Название: Mein Morbi und ich
Автор: Iris Weitkamp
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783847676690
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Am dritten Tag ging es dann los! Auf der Toilette hätte ich jedesmal laut schreien können. Dass meine Durchfälle wieder einsetzten und mich und die frische Narbe alle ein bis zwei Stunden auf Trab hielten, machte die Sache nicht besser.
Die Nachsorgeuntersuchungen der Operation fanden sämtlich in der Chirurgischen Praxis statt. Im Merkblatt hieß es noch, die erste Nachuntersuchung würde in der Praxis sein, die weitere Nachsorge durch den Hausarzt erfolgen. Der Privatpatient, die zu melkende Kuh ... Ich fühlte mich immer noch etwas dösig im Kopf von der Narkose und täglich klappriger von den Durchfällen. So trottete ich zunächst jeden Dienstag und Donnerstag brav in meinen Melkstand.
Leider bestand das große Team kompetenter und stets auf dem neuesten Stand fortgebildeter Ärzte ausschließlich aus Männern. Da half nun alles nichts: In den folgenden Wochen musste ich alle paar Tage mit nacktem Hinterteil vor ständig wechselnden Doktoren liegen. Einige benahmen sich sehr rücksichtsvoll. Andere hatten ihre Patienten längst in den Bereich ‚zu reparierendes Elektrogerät’ eingeordnet, so dass man nicht auf Wahrung seiner Würde hoffen durfte. Notgedrungen lernte ich, die Zähne zusammenzubeißen, wenn ich mich unter ihren Augen aus- oder wieder anzog. Etwas zu sagen, hätte noch mehr Aufmerksamkeit auf die Situation gelenkt und sie nur verschlimmert. Wie sang Tina Turner so treffend in ‚Private Dancer’? „You keep your mind on the money, keeping your eyes on the wall …“. Meine Augen starr auf einen Fliegenschiss an der Wand geheftet, ließ ich vor den Männern die Hosen runter und konzentrierte mich auf mein Ziel: die Reparatur meines Hinterteils.
Stets hieß es: „Heilt ja super, alles okay“. Auch, dass ich seit über drei Wochen unverändert starke Schmerzen hätte, sei „völlig normal“. In meinem damaligen Zustand kam mir leider noch nicht der Gedanke, wie man denn einen Fortschritt bei der Wundheilung beurteilen wollte, wenn immer jemand anders draufschaut. Mehr als zwei Wochen nach der OP verschrieb man mir wenigstens eine neue Salbe. Im Prinzip aber, so wurde versichert, sehe die Wunde doch „schon wieder ganz gut“ aus. Die verschriebenen Tropfen halfen absolut null gegen die Schmerzen, also bekam ich Tabletten, die besser anschlugen. Abermals wurde mir das Schlaflied vorgesummt, alles sei „ganz prima“. Weitere zwei Wochen später, vier Wochen nach der OP, gestand erstmals jemand ein, die Wundheilung könne irgendwie besser sein. Übrigens bestehe die Gefahr, dass der Enddarm verhärte und damit an Elastizität verliere, sprich: der Schließmuskel nicht mehr richtig arbeite.
Um Gottes Willen! Hinten undicht möchte frau ja keinesfalls werden!
Man verschrieb mir einen sogenannten „Analdehner“ und Xylocain Gel. Das war ein Erlebnis!
Ich sollte mit diesem Plastikzylinder dreimal täglich meinen After dehnen, „damit nichts verhärtet und alles schön elastisch bleibt“. Wobei die Wunde natürlich noch immer nicht verheilt war und energisch gegen diese zusätzliche Reizung protestierte. Frei nach Otto Waalkes formuliert, funkte die betroffene Stelle ununterbrochen Alarm an das Großhirn. Dieses hielt ein entnervtes „ja, ich weiß es doch, die Botschaft ist angekommen, aber was hilft`s?“ dagegen und dehnte weiter, woraufhin die Schmerzzentrale an einen Kurzschluss im Großhirn geglaubt haben musste und verzweifelt und wütend mehr Schmerzmeldungen morste.
Im Nachhinein bin ich nicht überzeugt, dass diese ärztliche Anweisung über jeden Zweifel erhaben war. Vor Schmerzen habe ich geheult und mir stand der Schweiß auf der Stirn. Auf der Toilette hatte ich noch geglaubt, ich würde echt einen Streifen mitmachen. Nun wurde mir klar: Es kann immer noch schlimmer kommen. Hatte ich mich früher gerne in mein Schlafzimmer zurückgezogen (ach, wie herrlich waren die Tage nach der OP gewesen ...), schaute ich nun böse auf den Nachttisch, von wo aus mir Analdehner und Gleitgel entgegengrinsten. Ich glaube nicht, dass ich mich nach dieser Bekanntschaft jemals für Vibratoren oder Analsex werde begeistern können.
Meine Selbstdisziplin reichte statt für die verschriebenen dreimal täglich fünf Dehnungen nur für ein- bis zweimal täglich zwei- bis dreimal. Tagsüber auf der Arbeit waren die Übungen sowieso undenkbar. Wie hätte man auswärtigen Gästen das Weinen und Fluchen aus Richtung der Sanitärräume erklären sollen?
Genau fünf Wochen nach der Operation erledigte sich diese masochistische Selbstbehandlung mit dem Analdehner endlich, denn ich bereitete mich auf meine erste Darmspiegelung vor.
Und geriet vom Regen in die Traufe.
Später, als ich mich in einer gesunden Phase (und in einer Phase gesunder Wut) befand, suchte ich die Chirurgische Gemeinschaftspraxis noch einmal auf. Mit meinem Krankheitsbefund in Händen stellte ich einen der schnieken, hoffnungsvollen Jungärzte zur Rede. Während ich die Fragen weitergab, die meine Hausärztin, der Darmspezialist und meine Augenärzte mittlerweile gestellt hatten, wirkte er plötzlich nicht mehr so aalglatt.
Ob nicht im Rahmen der Operation eine histologische Untersuchung (eine Untersuchung auf Entzündungsmerkmale) erfolgt sei?
„Doch, schon...“
Und ob er den Laborbefund bitte mal vorlesen könne?
„Ja, Moment ... hier ist von ... ähm ... starken Entzündungsanzeichen die Rede ... aber Sie waren ja schon wegen Darmproblemen in Behandlung ... es ist nicht üblich, den Laborbericht an den Hausarzt zu schicken ... aber wenn Sie möchten, natürlich ...“
Und ob die Wunde nicht ungewöhnlich schlecht heilen würde, und die wochenlange Nachsorge in der Klinik nicht unüblich sei ...?
„Oh, die OP-Wunde sieht ja nun wunderbar in Ordnung aus, und eine weitere Nachsorge durch die Chirurgische Klinik ist ab sofort nicht weiter erforderlich ...“
Ich erklärte klipp und klar, meine Hausärztin nähme an, der Laborbefund sei einfach in meine Akte geheftet worden, ohne dass ihn einer der Ärzte gelesen habe. Außerdem wies ich darauf hin, dass meine Krankheit bei einer sorgfältigeren Behandlung in dieser Klinik schon sehr viel früher hätte festgestellt werden können und mir eine beidseitige Regenbogenhautentzündung erspart geblieben wäre.
Sehr still wurde er da, der Chirurg, und senkte den Blick. Er schluckte, räusperte sich. Nach einer Weile kam seine Antwort, mit leiser Stimme: „Man hofft natürlich immer, dass einem so etwas nicht passiert ...“
Als ich den Raum verließ, hockte er immer noch da mit hängenden Schultern. Seine Reaktion ließ mich hoffen, dass er umgehend in den Betriebsabläufen dafür sorgen würde, dass sich so etwas nie, nie wiederholte. Operieren konnten die ja wirklich gut, nur die Organisation drumherum ließ zu wünschen übrig: Ein Fließbandbetrieb, in dem die Ärzte von Raum zu Raum flitzten und einen hastigen Blick auf Wunden warfen, ohne noch den Zusammenhang zu sehen, das Gesamtbild.
Der Fall war klar. Sollte ich mich nun in einen Rechtsstreit stürzen? Die Chirurgische Gemeinschaftspraxis zur Verantwortung ziehen, mich auf sie stürzen mit Gebrüll?
Beruhigen wir uns wieder, und seien wir mal ehrlich: Es war letzten Endes nichts wirklich Dramatisches passiert. Ich hatte, wenn auch knapp, keine irreparablen Augenschäden zurückbehalten.
Und die Beweislage schien recht dünn, zumal ich den Eindruck hatte, meine Ärztin wollte ihre Aussage ungern öffentlich wiederholen. Sie hätte ‚unter Kollegen’ keinen Fuß mehr auf die Erde bekommen.
Mit der Operation selbst war ich bestens zufrieden, da hatte СКАЧАТЬ