Joseph Conrad - Seefahrer und Schriftsteller. Joseph Conrad
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СКАЧАТЬ sie wollten in Frieden ihr Essen aus den roten Kattuntaschentüchern verzehren, und das sah nach einem Picknick am Ufer eines einsamen Bergsees aus. Sie waren friedvoll (und vermutlich sehr uneinträglich), diese Becken, zu denen sich der Obersteuermann eines der nur wenige Meter entfernt im aufreibenden, rastlosen, lauten Betrieb des New South Dock liegenden Schiffe während der Mittagszeit hinflüchten konnte, um hier ganz ungehindert von Menschen und Geschäften umherzuschlendern und (wenn er Lust hatte) über die Eitelkeit aller menschlichen Dinge nachzusinnen. Früher einmal mussten sie voll der guten, alten, behäbigen Westindienfahrer mit den platten Hecks gelegen haben, die ihre Gefangenschaft vermutlich so unempfindlich aufnahmen, wie ihre plumpen, ehrlichen Buge dem Ansturm der Wellen begegneten. Sie werden hier gelassen mit ihrem eigenen Geschirr Zucker, Rum, Melasse, Kaffee oder Bauholz ausgeladen haben. Aber als ich sie kannte, war von Export keine Spur mehr zu finden, und der ganze Import, den ich dort je gesehen habe, bestand aus ein paar seltenen Tropenholzladungen, ungeheuren, in den Wäldern um den Golf von Mexiko roh aus den Stämmen gehauenen Eisenholzbalken. Diese mächtigen Pfeiler wurden zu Stapeln aufgesetzt, und es war fast nicht zu glauben, dass solche Massen toter, geschälter Bäume aus den Flanken einer schmalen, unschuldig aussehenden kleinen Bark gekommen sein sollten, an deren schönem Bug meist ein schlichter Frauenname stand – Ellen oder vielleicht Annie. Aber das ergeht einem mit gelöschter Fracht eigentlich immer so; liegt sie erst einmal ins einzelne verteilt auf dem Kai, dann glaubt kein Mensch mehr, dass sie jemals in das längsseit liegende Schiff hineingepasst haben kann.

      Diese Becken waren in der betriebsamen Welt der Docks stille, heitere Winkel. Ich habe nie das Glück gehabt, nach einer mehr oder weniger mühseligen Reise in ihnen einen Liegeplatz angewiesen zu bekommen. Man sah auf den ersten Blick, dass die Schiffe wie die Leute dort niemals umher gehetzt wurden. Wenn man sich ihrer genau erinnert, kommt es einem vor, als könnte es sie nie gegeben haben, so still waren sie – Ruheplätze, wo müde Schiffe träumen durften, Stätten der Einkehr statt der Arbeit, wo böse Schiffe – die ranken, trägen, leckenden, schlechten Seeschiffe, die schlecht zu steuernden, die launischen, die dickköpfigen, die allgemein unlenksamen Schiffe – volle Muße haben würden, sorgenvoll, nackt und der zerrissenen Segeltuchkleider entblößt ihre Sünden einzusehen und zu bereuen, während der Staub und die Asche der Londoner Luft sich auf die Häupter ihrer Masten legen. Denn das allerschlechteste Schiff wird in sich gehen, wenn man ihm nur die Zeit dazu lässt, dessen bin ich gewiss. Ich habe zu viele von ihnen gekannt. Kein Schiff ist vollkommen schlecht, und nun, da ihre Leiber, die so vielen Stürmen widerstanden haben, durch eine kleine Rauchwolke vom Antlitz der See fortgeblasen worden sind, die Guten und die Schlechten zusammen hinab ins Fegefeuer der ausgedienten Dinge, nun kann ruhig gesagt werden, dass es unter diesen dahingegangenen Generationen willfähriger Diener niemals eine ganz unverbesserliche Seele gegeben hat.

      Im New South Dock gab es gewisslich weder für die gefangenen Schiffe noch für ihre Offiziere Zeit zu Gewissensbissen, Selbstbetrachtungen oder irgendwelchen anderen wunderbaren Erscheinungen des inneren Lebens. Von morgens sechs his abends sechs ging die harte Gefängnisarbeit, mit der die Tapferkeit und Stärke eines Schiffes belohnt wird, wenn es den Hafen gewonnen hat, ununterbrochen weiter. Große Hieven Stückgut pendelten über das Schanzkleid und fielen plötzlich auf einen Wink des Gangführers in die Luken hinab. Das New South Dock diente hauptsächlich als Ladedock für die Kolonien, jedenfalls damals in den großen (und letzten) Tagen der schnellen Wollklipper, die gut anzusehen und – na ja – aufregend zu bedienen waren. Von ihnen sahen manche schöner aus als die anderen, viele waren (gelinde gesagt) etwas übertakelt: von allen wurden gute Reisen erwartet, und unter den Schiffen der ganzen langen Reihe, deren Riggen ein dickes, riesiges Netzwerk gegen den Himmel zeichneten und deren Messingteile fast so weit blitzten, wie der Schutzmann an den Toren sehen konnte, gab es kaum eines, das unter allen Häfen der weiten Welt von einem anderen Hafen als London und Sydney oder London und Melbourne oder London und Adelaide gewusst hätte, wozu vielleicht für die mit geringer Tonnage noch Hobart Town kam. Man hätte beinahe glauben können, was der mit einem grauen Backenbart verzierte Zweite Steuermann des alten Duke of S... von seinem Schiffe sagte, nämlich, dass sie alle die Straße zu den Antipoden besser kennten als ihre eigenen Schipper, die sie jahrein, jahraus von London – dem Ort der Gefangenschaft – nach einem australischen Hafen brachten, wo die Schiffe, obwohl sie auch dort reichlich fest an die Bollwerke vertäut wurden, sich nicht als Gefangene, sondern als geehrte Gäste fühlten.

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       alte Postkarte – aus Band 17 – Ernst Richter

      Diese Antipodenstädte, die damals noch nicht so groß waren wie heute, nahmen an der Schifffahrt, der stetigen Verbindung mit „zu Hause“, großen Anteil, und ihre Zunahme bestätigte ihnen das Gefühl der eigenen wachsenden Bedeutung. So wurden die Schiffe zum wesentlichen Bestandteil ihrer alltäglichen Interessen. Das war besonders in Sydney der Fall, wo man vom Herzen der schönen Stadt aus durch die Flucht der Hauptstraßen hinab auf die Wollklipper am Circular Quay schauen konnte – und das war kein mauerumstelltes Gefängnisdock, sondern der wesentlichste Teil einer der besten, schönsten, weitesten und sichersten Buchten unter der Sonne. Jetzt liegen große Liniendampfer auf den Plätzen, die immer der Seearistokratie vorbehalten waren – große, prächtige Schiffe, aber sie kommen heute an und sind in der nächsten Woche schon wieder fort; wohingegen zu meiner Zeit die mit schweren Spieren getakelten, scharflinigen Stückgut-, Auswanderer- und Passagierklipper monatelang zusammen liegen blieben, um ihre Wollladung zu erwarten. Ihren Namen widerfuhr die Ehre, in die Alltagssprache einzugehen. An Sonn- und Feiertagen kamen die Stadtleute in Scharen herab und waren auf Besichtigungen erpicht, und der einsame dienst­tuende Offizier tröstete sich damit, den Fremdenführer zu spielen – besonders gern reizenden Damen von Lebensart gegenüber, die einen gut entwickelten Sinn für den Spaß hatten, der beim Durchstöbern der Kabinen und Passagierräume des Schiffes herauskommen mochte. Das Geklimper mehr oder weniger verstimmter Klaviere drang aus den offenen Heckpforten, bis die Gaslaternen in den Straßen zu zwinkern begannen und des Schiffes Nachtwachmann, müde vom unzureichenden Tagesschlaf, seinen Dienst begann, die Flaggen herunterholte und eine brennende Laterne am Fallreep festmachte. Die Nacht schloss sich schnell über den schweigenden Schiffen, deren Mannschaften an Land waren. Oberhalb eines kurzen, steilen Anstieges in der Nähe der King's-Head-Wirtschaft, die hauptsächlich von den Köchen und Stewards der Schiffe besucht wurde, rief in regelmäßigen Zeitabständen die Stimme eines Mannes „Warme Würstchen!“ aus; dort, am Ende der George Street, befanden sich auch die billigen Speisehäuser (fünfzig Pfennig die Mahlzeit), die von Chinesen betrieben wurden (das von Sun-kum-on war gar Straßenhändler (ich möchte wohl wissen, ob er gestorben ist oder ein Vermögen zusammengebracht hat) stundenlang zugehört, während ich auf der Schanz der alten Duke of S... saß (er ist, der Arme, an der Küste von Neuseeland eines gewaltsamen Todes gestorben) und von der Eintönigkeit, Regelmäßigkeit und Plötzlichkeit des immer wiederkehrenden Rufes ganz gebannt und bestrickt war, bis ich mich schließlich über diese alberne Betörung dermaßen ärgerte, dass ich wünschte, der Kerl sollte an einem Bissen seiner elenden Ware ersticken.

      Meine Kameraden waren der Ansicht, das Amt des Nachtwachmanns eines gefangenen (wenngleich geehrten) Schiffes wäre zum Trübsinnigwerden langweilig und passte nur für alte Männer. Gewöhnlich wird denn auch der älteste Matrose der Mannschaft dazu bestimmt. Aber manchmal steht weder der älteste noch ein anderer einigermaßen verlässlicher und gesetzter Seemann zur Verfügung. Schiffsmannschaften hatten damals die Eigenheit, unversehens zusammenzuschmelzen. So widerfuhr es mir, wahrscheinlich wegen meiner Jugend, Unschuld und Nachdenklichkeit (die mich zuweilen etwas langsam machte, wenn ich in der Takelage zu tun hatte), dass ich plötzlich durch Mr. B..., unseren Obersteuermann, auf seine bitterste, hämischste Art zu diesem beneidenswerten Dienst befohlen wurde. Ich bedaure diese Erfahrung nicht. Das nächtliche Leben der Stadt stieg in den stillen Nachtstunden von den Straßen hinab an das Wasser: Strolche kamen bandenweise herangestürmt, um irgendwelche Streitereien fern der Polizei durch einen regelrechten Boxkampf auszufechten – ein undeutlicher, durch aufgestapeltes Frachtgut halb versteckter Ring, das leise Knallen der Schläge, dann und wann ein Stöhnen, das Schleifen und Aufstampfen der Füße und der plötzliche Ruf „Zeit!“ СКАЧАТЬ