Название: Edgar Wallace - Gesammelte Werke
Автор: Edgar Wallace
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783746747866
isbn:
10
Stella war totenblaß, tiefe Schatten lagen unter ihren Augen. Aber ein noch untrüglicherer Beweis ihrer Schuld lag für Andy darin, daß ihr ganzes Aussehen darauf schließen ließ, daß sie die letzte Nacht überhaupt nicht zu Bett gegangen war, sie trug noch dieselbe Kleidung wie am Tag vorher.
Stella trat in die Halle zurück, wo Licht brannte. Die Vorhänge waren noch nicht aufgezogen.
»Ich habe Sie erwartet«, sagte sie fast teilnahmslos. »Wollen Sie mir bitte gestatten, daß ich es meinem Vater sage, bevor Sie mich fortbringen?«
Er war wie vom Blitz getroffen.
»Bevor ich ... Sie ... fortbringe?« wiederholte er.
»Ich wußte, daß Sie kommen würden ... ich habe die ganze Nacht auf Sie gewartet, Mr. Macleod.« Sie sah, wie angegriffen er war, und senkte den Kopf. »Es tut mir leid«, flüsterte sie, »ich war von Sinnen ... ich war wahnsinnig.«
Plötzlich riß er sich zusammen. Mit zwei Schritten stand er vor ihr und packte sie an den Schultern.
»Sie armes, dummes Kind – Sie armes, dummes Kind!« sagte er schweratmend. »O Gott, was haben Sie getan!«
Er zog den Schal aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch, den Ring legte er dazu.
»Mein Schal – mein Ring« Ach, ich besinne mich.«
Es wurde ihm schwer zu sprechen, sein Herz schlug wild.
»Ach, Stella, auch ich bin von Sinnen. Aber ich kann es nicht ... ich kann Sie nicht in dieser Hölle lassen. Ich liebe Sie ... mir scheint es selbst ganz unglaublich ... ich werde meinen Wagen in einer Viertelstunde bereithalten und Sie wegbringen, bevor nur der Schatten eines Verdachtes auf Sie gefallen ist. Ich weiß, daß es Wahnsinn ist, aber ich kann es nicht mit ansehen, daß Sie –«
Sie schaute ihn verwirrt an, und Tränen schimmerten in ihren Augen: »Ach, Doktor, Sie sind zu gut ... aber das geht nicht. Mr. Merrivan weiß doch alles ... er wird uns verraten!«
Er prallte einen Schritt zurück.
»Was sagen Sie da ... er weiß alles! Er wird uns verraten? Er ist doch tot!«
Sie verstand nicht.
»Merrivan ist tot – er ist in der Nacht ermordet worden!«
»Ermordet?«
Eine Zentnerlast fiel ihm vom Herzen, er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ach, ich muß wirklich verrückt gewesen sein, daß ich auch nur daran denken konnte, Sie hätten etwas damit zu tun.«
Er sprang plötzlich zu ihr und stützte sie, als sie taumelte.
Als sie das Bewußtsein wiedererlangte, war ihr erster Gedanke, daß er sie für eine Mörderin gehalten hatte und sie trotzdem retten wollte. Mr. Merrivan war tot! Das war schrecklich. Der Verdacht mußte ja auf sie fallen, aber er hielt sie nicht für schuldig, dieser Mann mit den grauen Augen, der sie so forschend angesehen und den sie so bitter gehaßt hatte!
»Ich kann meine Gedanken nicht sammeln«, sagte sie schwach, und. das Glas, das er ihr reichte, stieß an ihre zitternden Lippen.
Sie schaute ihm in die Augen, als sie trank, und er las in ihrem Blick die gläubige Zuversicht eines Kindes.
»Sie sind so gut zu mir«, flüsterte sie, »und Sie lieben mich trotz allem«, sagte sie unvermittelt. »Es ist entsetzlich, daß Mr. Merrivan tot ist. Ich war gestern bei ihm. Er schickte mir einen Brief, daß er mich sprechen wolle, und ich ging hin, weil ich etwas von ihm brauchte.«
»Was war es, Stella?« fragte er liebevoll.
»Das werde ich Ihnen nie sagen können, selbst wenn ich sterben sollte, Doktor – Andrew. Ich habe Sie so sehr gehaßt – und Sie sind so gut zu mir.«
Er hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und stützte ihren braunen Lockenkopf. Während sie sprach, spielte sie mit seinen Fingern.
»Und was geschah dann?«
»Ach, er benahm sich so fürchterlich, es war grauenvoll. Ich mußte es ertragen, daß er mich mit seinen dicken Händen anfaßte« – er fühlte, wie ein Schauder ihren Körper durchrann – »und mich küßte. Dann zeigte er mir die Dinge, die ich haben wollte, und sagte, ich solle meinen Ring abnehmen. Dafür steckte er mir einen großen glitzernden Brillantring an. Er gab mich einen Augenblick frei, und ich ergriff die Dinge – sie lagen noch auf dem Tisch. Er kam dicht hinter mir her, aber ich hielt ihm den Revolver entgegen.«
»Einen Revolver hatten Sie auch? Mein Gott, Stella, Sie haben aber auch alles getan, um sich in Gefahr zu bringen!«
»Vielleicht. Und dann bin ich geflohen –«
»Auf welchem Weg?«
»Durch die Haustür – ich kenne keinen anderen Ausgang.«
»Sie sind nicht durch den Obstgarten gegangen?«
»Nein, warum?«
»Erzählen Sie weiter – Sie gingen direkt nach Hause – wieviel Uhr war es?«
»Elf. Die Beverley-Kirchenuhr schlug gerade, als ich die Haustür öffnete.«
»Warum waren Sie zu ihm gegangen?«
»Er hatte mir einen Brief geschrieben – einen schrecklichen Brief –, er hatte mir alles mit nackten, dürren Worten gesagt und mich vor die Wahl gestellt. Ich habe die Dinge verbrannt, die ich mitnahm. Und dann wartete ich, daß Sie mich verhaften würden. Zuerst wünschte ich, daß nicht Sie kämen, aber später dachte ich, Sie würden nicht so rauh sein wie Inspektor Dane, und als ich sah, daß Sie kamen, hatte ich nur noch den einen Wunsch, daß alles möglichst bald vorüber sein möchte.«
»Hat Sie irgend jemand gesehen, als Sie in sein Haus gingen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Glauben Sie, daß – Wilmot Sie bemerkte?«
»Arthur Wilmot – nein. Warum fragen Sie?«
»Er machte so dunkle Andeutungen. Waren die Gegenstände, die Sie verbrannten, irgendwelche Schriftstücke?«
Sie nickte.
»Wo haben Sie die Dokumente verbrannt – hier oder bei Merrivan?«
»Hier.« Sie zeigte auf den Kamin. »Hier habe ich auch seinen Brief verbrannt.«
»War das der Brief, in dem er Sie aufforderte, zu ihm zu kommen?« fragte er vorwurfsvoll. »Damit hätten Sie doch alles beweisen können!«
Seine Worte machten keinen Eindruck auf sie.
»Das СКАЧАТЬ