Название: Digitale Evolution, Revolution, Devolution?
Автор: Brendan Erler
Издательство: Bookwire
Жанр: Математика
isbn: 9783741851414
isbn:
Link begegnet dieser Frage mit der Einführung des an Foucault / Pêcheux angelegten Begriffs des Interdiskurses. Pêcheuxs Konzept des Interdiskurses „erlaubt die Frage nach den Prozessen, unter denen sich diskursive Referenzen herstellen, in ihrer ganzen Tragweite zu stellen und ebenso die Alltagssprache (Alltagsfiktion)“ in den Blick zunehmen (Pêcheux, zit. nach Waldschmidt et al. 2009, 60). Pêcheux löst sich somit von Foucaults Fokus auf die Wissenskonstruktion und Vermittlung innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen. Im Kontrast zur strukturalistischen Annahme geschlossener diskursiver Systeme betont er in Anlehnung an Althusser und in Abgrenzung zur Annahme der Kohärenz von Diskursen deren Widersprüchlichkeit (ebd., 60).
Althussers Ideologietheorie wandte sich vom klassisch-marxistischen Basis-Überbau-Modell, welches sich starr auf die vorherrschenden Besitzverhältnisse als Erklärungsansatz für bestehende Machtverhältnisse konzentrierte, ab und der Bedeutung der Ideologie zur Aufrechterhaltung von Dominanz zu. Ideologie wird nun nicht einfach von der herrschenden Klasse propagiert, sondern manifestiert sich in der Privatsphäre der Bürger als „das imaginäre Verhältnis der Individuen zu ihren wirklichen Lebensbedingungen“ (Althusser zit. nach Diaz-Bone 2010, 101). Ideologie fungiert hier als Orientierungshilfe in und Deutungshilfe der Welt, jedoch sind die von Althusser so benannten ideologischen Staatsapparate (z.B Familie, Medien, Kultur) auch Orte des Widerspruchs, an denen sich soziale Spannungen und Kontroversen entladen (können) (vgl. Althusser 1973). Für Pêcheux korrespondieren nun die ideologischen Formationen nach Althusser mit den diskursiven Formationen nach Foucault, wobei der Diskurs das sprachliche Abbild der ihn umgebenden Ideologie ist. Die Widersprüchlichkeit des Interdiskurses spielt hier insofern eine Rolle als sie das Konzept einer geschlossenen „Diskursmaschine“ aufbricht und somit den Weg für die Integration des diskursiven Ereignisses ebnet (Diaz-Bone 2010, 97ff.).[39]
Neben einer Tendenz der Wissensspezialisierung mit dem Ziel der „Beseitigung aller Uneindeutigkeiten und Konnotationen mit dem Idealtyp der mathematischen Formel“ (Link 2005, 86) macht Link eine „partiell reintegrierende Tendenz der Wissensproduktion“ aus, „deren Spezialität sozusagen die Nicht-Spezialität ist“ (ebd., 87) und die er mit Pêcheux als Interdiskurse bezeichnet. In der zunehmend komplexen, ausdifferenzierten und unübersichtlichen Welt der postmodernen Wissensgesellschaften dienen diese Interdiskurse als Brücken zwischen den Spezialdiskursen und Anker der Orientierung und Komplexitätsreduktion. Im Kontrast zur erstrebten Objektivierung des Wissens in den Spezialdiskursen dient der Interdiskurs in seiner Zugänglichkeit und Verständlichkeit als Ort der Identitätsbildung. Der weniger elaborierte, jedoch nicht minder wichtige Teil des Interdiskurses bildet den Alltagsdiskurs oder die Elementarkultur, die „nicht in erster Linie als Kultur sozialen Defizits, sondern vor allem als Kultur intensivster Subjektivierung des Wissens fungiert“ (ebd., 90). Link unterlässt eine genaue Abgrenzung beider Begriffe, jedoch scheint der Interdiskurs vornehmlich Subjektivierungsangebote zur Verfügung zu stellen, während dann im Alltagsdiskurs entschieden wird, welche Deutungsmuster und Subjektivierungsweisen sich tatsächlich in Überzeugungen und Handlungen übertragen (vgl. Waldschmidt et al. 2009, 62f.).
Zwar hat Foucault sein Interesse für das ereignishafte „Wuchern an den Randzonen des Diskurses“ bekundet, jedoch nicht weiter konkretisiert. Daher verbleiben die diskursiven Effekte auf den Alltag eine Leerstelle Foucaultscher Diskurstheorie. Im vorliegenden Fall gilt das Interesse aber gerade nicht den Stammtischgesprächen des „gemeinen Volkes“, sondern den elaborierten Deutungs- und Kulturkämpfen der gesellschaftlichen Eliten in ausgewählten Spezial- und Massenmedien. In diesem Zusammenhang können die öffentlichen Auseinandersetzungen zu einzelnen Themen als „diskursive Ereignisse mittlerer Reichweite“ innerhalb des Interdiskurses bezeichnet werden und der „zivilgesellschaftliche Interdiskurs“ kann als „Diskurs im Sinne Foucaults“ mit der Kopplung „ritualisierte[r] Redeformen, Handlungsweisen und Machteffekte[n] (Link zit. nach Keller 2004, 32) betrachtet werden.
Keller adaptiert zwar das Konzept des Interdiskurses, nicht jedoch seinen Namen wegen dessen explizit strukturalistischer Tradition im Sinne von Foucault, Pêcheux und Link und plädiert dafür „von öffentlichen Diskursen zu sprechen, im Unterschied zu den Spezialdiskursen, für die sich Foucault in erster Linie interessierte“ (Keller 2005, 66). Da auch diese Arbeit nicht der reinen Lehre des Strukturalismus folgt, auch das Subjekt als Akteur in seiner Widersprüchlichkeit zwischen Handlung und Struktur in den Blick nimmt und im Sinne Kellers an Methoden der qualitativen Sozialforschung anknüpft, des Weiteren der Begriff des öffentlichen Diskurses (in Anbetracht der Fokussierung auf die Massenmedien) den Sachverhalt schlicht besser beschreibt und sich eher erschließt, wird in Folge in diesem Zusammenhang vom öffentlichen Diskurs gesprochen.
2.4.5 Hermeneutik und interpretative Analytik: Die vergebliche Suche nach Sinn?
Rainer Keller verbindet in seiner „Wissenssoziologischen Diskursanalyse“ wie erläutert handlungstheoretische und strukturalistische Elemente und offeriert einen Weg zur Versöhnung von Diskurs- und qualitativer Sozialforschung. Cultural Studies und konstruktivistische Wissenssoziologie eint die Annahme des „kreativen Potentials“ der Subjekte: „Ähnlich wie Foucault betont die sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie die gesellschaftlichen und historischen Konstruktionsprozesse des Wissens, die der Wirklichkeitskonstitution im Bewusstsein einzelner Akteure zugrunde liegt. Im Unterschied zu Foucault verweist sie jedoch auf das ‘kreative‘ Potenzial bzw. den mehr oder weniger ‘eigenwilligen‘ Umgang sozialer Akteure mit den gesellschaftlichen Wissenspolitiken und -strukturen sowie den Widrigkeiten ‘weltlicher Umstände‘“ (Keller 2005, 64).
Zentral für die Annäherung von Diskurs- und qualitativer Sozialforschung sind die Begriffe der „Hermeneutik“ und „interpretativen Analytik“. Der (Post-)Strukturalismus und insbesondere Foucault verstanden sich als Gegenentwurf zur Tradition der Hermeneutik und dem interpretativen Paradigma der Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Verweigerung der Suche nach Sinn war eine bewusste und beabsichtigte Abkehr von der hermeneutischen Praxis des Verstehens, der er vorwarf, das zum Schweigen zu bringen, was sie zum Reden zu animieren gedachte. Der diskursive Akt untersteht demnach keiner Sinngebungsinstanz, sondern stellt in seiner Materialität einen positiven Fakt des Diskurses dar, der möglicherweise auf andere Akte verweist. Diskursanalyse will in diesem Verständnis nicht den subjektiven Sinn verstehen, sondern die Streuung und Regelhaftigkeit von Aussagen in diskursiven Formationen messen, weshalb Foucault die Diskursanalyse in Abgrenzung zur Hermeneutik auch als „glücklichen Positivismus“ bezeichnete: „Eines muss auf jeden Fall unterstrichen werden: Die Analyse des so verstandenen Diskurses enthüllt nicht die Universalität eines Sinnes, sondern sie bringt das Spiel der - mit der fundamentalen Kraft der Affirmation - aufgezwungenen Knappheit an den Tag. Knappheit und Affirmation, Knappheit der Affirmation - und nicht kontinuierliche Großzügigkeit des Sinns, nicht Monarchie des Signifikanten. Und nun mögen jene, deren Sprache arm ist und die sich an dem Klang von Wörtern berauschen, sagen, dass das Strukturalismus ist“ (Foucault1974, 44).
Gerade weil die Foucaultsche Diskursanalyse sich theoretisch mehr oder weniger stark von vom interpretativen Paradigma der qualitativen Sozialforschung abzugrenzen sucht(e), ist die theoretische Verortung des eigenen Diskursverständnisses für die dann folgende empirische Forschungspraxis von elementarer Bedeutung. Eben diese Forschungspraxis verblieb bei Foucault jedoch ein blinder Fleck, seine methodischen Anleitungen vage und sein eigenes Vorgehen konnte der Stringenz seiner theoretischen Ausführungen nicht entsprechen. Insbesondere seine theoretische Absage an die Hermeneutik steht seinem eigenen Hang zur freien, qualitativen Interpretation gegenüber (vgl. z.B. Jäger 2007, 7; Keller 2005, 57f.): „Der in der Archäologie des Wissens entwickelten Methodologie und ihrem Ideal des objektiven Blicks steht mithin eine empirische Praxis gegenüber, СКАЧАТЬ