Der Geheimagent. Joseph Conrad
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Название: Der Geheimagent

Автор: Joseph Conrad

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783750246133

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СКАЧАТЬ Leib schien zwischen den Stühlen unter dem scharfen Ellenbogen von Karl Yundt wegzuschweben. Der alte Terrorist rückte mit unsicherer klauenartiger Hand einen großen, schwarzen Schlapphut zurecht, der die Höhlen und Runzeln seines verwüsteten Gesichts beschattete. Er setzte sich langsam in Bewegung und stieß bei jedem Schritt den Stock auf den Boden. Es war recht mühsam, ihn zum Hause hinaus zu bringen, da er immer wieder, wie in Gedanken, stehen blieb und keine Anstalten machte, weiterzugehen, bevor ihn nicht Michaelis vorwärtsdrängte. Der freundliche Apostel hielt ihn brüderlich liebevoll am Arm gefaßt. Hinter ihnen drein schob sich gähnend, die Hand in den Hosentaschen, der kraftvolle Ossipon. Eine blaue Mütze mit wachsledernem Schirm, weit zurück auf sein blondes Kraushaar gesetzt, gab ihm das Aussehen eines norwegischen Seemannes, der nach einer furchtbaren Bierreise mit sich und der Welt zerfallen ist. Herr Verloc begleitete seine Gäste bis zur Haustüre und verabschiedete sich barhäuptig; sein schwerer Überrock hing offen, die Augen hielt er niedergeschlagen.

      Er schloß die Türe hinter ihnen mit verhaltener Wut, drehte den Schlüssel um und schob den Riegel vor. Er war unzufrieden mit seinen Freunden. Im Licht von Herrn Vladimirs Philosophie des Bombenwerfens gesehen, erschienen sie hoffnungslos untüchtig. Da Herr Verloc bisher in der Revolutionspolitik lediglich die Rolle des Beobachters gespielt hatte, so konnte er nicht plötzlich, weder in seinem eigenen Hause, noch in größeren Versammlungen, von sich aus zur Tat drängen. Er mußte vorsichtig sein. Von der gerechten Empörung erfüllt, wie sie ein Mann von über Vierzig empfinden kann, der sich in seinem Teuersten bedroht sieht – seiner Ruhe und Sicherheit – fragte er sich verachtungsvoll, was anders wohl von einem solchen Kleeblatt zu erwarten gewesen wäre, von diesem Karl Yundt, diesem Michaelis – diesem Ossipon.

      Im Begriff, die Gasflamme im Laden abzudrehen, versank Herr Verloc in abgrundtiefe, sittliche Betrachtungen. Mit der Einsicht eines geläuterten Charakters fällte er sein Urteil. Eine faule Bande – dieser Karl Yundt, der sich von einem triefäugigen alten Weibe ernähren ließ, einem Weibe, das er vor Jahren einmal einem Freunde abspenstig gemacht und seither öfter als einmal abzuschütteln versucht hatte. Zum Glück für Yundt hatte sie sich's einmal ums andere in den Kopf gesetzt, zu ihm zurückzukehren, sonst wäre jetzt wohl niemand da, der ihm am Gitter von Green Park aus dem Autobus half, wenn er an einem schönen Morgen dort spazieren kriechen wollte. Wenn die unbändig schnatterhafte alte Hexe starb, dann mußte das wacklige Gespenst mit ihr verschwinden – dann war es mit dem kühnen Karl Yundt vorbei. Auch die Hoffnungsfreudigkeit von Michaelis gab Herrn Verloc Anlaß zu sittlicher Entrüstung; denn der wieder hatte sich an seine reiche, alte Dame gehängt, die sich kürzlich dazu verstiegen hatte, ihn auf ihr Landhaus hinauszuschicken. Der alte Sträfling konnte sich Tag für Tag in köstlicher Untätigkeit auf schattigen Wiesen wälzen. Ossipon nun gar, der Gauner, brauchte sich gewiß um nichts zu sorgen, solange es noch dumme Mädel mit Sparkassenbüchern auf der Welt gab. Herr Verloc, der im Grunde mit seinen Genossen doch so gleichgeartet war, machte innerlich auf Grund kleiner Eigenheiten feine Unterscheidungen. Er machte sie mit einer Art Selbstgefälligkeit, denn das Gefühl für bürgerlichen Wohlanstand war sehr stark in ihm, wenn auch überwuchert von seiner Abneigung gegen jede Art von ehrlicher Arbeit – ein Fehler in der Veranlagung, den er mit vielen revolutionären Reformern einer gegebenen gesellschaftlichen Ordnung gemein hatte. Denn natürlich empört man sich ja nicht gegen die vorteilhaften Möglichkeiten dieser Ordnung, sondern gegen den Preis, der dafür bezahlt werden muß, in Form von sittlicher Selbstbeschränkung und Arbeit. Die Mehrzahl sind Feinde von Zucht und schwerer Arbeit. Es gibt auch andere, für deren Gerechtigkeitssinn der geforderte Preis unverhältnismäßig übertrieben erscheint, verabscheuungswürdig, erpresserisch, blutsaugerisch, unerträglich. Das sind die Fanatiker. Den Rest der Rebellen treibt die Eitelkeit, die Mutter aller edlen und verwerflichen Hirngespinste, die Begleiterin von Dichtern, Reformern, Scharlatanen, Propheten und Brandstiftern.

      Eine volle Minute lang verlor sich Herr Verloc in den Abgründen dieser Erwägungen, ohne ihre letzten Tiefen ergründen zu können. Vielleicht war er dazu nicht fähig. Keinesfalls hatte er die Zeit dazu. Er schreckte auf bei der plötzlichen Erinnerung an Herrn Vladimir, noch einen seiner Bekannten, den er kraft feinster seelischer Verwandtschaft einwandfrei beurteilen konnte. Er hielt ihn für gefährlich. Ein Schatten von Neid fiel über seine Gedanken. Der Müßiggang war schon recht für die Kerle, die Herrn Vladimir nicht kannten und Weiber hatten, auf die sie sich stützen konnten; er aber, der für eine Frau zu sorgen hatte – – Hier fiel Herrn Verloc durch eine einfache Gedankenverknüpfung die Notwendigkeit ein, früher oder später an diesem Abend zu Bett zu gehen. Warum denn nicht jetzt – sofort? Er seufzte. Die Notwendigkeit war nicht so durchaus erfreulich, wie sie es für einen Mann seines Alters und seiner Gemütsart hätte sein sollen. Er fürchtete den Dämon der Schlaflosigkeit, der, wie er fühlte, von ihm Besitz ergriffen hatte. Er hob den Arm und drehte die flackernde Gasflamme über seinem Kopf ab.

      Ein breiter Lichtstreifen fiel durch die Wohnzimmertüre in den Raum hinter dem Ladentisch und ermöglichte es Herrn Verloc, einen Blick auf die Zahl der Silbermünzen in der Ladenkasse zu werfen. Es waren nur wenige, und zum ersten Mal, seit er seinen Laden eröffnet hatte, versuchte er, ihn geschäftlich einzuschätzen. Diese Einschätzung fiel ungünstig aus. Ihn hatte keine geschäftliche Erwägung zum Handel geführt, vielmehr war bei der Wahl dieses Geschäftszweiges seine innerliche Neigung zu dunklen Machenschaften maßgebend gewesen, mit denen leicht Geld zu verdienen ist. Dann führte ihn dieser Handel auch nicht aus seinem Kreise heraus – aus dem Kreise derer, die von der Polizei beobachtet werden. Im Gegenteil, er wies ihm einen offenen, anerkannten Platz in diesem Kreise an, und da Herr Verloc geheime Beziehungen hatte, die ihn mit der Polizei vertraut machten und ihn der Notwendigkeit überhoben, auf sie aufzupassen, so bot diese Lage ausgesprochene Vorteile. Die Mittel zum Lebensunterhalt allerdings waren daraus allein nicht zu ziehen.

      Er zog die Kassenschublade heraus und bemerkte, im Begriff, den Laden zu verlassen, daß Stevie immer noch unten war.

      Was in aller Welt tut er noch hier, dachte sich Herr Verloc. Was sollen die Mätzchen? Er sah seinen Schwager zweifelnd an, ließ aber keine Frage laut werden. Herrn Verlocs Unterhaltung mit Stevie beschränkte sich auf ein gelegentliches Murmeln in den Morgenstunden, nach dem Frühstück, »meine Schuhe«, und auch das war eher die allgemeine Verlautbarung eines Bedürfnisses, als ein unmittelbarer Auftrag oder Wunsch. Herr Verloc bemerkte mit einiger Überraschung, daß er nicht wußte, was er zu Stevie sagen sollte. Er stand mitten im Wohnzimmer und sah schweigend in die Küche hinunter. Er wußte auch nicht, was geschehen würde, wenn er etwas sagte. Und dies erschien Herrn Verloc ganz besonders merkwürdig, angesichts der Tatsache, die ihm nun plötzlich zum Bewußtsein kam: daß er für diesen Burschen auch mit zu sorgen haben sollte. An diese Seite von Stevies Dasein hatte er bisher noch keinen Augenblick gedacht.

      Er wußte also tatsächlich nicht, wie er den Jungen anreden sollte. Er sah ihm zu, wie er in der Küche gestikulierte und murmelte. Stevie rannte um den Tisch wie ein gereiztes Tier. Der Versuch eines »Willst du nicht lieber zu Bett gehn?« blieb ohne alle Wirkung; und Herr Verloc ließ die starre Betrachtung von seines Schwagers Gehaben sein und durchquerte müde, die Kassenschublade in der Hand, das Wohnzimmer. Da die Ursache der allgemeinen Müdigkeit, die er beim Stiegensteigen fühlte, rein geistiger Art war, so fühlte er sich dadurch erschreckt. Er würde doch wohl nicht krank werden? Er blieb in dem dunklen Vorraum stehen, um seine Gefühle genau zu prüfen. Dabei störte ihn aber ein leises und beständiges Schnarchen, das die Dunkelheit durchdrang. Der Laut kam aus dem Zimmer seiner Schwiegermutter. Noch eine, für die gesorgt werden mußte, dachte er – und ging mit diesem Gedanken in sein Schlafzimmer.

      Frau Verloc war eingeschlafen, während die Lampe auf ihrem Nachttisch (Gas war im ersten Stock nicht gelegt) hell brannte. Das Licht fiel unter dem Schirm hervor grell auf das weiße Kissen, das von dem Gewicht ihres Kopfes tief eingedrückt wurde. Sie lag mit geschlossenen Augen und hatte das Haar für die Nacht in viele Zöpfe aufgesteckt. Nun fuhr sie auf, als ihr Name ihr Ohr traf, und sah ihren Gatten über sich gebeugt stehen.

      »Winnie, Winnie!«

      Zunächst rührte sie sich nicht, lag ganz ruhig und СКАЧАТЬ