Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern. Jürgen Ruszkowski
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Название: Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern

Автор: Jürgen Ruszkowski

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783847683131

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СКАЧАТЬ Vertrauen in einen erfolgreichen Widerstand unseres Ostheeres ist geschwächt, nachdem ich so viele Zeichen des Zusammenbruchs gesehen habe. Und im Westen dringt eine starke englische und amerikanische Armee über den Rhein unaufhaltsam ins Herz Deutschlands vor.

      Sonnabend früh um 7 Uhr ist Abmarsch. Wir fahren auf guter Straße über Sanitz nach Rostock. Hier werden wir durch einen Polizeiposten angehalten und in eine Nebenstraße geleitet. Es sollen uns auf Befehl der Kreisleitung unsere drei Trecker und sieben Gummiwagen abgenommen werden, da man diese angeblich zu Befestigungsarbeiten der Festung Rostock gebraucht. Ich fahre selbst mit dem Polizeioberleutnant zur Kreisleitung und mache den zuständigen Leuten dort klar, dass man unmöglich 145 Menschen, darunter 50 Kinder, mit ihrer letzten geretteten Habe auf die Straße setzen kann. Das hat Stunden gedauert. Unsere Absicht, heute noch bis Kirchstück zu kommen, muss aufgegeben werden. Wir fahren in den sinkenden Abend bis Wismar, wo wir bei völliger Dunkelheit ankommen und nach vieler Mühe eine Unterkunft finden im bereits überfüllten Kindergarten. Sonntag früh, um 9 Uhr, geht es beim Klang der Glocken aus Wismar heraus in Richtung Schwerin. Es ist ein schöner Märztag. Sattgrün leuchten die Roggenfelder, blaugrün schimmert der Raps auf den fetten Lehmböden. Überall sieht man festlich gekleidete Menschen, die dem langen Treck erstaunt nachschauen. Hier ist noch ein friedliches Land. Hoffentlich bleibt es vor dem Schicksal unserer pommerschen Heimat bewahrt.

      Um 11 Uhr treffen wir in Kirchstück, der zweiten Etappenstation ein. Herr von der Meden, der mit seiner Familie hier vorläufig untergekommen ist, hat für uns Quartier gemacht. Ich kann ihm seine Tochter Bärbel wohlbehalten übergeben, er selbst muss am Nachmittag desselben Tages noch abreisen. Er hat einen Stellungsbefehl zum Ersatzbataillon in Stettin. In Kirchstück liegt deutsche Wehrmacht im Quartier. Wir müssen daher ohne Ruhetag am nächsten Tage weiterziehen. Immerhin haben wir einen halben Ruhetag. Wir werden rührend betreut und versorgt von v. d. Medens.

      Montag früh Abschied von v. d. Medens, besonders von Bärbel, die fast ein Jahr Freud und Leid mit uns geteilt. Unser Marsch geht durch Schwerin, die alte schöne Stadt zwischen Buchenwäldern und Seen, in Richtung Lützow. Unterwegs überholen wir viele Treckfahrzeuge, die alle nach Schleswig-Holstein hinauf wollen. Die Pferde sind zum Teil abgetrieben. Krepierte Tiere liegen allenthalben im Straßengraben. Aber die Menschen hasten nicht mehr so wie auf unserer bisherigen Wegstrecke. Sie fühlen sich bereits in Sicherheit und lagern gemütlich in der warmen Märzsonne.

      In Lützow biegen wir von der Haupttreckstraße, die über Gadebusch-Ratzeburg nach Holstein führt, nach Süden ab in Richtung Wittenburg. Wir wollen möglichst bald über die Elbe, um unser Endziel, die Gegend von Amelinghausen in der Lüneburger Heide zu erreichen. Mittagsrast machen wir in Boddin bei alten Bekannten. Voller Wehmut denken wir an die schönen Zeiten, die wir hier vor 15 Jahren erlebten. Wir machen gleichzeitig Quartier für die bespannten Fahrzeuge, die uns in zweitägigem Abstand folgen. Dann fahren wir durch Wittenburg über Lehsen nach Brahlstorf. Wir wollen versuchen, über Neuhaus die Elbfähre bei Katemin zu erreichen. In Brahlstorf erfahren wir, dass die Fähre für Trecks gesperrt sei und wir bei Lauenburg über die Elbbrücke müssen. Wir übernachten in drei Partien in Dammereez, im Hirschkrug und in Dersenow. Die letzte Nacht in Ostelbien ist warm und regnerisch. Die Meldungen, die wir abends im Hirschkrug hören, sind beunruhigend. Der Zusammenbruch der Westfront scheint unaufhaltsam zu sein. Im Osten steht die Ostfront in schweren Abwehrkämpfen gegen die russischen Großangriffe. Es wird gemunkelt von Verhandlungen mit den Westmächten.

      Dienstag, der 20. März. Wir brechen um 8 Uhr auf, sammeln uns in Dersenow und sind kurz vor Mittag nach guter Fahrt auf der großen Berlin-Hamburg-Straße am Elbe-Trave-Kanal bei Lauenburg. Vor uns marschieren in endloser Kolonne polnische Kriegsgefangene nach Westen. Wir müssen warten, bis wir im Anschluss daran die große Elbbrücke passieren können. Die Sonne scheint schon warm, der breite Elbstrom leuchtet graublau. Jenseits der Elbe kann man die ersten Gehöfte und Kirchtürme des Hannoverlandes erkennen. Wir überschreiten zum zweiten Male in 14 Tagen einen großen Strom nach Westen, die zweite Klimagrenze und die zweite Kulturgrenze. Die Höfe und Dörfer um Boizenburg und Lauenburg haben bereits niedersächsischen Charakter. Die sauberen Klinker- und Fachwerkbauten mit ihren Vorgärten und Schriftbalken über den Dielentüren erwecken in mir als gebürtigem Westdeutschen heimatliche Gefühle. Aus diesem alten bäuerlichen Kern- und Stammland sind dereinst vor 600 Jahren die Vorfahren aufgebrochen zur Wiederbesiedlung des von den germanischen Stämmen in der Völkerwanderungszeit geräumten Stammlandes zwischen Elbe und Weichsel. Vor uns blitzt die Elbe auf in der fahlen Märzsonne. Die Kolonne staut sich wieder vor der großen Brücke bei Lauenburg. Hinter Buchenwäldern liegt Friedrichsruh. Dort ruht der letzte große deutsche Staatsmann, Otto von Bismarck. Hat der „Alte im Sachsenwald“ geahnt, dass die Politik seiner Nachfolger Gefahren heraufbeschwört für das vor 600 Jahren begonnene, aber noch nicht vollendete Werk der Grenzsicherung im Osten? Wir müssen über die Elbe. Ich kann unsern Leuten nicht sagen, dass ich durch Abhören des Moskauer Senders Kenntnis habe von den Abmachungen von Jalta, in denen den Russen das Land bis an die Elbe als Besatzungszone zugeteilt wurde. Hier wird mir klar, dass der „große Führer“ durch seinen Angriffskrieg gegen Russland eine Wahnsinnstat vollbrachte, die in ihrer Auswirkung für Millionen deutscher Menschen die Vertreibung aus der angestammten Heimat bedeutet. Bismarck und Hitler, zwei Männer und zwei Welten! Ein großer Staatsmann und ein Dilettant!

      Die Kolonnen kommen wieder in Bewegung. Wir müssen uns beeilen, dass der Anschluss nicht abreißt. Mit letzter Anstrengung, mit zerfetzten Gummireifen und dem Rest Treibstoff passieren wir die Brücke. Jetzt sind wir drüben, in „Sicherheit“, dem Grauen entronnen, das sich in dem Land zwischen Elbe und Oder ausbreitet. In der warmen Märzsonne wird gerastet und wieder einmal abgekocht. Jetzt kann ich meinen kleinen Opelwagen, der seit Misdroy an den Treckwagen angehängt wurde, mit dem letzten Sprit flott machen. Wir wollen nach Amelinghausen und dort Quartier machen für die 400 pommerschen Menschen, die sich mir anvertraut haben. Es wird nicht leicht sein, in der mit Vertriebenen überschwemmten Lüneburger Heide ein Unterkommen zu finden. Es kann nur gelingen mit Hilfe von Freunden, die uns erwarten und dabei helfen wollen.

      Wir fahren durch die wenig beschädigte alte Stadt Lüneburg und dann durch gepflegte Dörfer, an schönen alten Höfen vorbei nach Amelinghausen und Ehlbeck. Ein vorläufiges Ende unserer abenteuerlichen Flucht ist sichtbar. In wenigen Tagen werden die bespannten Trecks zu uns stoßen, die Zoldekower unter der bewährten Führung unseres Statthalters Franz Potratz, die Schwenzer mit Hans Treichel an der Spitze. Es ist der 22. März 1945. Die Sorge und Arbeit um die Unterbringung von 400 Menschen und 56 Pferden, um die Erhaltung der wenigen geretteten Habe beginnt am gleichen Tage.

      http://zeitzeugenbuch.klack.org/seite15.html

      https://sites.google.com/site/zeitzeugen1945/flucht-1945/flucht-aus-zoldekow

       Flucht aus Köslin über Kolberg und die Ostsee

       Das Trauma meiner Kindheit

      Monica Maria Mieck berichet:

      Am 1. März 1945 hat mein Bruder Geburtstag und ist jetzt 9 Jahre alt. Wir sitzen mit unserer Mutter am Esstisch im Wohnzimmer. Plötzlich heulen die Sirenen, und der schreckliche Panzeralarm verbreitet die höchste Gefahrmeldung über unserer Heimatstadt Köslin. Das Geburtstagskind stößt vehement unter lautem entsetzlichem Weinen den Satz hervor: „Mama, die Russen kommen.“ Dadurch springt die Angst auch in mich hinein. Ich bin erst sechseinhalb Jahre alt und weiß noch nicht, was ein Krieg bedeutet. Aber der bisweilen auch nächtliche Fliegeralarm gehört selbstverständlich zu unserem Leben. Im grauen Luftschutzkeller СКАЧАТЬ