bord mal probiert und wenn die Droge Speed, die ich selbstverständlich noch nie probiert habe, so wirkt, frage ich mich, wieso sie verboten ist. Ich will damit sagen, Khat kauen entspricht ungefähr dem Genuss eines starken Kaffees.
Mit dem Unterschied, dass die Wirkung viel langsamer eintritt und leicht variiert. Man wird zwar wacher, aber der Körper entspannt sich etwas mehr und man muss nicht so häufig auf Toilette, wie nach drei oder vier Kannen Kaffee. Die sonstigen Nebenwirkungen wie nach übermäßigem Kaffeekonsum bleiben auch aus. Lediglich der Appetit wird reduziert.
Die Piraten, welche wirklich Unmengen davon vertilgen, klagen regelmäßig über Kopfschmerzen und Magenschmerzen. Ich denke, die Schmerzen im Kopf kommen von dem Schlafmangel, der durch die aufputschende Wirkung des Khats verursacht wird. Die Magenprobleme zeigen sich häufig in Form von Übersäuerungen und Blähungen, vielleicht eine Folge der geringen Nahrungsaufnahme und der Inhaltsstoffe der Pflanze.
Aggressives Verhalten oder sonstige Veränderungen habe ich nie feststellen können, bei uns schon gar nicht und bei den Piraten auch nicht. Jedenfalls nicht in erkennbarem Zusammenhang mit Khat-Genuss.
Zwar sagen die Piraten immer wieder, dass es einen dazu bringt, Dinge, die man vorhat oder tun muss, auch gleich in die Tat umzusetzen und alles was man will durchzuziehen, aber ich bezweifle das etwas.
Ich glaube, dann hätte ich das Zeug schon früher kennengelernt, als Kind, wenn ich mein Zimmer aufräumen sollte. Naja, vermutlich muss man aber einfach ganz viel davon essen und fest daran glauben.
Nichtsdestotrotz, als sie es mit an Bord bringen, schrillen in mir Alarmsignale. Ich habe Sorge, dass die sowieso schon als unberechenbar geltenden somalischen Piraten noch mehr am Rad drehen. Ich stelle mir vor, dass sie absolut die Kontrolle über sich verlieren, aggressiv werden, noch mehr rumschreien und um sich schießen.
Einfach dem Klischee entsprechend.
Nichts dergleichen passiert, jedenfalls ist keine Steigerung zu ihrem vorherigen Verhalten zu sehen. Sogar etwas ruhiger werden sie, weil sie etwas zum Rupfen und Kauen haben.
Dennoch verhalte ich mich am Anfang anders zu ihnen. Wenn sie etwas fragen, rede ich und bewege mich langsam, als würde ich mich vor einem scharfen Bluthund befinden.
Heute muss ich schmunzeln, wenn ich daran zurückdenke - was die wohl von mir dachten?
Aber zu der Zeit erscheint es mir die klügste Verhaltensweise.
Der Versuch, sich am sinnvollsten zu verhalten, sich anzupassen und den besten Weg für uns zu finden, zieht sich wie ein roter Faden durch die ersten Wochen.
Auf dem Weg von Baraawe nach Haradere, wo unser endgültiger Ankerplatz sein soll und der Unterhändler an Bord kommt, geht die Plünderung der Stavanger los. Während des Aufklarens und der Nacht konnte ich hin und wieder ein paar meiner ohnehin vom Löschwasser zerstörten Sache retten. Wobei der Rest so schnell verschwand, in irgendwelchen somalischen Röcken, dass man meinen könnte, sie hätten es weggebeamt.
Unter den neuen Piraten, die sich alles “angucken”, ist auch Oday, der sich mir per Handschlag gleich so vorstellt. “Me Boss of all!”
“Oh, very nice, welcome on board!” sage ich respektvoll, ohne Ironie und schüttele ihm kräftig die Hand. Mittlerweile habe ich von Konfrontationskurs auf Diplomatie umgestellt und komme damit natürlich weiter als vorher.
Oday ist ein recht großer Mann, nicht nur körperlich, er ist der Kommandant der gesamten Piraten bei uns an Bord, an Land und auf anderen Schiffen. Selbstverständlich ist er keiner der großen Hintermänner, aber er scheint für sehr viele Entscheidungen verantwortlich zu sein, einem Verwalter ähnlich. Mir sagte er einmal, dass er 32 Jahre alt sei, damit gehört er zu den älteren Piraten, die meisten an Bord sind weitaus jünger.
Oday, der ebenfalls ein typisches Somaligesicht hat, also fast schon europäisch wirkend, besitzt ein besonderes Merkmal. Ihm fehlt ein vorderer Schneidezahn. Aus diesem Grund zeigten alle, auch die Piraten, immer mit ihrem Finger in Richtung der Zähne, wenn sie von ihm sprachen. Wir nannten ihn eigentlich nur No. 2, weil wir zumindest noch einen Chef hinter ihm vermuteten - die wirkliche Nummer eins blieb uns immer verborgen. Oday war nur selten an Bord, aber immer wenn er kam, passierte etwas. Besonders seit er mit uns ein paar Scheinhinrichtungen durchgeführt hat, habe ich seinen Besuch an Bord immer mit erhöhter Sorge und Aufmerksamkeit ertragen müssen.
Nur das erste Mal kommt und geht er ohne großes Aufsehen.
So sagt der Kapitän, der sich später in seiner Anwesenheit ebenfalls sichtlich ängstlicher verhält, dass Oday und seine Piraten keine schlechten Menschen sind, immerhin hätte Oday sich sogar von ihm verabschiedet, als er das Schiff verließ …
Im Nachhinein betrachtet hat mir Oday, bis auf diese Hinrichtungen, nie etwas getan, vorher war er respektvoll und danach auch, nie hat er mich oder andere bedroht, dennoch fühlte ich mich immer weitaus unwohler, wenn er da war. Lange und oft denke ich über ihn nach und kann ihn nicht wirklich charakterisieren und eben das wird mich in den vier Monaten so verunsichern. Manchmal starrt er mit einem Blick vor sich her, als wäre er debil. Kurze Zeit später spricht er wieder mit einem, mittels Übersetzer, und man ist überrascht über seine wohlüberlegten Aussagen. Dann plant er wieder eine absolut irrwitzige Aktion, macht absoluten Unsinn oder zeigt sich unzuverlässig bei der Einhaltung von Abmachungen hinsichtlich Lösegeldforderungen. Später sieht man ihn doch wieder als besonnen Anführer einer großen Organisation. Er ist unberechenbar und hat sehr variable ethische Maßstäbe. Er ist zu einigem fähig, diese Mischung macht ihn so gefährlich.
Ich muss ehrlich zugeben, dass seine gegensätzliche Art neben der Unruhe auch eine gewisse Faszination auslöst, vielleicht weil ich noch nie so eine Charaktere gesehen habe.
2.4 Der erste Kontakt mit zu Hause
Schon bald, knappe drei Tage nach der Kaperung, sollten alle zu Hause anrufen und sagen, dass sie gesund sind, sich in der Hand somalischer Piraten befinden und die Familie die Reederei um schnelle Lösegeldzahlung bitten soll.
Ein jeder der nun am Telefon steht, spricht mit gedämpfter Stimme, es ist eine Mischung aus dem Versuch, die Familie zu beruhigen, und der Hoffnung selber etwas zum Festhalten zu bekommen.
Es gibt aber auch ein paar Ausnahmen. Longo, der alte Haudegen, er scheint sich nicht sicher zu sein, wen er anrufen soll. Letztes Mal in Mombasa hat er geheiratet, aber die will er jetzt auch nicht anrufen und so überlegt er fieberhaft weiter. Wer es schließlich ist, weiß ich nicht. Jack, er spricht mit voller Überzeugung, zwar versteh ich ihn nicht, aber er gibt 100 %, um seine Frau mit seiner jungen Tochter zu beruhigen. Wayne, ein Riese mit wahnsinnigen Kräften und einem der ruhigsten und freundlichsten Gemüter, die ich je kennengelernt habe, spricht ganz ruhig und erklärt mit einer Engelsgeduld, dann legt er ebenso СКАЧАТЬ