Название: Der Mann von Marokko
Автор: Edgar Wallace
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783752946932
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»Darf ich einen Augenblick eintreten?« fragte Joan. »Eigentlich erwartet man mich in Creith – wenigstens unser Besuch erwartet mich. Mein Vater denkt wohl weniger daran. Er hofft nur immer, daß ein Wunder passiert und ihm eine Million in den Schoß fällt, ohne daß er sich anstrengen muß. Und denken Sie, dieses Wunder hat sich nun tatsächlich zum Teil erfüllt!«
Mrs. Cornford blickte erstaunt auf.
»Wir sind nicht reich«, fuhr Joan fort. »Wir gehören zum verarmten Landadel. Der Herrensitz, die Güter und unser Londoner Stadthaus sind – oder waren wenigstens bis zur vorigen Woche – mit Hypotheken überlastet. Wir sind die ärmste Familie in der Gegend.«
Mrs. Cornford war über Joans offenes Bekenntnis verwundert.
»Das tut mir leid«, sagte sie. »Es muß schrecklich für Sie sein.«
»Ach, ich mache mir nicht viel daraus. Hier sind alle Leute arm, mit Ausnahme dieses geheimnisvollen Mr. Morlake, den man allgemein für einen Millionär hält. Aber er steht wahrscheinlich nur deshalb in dem Ruf, weil er nicht mit anderen Leuten über seine Schulden und Hypotheken spricht.«
Mrs. Cornford schwieg und sah nur traurig auf das schöne Gesicht Joans. Sie kannte sie nun seit einem Jahr; eine Zeitungsannonce, in der sie um Näharbeit bat, hatte Joan in die kleine, enge Vorstadtwohnung geführt, wo sich die Frau mit ihrem Töchterchen durch ihre geschickte und flinke Arbeit ernährte.
»Die Armen haben es nicht leicht«, meinte sie nach einer Pause.
Joan schaute auf.
»Sie sind früher auch bemittelt gewesen. Ich wußte es. An einem der nächsten Tage müssen Sie mir einmal Ihre Geschichte erzählen – aber nein, ich will Sie damit nicht quälen. Kennen Sie eigentlich Mr. Morlake?«
Mrs. Cornford lächelte.
»Er scheint hier in der Gegend eine Art Sehenswürdigkeit zu sein. Ich würde ja kaum etwas von ihm wissen, aber die Phantasie der Leute hier beschäftigt sich sehr mit ihm. Das Mädchen aus dem Dorf, das Sie freundlicherweise geschickt haben, um das Häuschen in Ordnung zu halten, hat mir schon viel von ihm erzählt. Ist er ein Freund von Ihnen?«
»Er ist mit niemandem befreundet. Im Gegenteil, er ist so ablehnend und abweisend, daß er reich sein muß. Ich dachte früher einmal daran, daß er mein Freund sein könnte.« Bei diesen Worten seufzte sie.
»Ich weiß nicht, ob Sie im Ernst sprechen und ob Sie wirklich so traurig sind«, erwiderte Mrs. Cornford lächelnd.
Joans Züge wurden undurchsichtig.
»Sie glauben wohl nicht, daß auch ich eine traurige Geschichte haben könnte? Ich bin schon recht alt – beinahe dreiundzwanzig.«
»Sie sehen aber viel jünger aus!«
»Vielleicht habe auch ich ein schreckliches Geheimnis.«
»Das kann ich doch kaum annehmen.«
Joan seufzte wieder.
»Ich werde jetzt zu meinen Sorgen und Lasten zurückkehren.« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich.
Die ›Sorgen und Lasten‹ spazierten zu der Zeit gerade die lange Allee von Walnussbäumen entlang.
»Ich freue mich sehr, daß Sie zurückgekommen sind«, sagte Hamon mit schlecht angebrachter Heiterkeit, als sie ihn überholte. »Ich habe mich sehr nach Ihnen gesehnt!«
3
Ferdinand Carston, der neunte Earl von Creith, war eine schlanke, sympathische Erscheinung, aber ein etwas eigensinniger und querköpfiger Mann. Während seines ganzen Lebens hatte er versucht, Unannehmlichkeiten möglichst aus dem Weg zu gehen, und dadurch hatte er manchen Verlust erlitten. Er liebte es nicht, von seinen Rechtsanwälten, seinen Inspektoren und seinen Pächtern gestört zu werden, und man durfte ihn nicht mit Agenten behelligen. So kam es, daß er seine Leute kaum kannte und die wenigsten von ihnen sich die Mühe machten, ihm genaue Abrechnungen zu schicken. Von Zeit zu Zeit faßte er den guten Vorsatz, sich aus seinen Schulden herauszuarbeiten, und ließ sich auf Spekulationen ein. Da er sich aber weder um Geschäftsberichte kümmerte, noch sich nach der Güte der Geschäfte erkundigte, geriet er in immer größere Schwierigkeiten.
Und plötzlich tauchte ein sehr liebenswürdiger Finanzmann unter seinen Bekannten auf, der es unternahm, all seine unangenehmen Verbindlichkeiten zu regeln, die Klagen der Banken zu beschwichtigen und vor allem die aufdringlichen privaten Geldgeber zu beruhigen. Lord Creith war sehr dankbar dafür, verkaufte ihm die Anwartschaft auf die Güter der Creith und war nun mit einem Male nicht nur all seine Schulden los, sondern verfügte sogar noch über flüssige Mittel.
Er saß in seiner Bibliothek und las mit größtem Interesse in einem Auktionskatalog, als plötzlich sein Gast eintrat.
»Hallo, Hamon!« sagte er, ohne sehr erfreut zu sein. »Haben Sie schon gefrühstückt?«
»Joan war nicht hier.«
»Hat sie außerhalb gefrühstückt?« Lord Creith sah ihn über seine Brille hinweg an.
Hamon nahm sich einen Stuhl.
»Haben Sie schon jemals daran gedacht, was geschehen wird, wenn Sie sterben?« fragte er ohne weitere Einleitung.
»Nein – bestimmt nicht! Ich bin immer regelmäßig zur Kirche gegangen, obgleich die Abgaben und die Kirchensteuer ganz niederträchtige Belästigungen sind – und ich hoffe, daß mir die Himmelstür nicht verschlossen bleibt –«
»Ach, davon rede ich nicht. Ich meine, was nach Ihrem Tod aus der Familie Creith werden soll?«
»Den Titel erbt Joan – nach unseren Familiengesetzen kann auch die Frau erben«, erklärte der Lord unwillig. »Aber warum quälen Sie mich denn mit solchen Einzelheiten, mein Lieber? Wenn Joan die Güter und das Herrenhaus behalten will, müßte sie Ihre Frau werden. Ich hätte nichts dagegen. Wir haben schon früher ganz merkwürdige Kerle in unserer Familie gehabt, und ich glaube, das wird auch so bleiben. Meine Urgroßmutter hatte sogar ein hölzernes Bein.«
Mr. Ralph Hamon überhörte die Beleidigung, die in diesen Worten lag.
»Wenn Joan nicht selbst die Absicht hat, mich zu heiraten, dann könnten Sie doch Ihren großen Einfluß auf sie geltend machen.«
Lord Creith nahm umständlich seine Brille ab.
»Sie meinen, ich hätte einen großen Einfluß auf meine Tochter? Da irren Sie sich aber gewaltig. Sie nimmt nicht den leisesten Rat von mir an. Ich muß zwar zugeben, daß ich ein schlechter Ratgeber bin. Sie soll nur ruhig tun, was sie mag. Ihre verewigte Mutter war genau wie sie. Aber machen Sie mir doch nicht mit all diesen Dingen den Kopf heiß!«
»Nehmen wir einmal СКАЧАТЬ