Название: Digitale Evolution, Revolution, Devolution?
Автор: Brendan Erler
Издательство: Bookwire
Жанр: Математика
isbn: 9783741851414
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Ausgangspunkt und Analyseschwerpunkt einer poststrukturalistischen Diskursanalyse ist eigentlich die Struktur, das dem Diskurs zugrundeliegende Regelsystem, nicht die Handlung oder der Akteur. Ziel ist es, die Mechanismen aufzudecken und darzustellen, die die Entstehung von Sagbarkeitsräumen steuern und über Wahrheit und Lüge, richtig oder falsch entscheiden. Dies erscheint jedoch ohne die Suche nach Bedeutung und die (hermeneutische) Figur des Autors nur schwer denkbar. Eine Analyse, die über die quantitative Auszählung von Häufigkeiten hinausgehen, sich also qualitativ betätigen will, wird um den Akt der Interpretation nicht umhin kommen. Und jegliche Form der inhaltlichen Kategorisierung und Codierung, beispielhaft die Sammlung von Diskurspositionen, erfordert den Rückschluss auf Bedeutung, die von Foucault befürchtete und abgelehnte Suche nach dem Hintersinn von Texten, Sätzen, Worten, „in anderen Worten, auch die Diskursanalyse kommt schwerlich ohne das basale Handwerkszeug hermeneutischer Methodik aus“ (Waldschmidt et al. 2009 142).
Schon in der Kritik am Strukturalismus wurde darauf verwiesen, „die Rede von Codes und Kodierung komm[e] nicht ohne einen Begriff von Bedeutung aus“ (Keller 2008, 107). Die Relevanz und Bestimmung des Subjekts mag strittig sein, eine qualitativ-interpretative Analyse des Diskurses ist ohne Vorstellung von Subjekt und Autor nicht vorstellbar: "Structuralist semiotics does not avoid the problem of interpretation by defining the subjective actor as a mere speaker, selector, or bricoleur. The hidden interstices are those linking the norms, rules, codes, and other formalized structures with the behaviour, practice and doing of social life" (Manning zit. nach ebd.). In diesem Sinne stehen der vermeintlichen Unversöhnlichkeit strukturalistischer und subjektivistischer Theorielager deutliche Übereinstimmungen im Forschungsalltag gegenüber. Dreyfus und Paul Rabinow (1994) betonten die Überschneidungen der Diskurstheorie mit hermeneutischer Interpretationspraxis und deklarierten Foucaults Methododologie „jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik“ als „interpretative Analytik“.
Reiner Keller adaptiert den Begriff der „interpretativen Analytik“ in seinem Versuch, Subjekt und Struktur gleichberechtigt einzubeziehen. Wissenssoziologie und Diskurstheorie eint ihre Grundüberzeugung der gesellschaftlichen Konstruktion von Wissen und Wirklichkeit. Im Gegensatz zum Strukturalismus verweist die Wissenssoziologie auf die eigenständige Bedeutung des Individuums als „Mitbegründer“ der Wirklichkeit. Die damit betriebene Rehabilitation des Subjekts durch Verschmelzung der Wissenssoziologie mit der Diskurstheorie nach Foucault ist jedoch nach Keller kein Ausdruck einer irgendwie gearteten „Subjektsphilosophie“. Vielmehr geht auch die Wissenssoziologie von einer Vorstrukturierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit aus, jedoch eröffnet diese Perspektive den Blick auf die Momente des Subjekts und ermöglicht so die Berücksichtigung gesellschaftlicher Akteure und deren diskursiver Positionen (vgl. Keller 2005, 64ff.).
Diaz-Bone bezweifelt eine derartige fruchtbare Verbindung beider “Forschungslager“ und verweist auf die vermeintlichen theoretischen wie methodologischen Inkompatibilitäten einer Arbeitsteilung zwischen Mikrowissenssoziologie (Berger / Luckmann) und Makrowissenssoziologie (Foucault). Für ihn ist die interpretative Analytik mehr als eine „spätstrukturalistische Hermeneutik“ von Texten, denn sie bezeichnet das System der diskursanalytischen Strategien und Denkweisen für den Forschungsprozess insgesamt (Diaz-Bone 2005, 181). Mit der Anwendung qualitativer Methoden soll jedoch nicht das Grundkonzept des interpretativen Paradigmas übernommen, sondern die bestehenden Überschneidungen und Verbindungen von Diskurstheorie und Wissenssoziologie in der Forschungspraxis betont werden und „die Herausforderung auch in methodologischer Hinsicht liegt [vielmehr] darin, Ansätze zu entwickeln, die beide Ebenen sinnvoll miteinander verknüpfen“ (Waldschmidt 2003, 150).
Auf diesem Wege lässt sich auch die beschworene Kluft zwischen Strukturalismus und Hermeneutik überwinden. „Alle Sozialwissenschaftliche Hermeneutik, was immer sie sonst noch tut, problematisiert grundsätzlich die Annahme, man wisse, wie etwas ‘wirklich‘ sei, ohne dass man einsichtig machen könnte, wie man solches überhaupt wissen kann. (...) Ihr Anspruch besteht (...) darin, die Grundoperationen sozialwissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung schlechthin ihrer epistemologischen Naivität zu entkleiden, sie zu rekonstruieren und zu erhellen“ (Hitzler / Honer 1997, 23f.). In dem die sozialwissenschaftliche Hermeneutik problematisiert, „wie etwas wirklich sei“ und die Forschung „ihrer epistemologischen Naivität“ entkleidet, relativiert sie strukturalistische Vorbehalte zur Existenz von „Wahrheit“ und „Sinn“ und schlägt somit eine Brücke zur gemeinsamen Analyse von Alltag, Medien und Wissenschaft:
„Von ‘interpretativer Analytik‘ spreche ich auch deswegen, weil sich die Wissenssoziologische Diskursanalyse im Unterschied zu anderen Ansätzen qualitativer Sozialforschung nicht per se für die ‘Bedeutungseinheit‘ eines einzelnen Dokuments (etwa eines Textes) interessiert, sondern davon ausgeht, dass ein solches Datum nur Bruchstücke oder ‘Fragmente‘ (Siegfried Jäger) eines oder mehrerer Diskurse artikuliert. Deswegen bricht sie die materiale Oberflächeneinheit der Texte auf und rechnet die Ergebnisse der analytischen Zergliederung und interpretierenden Feinanalyse mitunter auf verschiedene Diskurse zu. Daraus entsteht stufenweise das Mosaik des oder der untersuchten Diskurse“ (Keller 2005, 68).
2.4.6 Diskurstheorie und Cultural Studies: Kultur als Kampf um Bedeutung
In den Cultural Studies wurden vor allem Stuart Hall und John Fiske dafür bekannt, poststrukturalistische Einsichten in die Macht der Struktur mit der Vorstellung eines eigenständigen Handlungsspielraums des Subjekts und einem Fokus auf die Rezeption zu verbinden. Sowohl Vertreter des Poststrukturalismus als auch der Cultural Studies negieren die marxistische Vorstellung von Basis und Überbau und der determinierenden Kraft der Ökonomie und rücken die Kultur ins Zentrum der Betrachtung. Im Zuge des „cultural turn“[40] verquickt das Konzept von Kultur als „signifying practice“ mit ihrem eigenen „determinate product: meaning“ (zit. nach Hepp 2008, 116) das determinierende Moment des Diskurses mit einer gewissen Freiheit der Aneignung, Momenten des Subjekts.[41] Dies geschieht unter anderem mit Hilfe von Konzepten der Polysemie und des Dekonstruktivismus (Derrida, Barthes). In Anlehnung an Michel Foucault kann Kultur „nämlich als Summe der verschiedenen Klassifikationssysteme und diskursiven Formationen verstanden werden, die Sprache verwendet, um den Dingen Bedeutung zuzuordnen“ (Hall 2002, 108).
Von besonderer Relevanz für diese Arbeit ist die angenommene Zentralität von Kultur im „Kampf um Bedeutungen“, dem „Klassenkampf in der Sprache“ (Hall 1999a, 101). Analog zur Frage des Verhältnisses von diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken behauptet Hall nicht, “dass »alles Kultur ist«, sondern dass jede soziale Praktik sich auf Bedeutung bezieht, dass Kultur folglich eine Existenzgrundlage dieser Praktik ist und dass somit jede soziale Praktik eine kulturelle Dimension hat. Nicht dass es nichts als den Diskurs gibt, sondern dass jede soziale Praktik einen diskursiven Charakter hat“ (Hall 2002, 113). Kultur (also auch das Verhandeln über das Wesen von Kultur in unserem Fall am Beispiel der Musik- und Literaturbranche) ist ein zentraler Ort sozialer Auseinandersetzung und die im Diskurs zum СКАЧАТЬ