Название: In der Umarmung zwischen zwei Schritten
Автор: Anton Volkov
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783750219311
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Ich lernte das dritte Jahr Tango, als ich das erste Mal in der argentinischen Hauptstadt war und so vieles über den Mythos Tango noch nicht wusste. Außerdem kannte ich nicht wirklich jemanden in Argentinien. Deshalb wandte ich mich an einige Russen, von denen ich wusste, dass sie dort leben. Eine hilfreiche Quelle auf meiner Entdeckungsreise durch Buenos Aires war auch die Tangozeitschrift, die sog. El Tangauta, in der ich einige Artikel zum Thema Tango lesen konnte. Damals konnte ich bereits einige Fetzen Spanisch. Aber viel mehr als 15 bis 20 Sätze waren das nicht. Wohl aber genug, um am Ende dieser Zeitschrift die Übersicht aller Tangoereignisse in der Stadt entziffern zu können.
Bei der Unterkunft hatte ich mehr Anfängerglück als Verstand. Ich suchte mir das billigste Zimmer aus und besichtigte es. Ein kleines, überschaubares, eher trostloses, aber zumindest sauberes Zimmer von ungefähr acht Quadratmetern. In der Ecke rechts hinten, deren Wände mit aus aller Herren Länder stammenden Keramikfliesen belegt waren, befand sich meine Dusche, an die linke kahle Wand gegenüber vom Fenster standen ein Bett und ein Stuhl, dicht aneinander gepresst. Kein Schrank. Kein Tisch. Einladend ist etwas Anderes. Aber die Lage dieses Loches war einfach traumhaft, mitten in Palermo Viejo, am Plaza Serrano. Deshalb mietete ich es sofort, um so nah wie möglich bei den drei bekanntesten Tangoclubs zu sein, die ich bis dahin nur vom Hörensagen kannte: La Viruta, Villa Malcolm und Salon Canning.
Was ich bei meiner Ankunft auch nicht wusste, war, dass gerade in diesem Zeitraum das C. I. T. A.-Festival begann, das Event aller Events des Tangotourismus, wohin alljährlich zahlreiche Liebhaber des Tango Argentino aus der ganzen Welt reisen.
So trat ich am Abend völlig aufgeregt in den Salon Canning und stellte mich mit der ausgewählten Tanguera sofort in die Ronda. Mirada, Cabeceo, alles war perfekt gelaufen. Ich war ziemlich erleichtert. Der Anfang war schon einmal geschafft. Aber alle meinen bis dahin gesammelten Lebenserfahrungen hatten mir kurze Zeit später nichts genützt. Ich hatte naiverweise erwartet, man würde mich mit offenen Armen erwarten. Ich war doch so weit gereist! Was danach kam, damit hatte ich nicht gerechnet.
In den darauffolgenden Sekunden machten noch ungefähr mehrere hundert TangotänzerInnen genau das Gleiche, Touristen, die so wie ich nicht wussten, dass man als erfahrene Tanguera und erfahrener Tanguero nicht zu Beginn einer Milonga an der Eingangstür steht und bis Mitternacht versucht, so viele Tandas wie möglich aufs Parkett zu legen. Auch von den Códigos hatten viele von uns nicht wirklich eine Ahnung. Die Tanzfläche ähnelte eher einem mit Autoscootern überfüllten Rummelplatz. Da stand ich nun da. Gelähmt. Überfordert. Ich versuchte, Ruhe zu bewahren. Ich konnte nicht einmal den winzigsten Schritt aller Schritte machen. In keinste Richtung. Ich war eingequetscht zwischen verschwitzten Körpern, gefesselt in einer stehenden, pulsierenden Masse in dem – angenehm abendlich – auf 29 °C gekühlten Saal. Die einzigen Anlagen, die diese erhitzte Wolke an Fleisch und Blut hätten mildern können, waren riesige Ventilatoren, die unter der Decke hängend die Dunstigkeit, den Zigarettenqualm und die Seufzer der Tangueras in einen brennenden Cocktail meines Jungfernbesuches der glorreichen Milonga in der Wiege des Tango Argentino mixten. Meine Gedanken schweiften zu dem Morgen des Vortages im kalten Moskau und ich fühlte mich so, als ob ich eine Kugel Opium verschluckt hätte – ich war genau dort, wo ich seit Monaten sein wollte. Aber…
Ich versuchte, auf kleinstem Raum zu tanzen, wie mir das meine TanzlehrerInnen beigebracht hatten, und dachte mir, man müsse verdammt gut sein, um in einer solchen Sardinenbüchse überhaupt einen Schritt machen zu können. Wären alle TangotänzerInnen wie selbstfahrende Fahrzeuge mittels intelligenter Technologie miteinander vernetzt und würden wir uns kontinuierlich elektronische Signale miteinander austauschen, gäbe es keine Zusammenstöße. Und wären wir auch noch entsprechend vorprogrammiert, um in Richtung der vorgeschriebenen Ronda zu tanzen, wären meine ersten Tandas in Buenos Aires sicherlich etwas anders ausgefallen. So aber musste ich mich ausschließlich auf meinen gesunden Menschenverstand verlassen.
Das C. I. T. A.-Festival, das in die Stadt einen dichteren Tangopuls bringt und die damit verbundene Industrie zu einem um mehrere Umdrehungen schnelleren Tempo antreibt, dauert zehn Tage. In diesem Zeitraum gastiert das Festival bei den regelmäßigen Milongas der städtischen Tangoclubs, jeden Abend in einem anderen Club. Ganze Cliquen von TangotänzerInnen aus aller Welt wandern im fliegenden Wechsel durch die Stadt.
Was ich erst später lernte, um 2 Uhr morgens treffen sich die guten einheimischen Tangueras und Tangueros im La Viruta-Club, zu jener Stunde, zu der Otto Normalbürger den Schlaf des Gerechten schläft, und dort keine Eintrittsgebühr mehr erhoben wird. Das wahre Tango-Buenos Aires kann man also in der Regel erst ab 2 Uhr nach Mitternacht erleben, aber es gibt auch einige gute Nachmittagsmilongas, wo man den traditionellen Tango erleben kann.
Einheimische wird man auf den Festivalmilongas kaum treffen. Diese machen um die Milongas im Rahmen des C. I. T. A.-Festivals einen großen Bogen, außer Jenen natürlich, die versuchen werden, ihr Geld zu verdienen.
Dazu gehören die sog. Taxis, erfahrene Tangueros, aber auch Tangueras, die gegen eine bestimmte Gebühr für einen bestimmten Zeitraum als TanzpartnerIn engagiert werden können. Dadurch kann man also für mindestens vier Stunden zu je dreißig Dollar einen guten Tanzpartner bzw. eine gute Tanzpartnerin exklusiv an seiner Seite haben. Getränke und Speisen sind im Preis nicht inbegriffen; es versteht sich jedoch von selbst, dass ein Taxi-Tanguero oder Taxi-Tanguera auch essen und trinken muss. Dazu kommt noch die Eintrittsgebühr für die Milonga. Dafür wird man dann aber bei der gewünschten Veranstaltung von einem exklusiven Tanzpartner bzw. einer exklusiven Tanzpartnerin begleitet.
Taxitänzer sind in der Regel gute Tangueros bzw. gute Tangueras, einige unter ihnen sogar sehr, sehr gute. Einer von ihnen war Luis, Argentinier, den ich in Buenos Aires kennen lernte. Der Typ tanzte wie ein Wirbelsturm, er war ein wirklich außerordentlicher Tangotänzer. Ich wunderte mich, warum um Gottes Willen er als Taxitänzer arbeiten müsse. Ich fand ihn einfach zu gut dafür. Zwei Jahre später traf ich ihn in Moskau wieder. Dieses Mal als Tangolehrer. Als Taxitänzer lernte er eine Tangolehrerin und Organisatorin von Milongas aus Moskau kennen. Diese Bekanntschaft führte zu einer Einladung, mit der Dame einen Monat in Moskau zu unterrichten. Später zog er sogar nach Russland, heiratete und ist heutzutage als anerkannter Maestro auf Tourneen durch das ganze Land unterwegs. Mittlerweile war er sogar bereits zweimal in Folge Finalist bei den Tango-Weltmeisterschaften in Buenos Aires, dem sog. Festival y Mundial de Tango. Ja, auch ein Taxitänzer kann Geschichte schreiben.
Ich stellte also fest, dass man als Tourist in Buenos Aires Einheimischen begegnet, die Tangueras und Tangueros – Taxitänzer und Maestros – sind. Das sind jene Menschen, die einen mit offenen Armen empfangen. Auch luxuriöse Hotels und Restaurants, die keinen Gourmet-Wunsch offen lassen, freuen sich über den Besuch von Touristen. Man kann ausgezeichnet СКАЧАТЬ