Название: Rapsgezeiten
Автор: Katrin Maren Schulz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783844255782
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Husum verzaubert mich, mit seinem weltoffenen Charme. So klein, und doch so selbstbewusst. Fühle mich wohl und lasse mich treiben. Über Kopfsteinpflaster und Marktplatz, entlang friesischer Bauweise, heimeliger Häuser. Durch kleine Läden, die Fußgängerzone, und am Hafen entlang. Herzallerliebst.
Ab wann empfindet ein Großstädter Stadt? Für mich, hier, in dieser Zeit, ist es genau das richtige. Es zeigt mir, wie nah sich Stadt- und Landleben auch sein können. In Berlin fühle ich mich so abgekapselt. Isoliert in der Stadt, verdammt zum Stadtleben. Dabei ist die Mauer doch schon fast zwanzig Jahre weg. Manchmal habe ich es mit Ausflügen ins Berliner Umland versucht. Habe versucht, dort einen Tag auf dem Land zu erleben, der das ausgleichen könnte, was mir zu viel ist an Stadt. Nie hat es mir auf diesen Ausflügen gefallen. Ich konnte keinen Bezug zum Berliner Umland entwickeln, nichts lieb gewinnen an der Landschaft dort. Fühlte mich immer fremd. Ob es daran liegt, dass die Nordsee nicht in der Nähe ist? Das hier fühlt sich genau richtig an: ein bisschen Husumer Stadtluft schnuppern, und dabei wissen, dass das Zuhause direkt an der Küste auf mich wartet.
Zu dem ich abends zurückfahre, durch die Landschaft, deren Anblick ich nach so kurzer Zeit schon so sehr liebgewonnen habe.
Sie mich auch?
Tag 7
Habe tatsächlich neun Stunden lang geschlafen, wie ein Stein. Wirres Zeug geträumt dabei. Von Männern, die einmal ein Rolle gespielt haben in meinem Leben. Oder es noch tun. Oder es noch gerne tun würden, oder ich noch gerne hätte, dass sie es täten. Wirres Traumzeug eben. Träumen entwirrt aber auch.
Es regnet, und ich fühle mich schlapp. Schlappes Ich drinnen, und Regen draußen, das passt: zu dem Bedürfnis, einfach nur zuhause zu sein an diesem Vormittag. Liegen bleiben, und diesen nächtlichen Traum von vergangenen Männergeschichten aus der Erinnerung tropfen lassen, bis sie leer ist und rein.
In Husum gestern habe ich eine Postkarte gekauft mit dem Spruch ‚meine Freundschaft endet nicht an deinen Grenzen‘. Sie hat mich erinnert an die letzte sich anbahnende Freundschaft, zwischen mir und einem so was von lieben Kerl aus Berlin. Wir hätten an dem einen Abend vielleicht doch nicht Rotwein trinken sollen. Oder zumindest nicht bei ihm zuhause, auf dem Sofa. Seit diesem Abend scheint er sich vor der Freundschaft zu scheuen.
Ich nicht. Ich wehre mich gegen seine Scheu.
Auch wenn man will, darf man das denn? Freundschaften händeln als seien es innigere und intensivere, als der andere will? Ich bin gerne mit Männern befreundet, komme gut mit ihnen aus. Klar, trocken, ehrlich ist das meist. Eigentlich ist die Freundschaft mit ihnen oft viel entspannter als mit Frauen - wenn nicht hin und wieder dieses Mann-Frau-Ding dazwischen käme. Dieses Ding, das die Frage nach dem Sex stellt. Und trotzdem bestehe ich auf Freundschaft. Eine Horizontale kann doch viele Vertikalen nicht zerstören, oder? Eine Horizontale darf doch keine Freundschaft zerstören. Die so oft möglich ist, und wundervoll, und bereichernd, wenn, ja wenn das blöde ‚Ding’ geklärt ist.
Städterfragen? Ich glaube hier stellt sich die keiner.
Die Tropfen draußen werden weniger, die Erinnerungstropfen im Kopf drinnen auch. Ich erfrische die Gedanken mit einem ausgedehnten Spaziergang durch die Ebbe. Füße massieren lassen vom welligen, harten, nassen Sand. Füße erwärmen in sonnendurchhitzten Pfützen. Vielleicht sind Freundschaften ja genauso: mal uneben und hart, mal tief und wärmend. Mal regnet es in ihnen, mal sind sie sonnendurchtränkt. Sie haben auch ihre Gezeiten.
Mit dem Himmel zusammen wird auch mein Kopf klar: zarte, reinweiße Wölkchen tummeln sich jetzt durch strahlendes, klares Blau.
Der Blick kann schweifen an diesem Strand, nahezu unabgelenkt. Wenige Pfahlbauten, sonst gibt es nichts. Kaum Konsumangebot. Der Strand hier gehört nicht zu denen, die zugebaut sind mit Strandbuden. Stattdessen präsentiert er großflächige Leere. Wäre diese Leere nicht, könnten sich die Menschen hier nicht verlieren, ihren Alltag verlieren, sich frei machen. Und genau das suchen doch wahrscheinlich die, die immer wieder kommen, hier. Ich auch.
Ich fange an, dieses Land zu lieben. Bin gerade mal eine Woche an diesem Ort. Und fange an, ihn zu lieben.
Auf dem Heimweg radle ich zum Supermarkt, um noch einmal so richtig einzukaufen. Auffüllen, als gäbe es kein Ende meiner Zeit hier. Denn das Ende eines Urlaubs zeichnet sich immer dann so unangenehm ab, wenn die Reste aus dem Kühlschrank aufgebraucht werden. Wenn es sich nicht mehr lohnt, ein ganzes Brot zu kaufen, oder einen ganzen Liter Milch. Wenn die Äpfel gezählt werden: einen noch für heute, und einen für die Reise. Nein, das will ich noch nicht. Der gefüllte Kühlschrank vermittelt ein Gefühl von Unendlichkeit. Von nicht endender Zeit hier.
Dieser Illusion mag ich mich hingeben, solange es noch geht.
Tag 8
Jetzt fühlt es sich wie zuhause an, wenn ich aufwache. Ein tiefes Gefühl von Zuhause-Sein breitet sich aus in mir, und ich mich darin. In meinem Garten, auf der Terrasse, an diesem sonnigen Morgen, ergeben Frühstücksreste und Schreibunterlagen ein eigenartiges Stillleben auf dem Tisch. Mein Stillleben, ein Bild meines Lebens hier.
Wie schnell sich das entwickeln kann, ein neues Leben.
Ich habe auch schon andere Alleinurlaube erlebt: da hat es mir nicht gefallen, so dass ich mich völlig fehl am Platz fühlte, und wusste nicht wirklich wohin mit mir. Habe dann eben das gemacht, was Touristen so machen, und uneingestanden doch das Ende des Urlaubs herbeigesehnt. Hier ist das anders: ein Ort kann einen willkommen heißen, wie es Menschen auch können. Das ist schwer vorstellbar, aber seit meinem Aufenthalt hier bin ich überzeugt davon, dass Orte ein Wesen haben können, ein Wesen, das mit einem kommuniziert, das einen in den Arm nimmt. Fremd und rührend zugleich ist es. Ein Gefühl, angekommen zu sein, wo ich hin sollte.
Mein Fundstück: die Halbinsel, der Ort, das Haus, der Garten. Mittendrin ich: angekommen.
Da ist diese Frau wieder, draußen, geht am Haus vorbei, die Straße entlang, mit ihrem Hund. Ich habe sie gestern schon gesehen, im Kiefernwäldchen bei den Dünen, mittendrin, abseits des Weges. Da stand sie, still, regungslos. Starrte in die Kiefern, in die Leere, wohin? Alterslos scheint sie, langes wildes lockiges Haar, fast schwarz. Verbeulte Jeans, mit Spuren des Waldes daran, erdig. Eine dicke Strickjacke trägt sie immer, wie selbstgestrickt, grobmaschig, braun wie die Kienäpfel. Sie fällt auf, diese Frau. Sie sieht so anders aus, anders als die Einheimischen. Wilder, fremder. Anders als die Touristen. Präsenter, bewusster. Sich selbst bewusster, klarer, sicherer. Und dabei so entfernt, so unnahbar. Genauso ihr Hund: stolz, erhobenen Hauptes, und zottelig und verwegen zugleich. Haben sich wohl schon über viele gemeinsame Jahre einander angepasst, die beiden. Sie scheint hier umherzustreunen. Ob sie überhaupt ein Zuhause hat? Sie sieht nicht so aus, die Vagabundin aus dem Dünenwäldchen.
Könnte mich ja mal bei meinem Vermieter, Herrn Hansen, nach ihr erkundigen. Bestimmt ist sie hier im Ort bekannt. Sollte sowieso mal hin, zu Herrn Hansen, der ein paar Häuser weiter von meinem Häuschen entfernt lebt. Ich solle vorbei kommen, wenn ich mich einsam fühle, hatte er an meinem Ankunftstag gesagt.
Nun ja, ich war noch nicht dort. Ich fühle mich nicht einsam. Ich genieße das Alleinsein.
Vielleicht sehe ich heute Abend auf dem Heimweg bei ihm vorbei. Jetzt ruft mich erst mal die Sonne an den Strand, und ich folge ihr gerne.
Es ist sehr warm heute, und der Wind schwach. Badewetter. Ich gehe ein Stück am Strand entlang, so weit, bis das Getümmel der Badenden übersichtlicher wird.
Es hat etwas Himmlisches СКАЧАТЬ