Название: Mein Morbi und ich
Автор: Iris Weitkamp
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783847676690
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Von meiner damaligen Hausärztin hielt ich nicht besonders viel. Trotzdem wäre ich mit meinem neuen Problem zu ihr gegangen. Ich war damals ein Mensch, der kaum etwas ändert, wenn er nicht durch äußere Umstände dazu gezwungen wird. Im Nachhinein erwies es sich als Glück, dass die Ärztin nicht mehr praktizierte - auch wenn ich im ersten Moment eher schockiert als glücklich reagierte. An die alte Frau Doktor hatte ich mich gewöhnt, und ausgerechnet jetzt musste ich mir eine neue suchen. Je ‚intimer’ die zu erwartenden Untersuchungen sind, desto unwohler fühle ich mich bei einem Arzt. Nicht, dass ich es einer Ärztin gegenüber als angenehm empfunden hätte, mir in den Hintern schauen zu lassen. Peinlich? Oh ja, mehr als das. Eine Hausärztin gab es jedoch in unserem kleinen Ort nicht mehr.
So wendete ich mich an meine Frauenärztin, die ich sehr schätzte. Sie vermutete, dass es sich um Hämorrhoiden handele, und verschrieb eine Salbe.
Ich war niedergeschmettert. Hämorrhoiden! Bekamen so etwas nicht Leute ab siebzig, Leute mit Übergewicht und dicken blauen Krampfadern? Ich zog vor dem Spiegel den Bauch ein und schielte jeden Morgen im Bad argwöhnisch an meinen Beinen hinunter. Als nächstes würde ich eine Gehhilfe benötigen. Das Internet, der Beipackzettel der Salbe sowie Gespräche mit meiner Frauenärztin und der Apothekerin belehrten mich eines Besseren. Ich begriff, dass ich tatsächlich zur Zielgruppe gehören konnte, ohne außergewöhnlich schnell gealtert oder ein biologisches Wunder zu sein. Mit dieser Erkenntnis kam das Hadern mit dem Schicksal: Warum ich? Ach, warum musste ausgerechnet ich mit nicht mal vierzig Jahren Hämorrhoiden kriegen?! Scheiße, ich wurde ja wirklich bald vierzig! Alt, unattraktiv und nicht mehr begehrenswert ... Eine Frau mit Hämorrhoiden hatte keinen Sex, sondern trug Stützstrümpfe und Gesundheitsschuhe, ihre einzige Freude blieben Schundromane und billige Pralinen ... Jetzt geriet ich hart an die Grenze zur Hysterie. Hämorrhoiden an meinem Hintern, das ging ja gar nicht ... Ich hatte ein paar Tage schwer mit meinem albernen Schönheitwahn zu tun und vergaß fast das Eincremen.
Die Salbe linderte zwar die Schmerzen (nicht meine Hysterie), bewirkte aber sonst keine Besserung. Während einer Vorsorgeuntersuchung wies mich die Frauenärztin dann auf eine mögliche chirurgische Lösung hin.
Zwischendurch legte mir eine Freundin ihre eigene Hausärztin wärmstens ans Herz. Die habe wirklich Ahnung, sei enorm engagiert und außerdem soo nett ... Ich war nicht besonders überzeugt. Grundsätzlich bin ich skeptisch, wenn jemand einen Fachmenschen über den grünen Klee lobt. Außerdem residierte diese Superärztin mitten in der nächstgrößeren Innenstadt, ohne Parkmöglichkeiten in der Nähe und für mich von meiner Wohnung ‚auf dem Kuhdorf’ eine Weltreise weit entfernt. Andererseits ist diese Freundin eine clevere und kritische Frau, die weder zu blinder Heldenverehrung, noch zu überflüssigen Ratschlägen neigt. Irgendwann fühlte ich mich soweit, dass ich schließlich nichts mehr zu verlieren hätte, und machte mich auf den Weg. Und erlebte ein paar Überraschungen.
Die Praxis befindet sich in repräsentativster Lage, mit spektakulärem Blick auf jene Ecke der Innenstadt, deren Mieter „es geschafft haben“. Im scharfen Kontrast dazu steht die Einrichtung, die eher an eine Landarztpraxis der fünfziger Jahre erinnert. Hier und da sind Gegenstände aus folgenden Jahrzehnten hinzugefügt, aber anscheinend niemals etwas entfernt worden. Die Eingangstür zum Treppenhaus bockt dauernd und bleibt darum, wenn jemand des Streitens mit dem widerwillig schließenden Ding müde geworden ist, nur angelehnt. Das Wartezimmer verfügt über einen Wasserspender in der Ecke (zu dem ich oft nach meiner längeren Anreise als erstes hinstürze, irgendwie bin ich dauernd durstig) und ein wirklich erotisches Werbeplakat für eine Hepatitisimpfung. Eine ‚Ober-Sprechstundenhilfe’, die natürlich auch ober-tüchtig ist und keine Unarten durchgehen lässt (weder bei den Angestellten, noch bei den Patienten, nicht einmal bei den Ärzten) hält den brummenden Laden fest im Griff.
Die Tür wurde schwungvoll aufgerissen, und hinein stürmte ein blonder Wirbelwind: Meine neue Hausärztin und Lieblingsärztin auf ewig, nicht viel älter als ich, voller Power und Wärme. Ich merkte bald, dass sie sich gerne über das eine oder andere private Thema unterhält. Nicht, weil sie es in einer Vorlesung so gelernt hat, sondern aus echtem Interesse. Man fühlt den Unterschied, wenn sie nachfragt: „Und, sind Sie mal in dem neuen Geschäft gewesen, über das wir gesprochen haben, und haben sich was Schönes gekauft? Die haben doch tolle Klamotten, oder?“. Immer wieder müssen wir uns aus Fachsimpeleien über Gärten oder Reitställe herausreißen. In diese Praxis und zu dieser Ärztin gehe ich wie zu einem Plausch mit einer guten Bekannten.
Die Untersuchungen begannen ganz klassisch mit Blutbild, Urin- und Stuhlproben. Schon hier zeigten sich die besonderen Qualitäten meiner neuen Frau Doktor. Stuhlproben (zur Krebsvorsorge) waren bisher daran gescheitert, dass mein Bad über ein sogenanntes Tiefspüler-WC verfügt. Man kann sich mit ein bisschen Phantasie vorstellen, wie man, über den Topf gebeugt, für den Angelschein üben würde.Und ich konnte mich nie dazu überwinden, auf die Fliesen ... So nahm ich stets die Probentütchen brav mit, warf sie in den Mülleimer und hoffte, dass a) bei mir schon keine ernste Erkrankung im Anmarsch sein, und b) in der Praxis niemand nachhaken würde, wann Patientin X denn endlich ihre Proben abgäbe. Bisher war zumindest auf b) stets Verlass gewesen. Hatte ich nicht erwähnt, dass ein Darmleiden oft peinlich ist ...?
Irgendwie wollte ich diese energiesprühende Frau hier nun nicht wie üblich mit ‚Jaja, mach ich’ ablinken und brachte hochroten Kopfes meinen Einwand vor: „Äh, aber...“
„Na, es gibt doch für alles eine Lösung“, antwortete sie fröhlich und packte einige Stuhlfänger zu den Probenbeutelchen.
Das wäre doch mal ein Ratebegriff für ‚Genial daneben’! Was ist ein Stuhlfänger? Ein Tiefspül-WC-Ausbremser in Form eines langen, an den Enden selbsthaftenden Papierstreifens, der quer über den WC-Sitz geklebt wird und nach Probenahme in der Toilette entsorgt werden kann. Es klingt vielleicht albern, aber ich war unheimlich erleichtert. So eine simple und großartige Idee! Warum war keiner der anderen Ärzte darauf gekommen? Auf meine zaghafte Bemerkung, ich hätte einen Tiefspüler, bekam ich von denen allenfalls die mitfühlende, aber wenig hilfreiche Antwort:
„Hach ja, diese Tiefspüler nehmen immer mehr zu. Wir Ärzte sehen das ja überhaupt nicht gerne, da die Leute nun gar nicht mehr bemerken, ob sie normalen Stuhlgang haben ...“ Es folgte jeweils ein kleiner Vortrag, der in der Schule mit ‚Thema verfehlt’ unterschrieben worden wäre.
Auch mein Hämorrhoiden-Problem wurde von der neuen Frau Doktor begutachtet. Sie hielt es eher für eine Fissur und verwies mich an eine Chirurgische Gemeinschaftspraxis in derselben Stadt, die über ein großes Team kompetenter und stets auf dem neuesten Stand fortgebildeter Ärzte verfüge.
Schick!
‚Fissur’ klang für mich sofort sehr viel attraktiver als ‚Hämorrhoiden’. Das hörte sich wenigstens an wie etwas, das man auch mit Mitte dreißig bekommen konnte. ‚Fissur’ ließ mich eher an eine Verletzung denken als an Stützstrümpfe. Eine Verletzung war okay, fast ein bisschen heldenhaft, heldenhafter jedenfalls als eine plumpe Bindegewebsschwäche. Und es war etwas, worüber man sprechen konnte (jedenfalls über das ‚was’, vielleicht nicht unbedingt über das ‚wo’ - so am Po). Dafür würde ich mich gerne unters Messer legen, kein Problem.
Geradezu beschwingt fuhr ich nach Hause, optimistisch vom Schwung meiner neuen Lieblingsärztin, ausgestattet mit einem Rezept für Salbe sowie den genialen Stuhlfängern.
ZWEITES KAPITEL: Selten so gut geschlafen
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