»Ich warte«, sagte Hardmeier.
»Und ich arbeite«, erwiderte sie ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
Gab er nun endlich auf? Sie schrieb weiter, als wäre er nicht da. Es tat ihr gut, ihn so zu ignorieren. Etwas wie Stärke kam in ihr auf. Nun würde er gehen müssen!
Die Tür wurde geöffnet. Violette spürte, wie Hardmeier sofort eine andere Haltung annahm. Sie selbst hob langsam den Kopf und entdeckte den Buchhalter, der das Büro betrat und auch gleich zur Seite ging, weil er vermutlich annahm, dass der Fahrer sich nur für einen kurzen Botendienst hier befand und den Raum gleich verlassen würde. Doch Hardmeier blieb neben dem Schreibtisch stehen. Für Sekunden entstand eine schwebende, unschlüssige Stimmung.
»Bitte entschuldigen Sie die Störung«, brach Mangold das kurze Schweigen, wobei er sehr leise sprach und sich dabei ausschließlich an Violette wandte. »Ich möchte ihnen mitteilen, dass Sie auch die Post für Herrn Werenfels direkt an mich weiterleiten sollen.« Danach blickte er zu Hardmeier, der erstaunlicherweise noch immer da stand und sogar mit interessiertem Gesicht zuhörte.
»In Ordnung«, sagte Violette und tippte weiter.
»Gibt es Probleme?«, wandte sich Mangold dann an den Fahrer.
»Probleme?«, wiederholte der. »Brenner macht hinten die Lieferung fertig, aber Probleme gibt es keine.«
»Ich benötige Sie nun nicht mehr, Herr Hardmeier«, mischte sich Violette ein. Sie fand das sehr geschickt, denn nun musste er das Büro verlassen!
Hardmeier schritt durch die Tür, die er, diesmal bestimmt absichtlich, offen ließ.
»Was hat Herr Hardmeier denn um diese Zeit in ihrem Büro zu suchen?«, wollte der Buchhalter wissen.
»Vielleicht hat er etwas gesucht«, antwortete sie.
»Bitte, Fräulein Girold«, sagte Mangold noch immer sehr leise, trat aber einen Schritt näher. »Ich will mich nicht einmischen, aber Sie wissen, dass der Chef die privaten und die geschäftlichen Angelegenheiten gerne getrennt sieht.«
Nun schaute Violette ihn direkt an, doch er wich ihren Augen aus. »Was meinen Sie damit?«, fragte sie.
»Ich wollte Sie nur daran erinnern – jetzt, wo der Chef nicht im Hause ist«, erwiderte er, drehte sich in seiner steifen Art um und verließ das Büro.
Was war hier los? Violette spürte, dass sich seit dem Morgen etwas verändert hatte. Nur mühsam konnte sie wieder in ihre Arbeit zurückfinden.
Kurz vor drei Uhr polterte es draußen im Flur. Jemand hatte die Eingangstür aufgestoßen und – vermutlich durch das Hantieren mit einem Regenschirm – den blechernen Kübel, der als Schirmständer diente, umgeworfen. Einige undeutliche Worte folgten, aus denen Verärgerung herauszuhören war. Dann klopfte es an die Bürotür, die, bevor Violette etwas sagen konnte, geöffnet wurde.
Es war Frau Werenfels, die, in einem schwarzen Pelzmantel und Entschlossenheit im Gesicht, den Raum betrat. Auf dem Kopf trug sie eine Mütze, die aus dem gleichen Pelz wie der Mantel gefertigt war, ein breites, rundes Ding, unter dem streng frisiertes, nicht sehr langes, graues Haar hervorschaute. Etwas außer Atem holte sie mit dem Arm zu einer dominanten Geste aus. »Was ist denn das für eine Unordnung bei den Regenschirmen draußen!«, fing sie mit krächzender Stimme an. »Sehen Sie nur!«, fuhr sie fort und hob dazu ihren blauen Regenschirm in die Luft. »Wo soll ich den nun ablegen?«
»Guten Tag, Frau Werenfels«, begrüßte Violette die Frau freundlich, erhob sich von ihrem Stuhl, um ihr behilflich zu sein.»Machen Sie mal Ordnung in diesem Schirmständer«, wurde Violette von ihr weiter angefahren. »Und nehmen Sie mir endlich den Schirm ab!« Mit nervösem Blick schaute sie sich um und schenkte Violette keine Beachtung, als die ihr vorsichtig den Regenschirm abnahm.
»Wohin gehen Sie damit?«, rief ihr Frau Werenfels nach, als Violette das Büro verlassen wollte.
»Ich schaue nach, ob es im Schirmständer nicht doch einen Platz gibt.«
»Das habe ich selber schon versucht.« Frau Werenfels schüttelte verständnislos den Kopf. »Kaum ist mein Mann nicht hier, geht es mit der Unordnung los!«
Violette trat trotzdem in den Flur hinaus. Der blecherne Kübel lag auf dem Boden. Wenn er auch nicht groß war, so gab es dennoch Platz für einen weiteren Schirm. Sie hob den Kübel auf, stellte ihn wieder neben die Tür und stellt den Schirm von Frau Werenfels sorgfältig hinein.
Kaum befand sich Violette wieder im Büro, sagte Frau Werenfels: »Nur die Büroangestellten dürfen ihre Schirme dort abstellen. Die Lagerarbeiter haben bei sich genügend Platz.«
Violette nickte nur und wollte sich an ihren Schreibtisch setzen.
»Und mein Mantel?«, fragte die Frau des Chefs. »Denken Sie, ich werde hier einfach so stehen bleiben! Nun helfen Sie mir schon!«
Violette half ihr aus dem Mantel. Die lacklederne Handtasche war dabei im Weg, doch Frau Werenfels umklammerte sie fest, wechselte sie dann in die andere Hand, um aus dem Ärmel schlüpfen zu können. Hinter der Tür gab es drei Haken an der Wand. Dort hängte Violette das Kleidungsstück sorgfältig mit einem Kleiderbügel auf. Die Pelzmütze blieb allerdings auf dem Kopf der Frau.
»Sie sind doch dieses Fräulein Girold«, stellte Frau Werenfels mit abschätzigem Blick fest. »Ich muss sagen, ich habe Sie ganz anders in Erinnerung.«
»Ach ja«, sagte Violette.
»Nicht so klein und dünn«, kam direkt die Antwort.
Das war doch beleidigend! Aber was konnte Violette dagegen unternehmen? Sie musste es einfach über sich ergehen lassen.
»Aber die Hauptsache ist«, fuhr die Frau des Chefs weiter, »dass man sich auf Sie verlassen kann.« Die Art, wie sie dies aussprach, verriet, dass sie nicht wirklich an Violettes Zuverlässigkeit glaubte.
»Wollen Sie zu Herrn Mangold?« fragte Violette Girold. Die Dame reagierte nicht darauf, sondern schritt, mit den Augen alles prüfend, den Raum ab. »Was ist denn das hier?«, fragte sie plötzlich und hielt einige Papiere, die sich neben der Postablage befanden, in die Luft.
»Das muss noch abgelegt werden«, erklärte Violette und schaffte es endlich, sich an den Schreibtisch zu setzen. »Dann tun Sie es!«, bekam sie zu hören. »Wie ich gerade feststelle, werde ich mich während der Abwesenheit meines Mannes hier umsehen müssen! Wir können es uns nicht leisten, Kundschaft zu verlieren, nur weil hier schlampig gearbeitet wird!«
Violette fing zu arbeiten an.
»Wo sind die anderen Angestellten?«, fragte Frau Werenfels.
„Herr Mangold befindet sich in seinem Büro, Herr Brenner ist im Lager und Herr Hardmeier wird mit dem Lieferwagen unterwegs sein.«
»So.« Frau Werenfels senkte den Kopf etwas, wobei ihr Doppelkinn hervortrat und die breite, runde Pelzmütze einen dunklen Schatten in ihr unzufriedenes Gesicht warf. »So ist das also«, redete sie mehr zu sich selbst, und dann wieder lauter: »Melden Sie mich nun bei Herrn Mangold an.«
Violettes СКАЧАТЬ