Название: Toxicus
Автор: Anita Jurow-Janßen
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783741884931
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3. Kapitel
Ronny hatte sich immer noch nicht so recht in Hameln eingelebt, obwohl der Umzug von Oldenburg nun schon einige Jahre zurücklag. Seine Eltern, Burkhard und Annemarie Feller, hatten überraschenderweise den Elektrobetrieb seines Onkels Georg geerbt. Dieser war plötzlich verstorben und hatte keine Kinder. Georgs Frau Luise Feller, eine untersetzte Frau mit dauergewellter Omafrisur wohnte jetzt in der Oberwohnung des Hauses, das zum Elektrobetrieb gehörte. Sie hatte lebenslanges Wohnrecht. Ronnys Familie zog in die Wohnung im Erdgeschoss ein. Ronny fühlte sich beengt. Er war zu lange auf sich allein gestellt gewesen, und jetzt hatte er plötzlich nicht nur seine Eltern, sondern auch noch seine Tante Luise am Hals. Und die nervte besonders. Er sehnte sich nach seinen Schlangen. Er vermisste sie so sehr. Vor allem suchte er ein gutes Versteck, auch für sich selbst, damit er sich dorthin zurückziehen könnte. Aber eine Lösung war weit und breit nicht zu erkennen. Das frustrierte ihn von Tag zu Tag mehr. In der Eile der Ereignisse hatte er vor dem Umzug etwas überstürzt, wie er jetzt fand, Lukas seine Lieblinge überlassen. Besonders Anabelle vermisste er, weil das Onanieren ohne sie überhaupt keinen Spaß machte. Ronny wollte wieder nach Oldenburg zurück. Er hatte seine Lehre als Einzelhandelskaufmann in Hameln geschmissen und seinen Eltern weisgemacht, dass er nun doch Elektriker werden wollte. Er behauptete, in Oldenburg ein Vorstellungsgespräch dafür zu haben. Seine Eltern waren nicht begeistert, dass er zurückwollte. Aber sie waren hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt und die Spannungen, die durch das Zusammenleben mit Ronnys Tante Luise ständig präsent waren, machten ihnen das Leben schwer genug. So gaben sie nach und steckten Ronny sogar das Geld für die Fahrt zu. Immerhin bestand jetzt eine kleine Chance, dass er eines Tages ihren Betrieb übernehmen würde.
Ronny hatte Sehnsucht nach Anabelle und keineswegs ein Vorstellungsgespräch. Als er in Oldenburg ankam, machte er sich schnurstracks auf den Weg zu seinem ehemaligen Schlangendomizil. Lukas hatte er nicht informiert. Er wollte sich erst einmal einen vergnügten Nachmittag mit Anabelle machen, und dann würde man weitersehen.
Schon als er auf die Baracke zulief, sah er die Veränderung. Der Hof war aufgeräumt, die Tür repariert. Als er näher kam, bemerkte er, dass sogar die Fenster geputzt waren. Du meine Güte, was ist das denn für ein Pedant! Vor der Tür hing jetzt ein großes Vorhängeschloss.
„So ’n Mist!“, fluchte er. Es fiel ihm ein Zugang auf der Rückseite der Baracke ein. Dort hatte er seinerzeit ein Fenster nur provisorisch mit Brettern zugenagelt, damit keine der Schlangen aus Versehen entschlüpfen konnte. Die übrigen Fenster der Baracke waren alle mit Glas versehen, nur dieses eine nicht. Voller Hoffnung ging er um die Baracke herum, nachdem er sich vergewissert hatte, dass ihn keiner beobachtete. Die Luft war rein. Von der rückwärtigen Seite der Baracke aus konnte er die Ziegelei sehen, deren Schornstein weit über die übrigen Gebäude hinausragte. Er spürte sein Herz klopfen, weil die Erinnerung an Birgits Tod ihn einholte.Da gehe ich nachher auch noch hin, nahm er sich vor. Aber erst mal Anabelle. Das rückwärtige Fenster war verglast worden. Neugierig spähte er hindurch. Ein Fliegengitter verdunkelte den Einblick, aber er konnte mehrere Terrarien erkennen. Lukas ist ja ganz schön fleißig gewesen. Hoffentlich ist Anabelle noch da. Wie komme ich bloß ins Haus ? Mürrisch ging er um die Baracke herum. Es war alles verriegelt und verrammelt. Ihm war zum Heulen zumute. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als Lukas anzurufen und sich mit ihm zu verabreden. Immerhin hatte er ihm seine vier Schlangen überlassen, da konnte er ihn schlecht abweisen. Er zog sein Smartphone aus der Tasche und drückte die gespeicherte Nummer. Es dauerte nur einen Moment und Lukas war am Apparat. „Hi, Lukas, Überraschung! Ich bin in Oldenburg und würde gern meine Schlangen besuchen. Was sagst du? Hast du eventuell Zeit für mich?“
„Oh, hallo Ronny. Wie kommt’s? Hast du Urlaub?“
„Lange Geschichte. Erzähle ich dir später. Ich dachte, ich könnte vielleicht in der Baracke übernachten. Ist mein altes Sofa noch da?“
„Du wirst staunen, was ich inzwischen alles gemacht habe. Ich habe jetzt zwölf Schlangen. Aber ich verrate noch nicht so viel. Du wirst es selbst sehen. Ich freue mich jetzt schon auf dein Gesicht. Wo bist du denn? Ich kann erst in zwei Stunden. Ich bin noch in der Uni. Hab grad Pause. Hast Glück gehabt. Während der Vorlesung mach ich mein Handy aus.“
Er studiert also. Ich hab keine Ahnung gehabt, was er überhaupt treibt. Ich hätte mich öfter melden sollen. Aber die blöde Lehre hat alles kaputt gemacht.
„Hey, Ronny, bist du noch da?“
„Ja, ich überleg nur. Ich könnte doch schon zur Baracke gehen. Dann können wir uns dort treffen.“
„Hm … ich hab jetzt ein Schloss vor der Tür. Aber warte, ich sag dir, wo der Schlüssel ist. Wenn du vor der Tür stehst, auf der rechten Seite unter dem Dach. Die Dachrinne hat dort ein Loch. Du wirst es sehen. Genau über dem Loch kannst du ihn finden.“
„Oh, super, dann kann ich mich gleich auf den Weg machen. Wann bist du da?“
„Na, wie gesagt, wohl so in zweieinhalb Stunden.“
„Okay, bis dann. Bin gespannt, was du alles gemacht hast.“ Ronny hätte vor Freude fast laut gejubelt, hielt sich aber zurück. Lukas musste ja nicht wissen, wie sehr er sich nach Anabelle sehnte. Er war schon während des Gesprächs zu der beschriebenen Stelle gelaufen und tastete nach dem Schlüssel.
Bingo! Er hatte ihn. Sein Körper kribbelte vor Freude. Anabelle, ich komme zu dir!
Nachdem er die Tür aufgeschlossen hatte, dachte er, er käme in eine Versuchsstation. Alles war picobello aufgeräumt und geordnet. Von seinen Sachen war nur sein altes Sofa übrig geblieben. Alles andere war neu oder zumindest durch bessere Sachen ersetzt worden. Die Schlangen waren jetzt alle in dem Nebenraum, in dem Lukas das Fenster repariert hatte. Als Ronny den Raum betrat, schlug ihm eine tropische Wärme entgegen. Lukas hatte Luftbefeuchter und Wärmeleitungen eingebaut. Ein Thermostat regelte offensichtlich die Zufuhr der Wärme und Feuchtigkeit. Ronny hielt vor Staunen die Luft an, während sein Blick über die Glaskästen schweifte. Er zählte zwölf unterschiedlich große Terrarien. In jedem war eine Schlange. Aber wo war Anabelle? Am Ende der Terrarienreihe, in einem besonders großen Schlangenkasten, leuchtete ihm ihre hellorange Farbe entgegen. Sein Herz machte vor Freude einen Satz. „Da bist du ja, meine Geliebte“, sagte er. Er konnte gar nicht schnell genug mit ihr zum Sofa kommen. Welch ein Genuss, sie auf seinem Körper zu spüren!
Nachdem er befriedigt war, sah er sich die anderen Schlangen und die Terrarien prüfend an. Seine beiden Vipern und die grüne Mamba waren auch noch da.
„Hallo Birgit,“ begrüßte er seine Schlangenbirgit. Er dachte an die Ziegelei, und die Erinnerung an die furchtbare Tat war wieder so präsent, als wäre es erst gestern gewesen. Sein Hals wurde so trocken, dass er etwas trinken wollte. Er sah sich um. Im Kühlschrank, den er in der kleinen Kochnische entdeckte, fand er ein paar Flaschen Bier. Außerdem standen mindestens zwanzig kleine Flaschen mit irgendeiner Flüssigkeit darin. Er nahm eine Flasche heraus, öffnete sie und schnupperte. Was war das? Er konnte keine Erklärung finden. Er stellte die Flasche zurück und nahm sich eine Flasche Bier. Neben dem Kühlschrank an der Wand hingen ein Öffner und einige Schlüssel an einem Schlüsselbrett. Als er die Flasche ansetzte, traf sein Blick auf eine große runde Uhr, die an der Wand hing. Es war immer noch eine Menge Zeit, bis Lukas bei ihm sein würde.
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