Название: Ut oler Welt - Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime - 150 Seiten
Автор: Вильгельм Буш
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742763068
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schlug, fuhr die Prinzessin aus ihrem Sarge, packte
die Wache, drehte ihr den Hals um und warf sie in ein
finsteres Gewölbe, das da unter der Kirche war. Sobald
aber die Glocke Eins schlug, mußte sie wieder in
ihren Sarg hinein. In der zweiten Nacht ging es ebenso.
Als die Glocke Zwölf schlug, fuhr die Königstochter
aus ihrem Sarge, drehte der Wache den Hals
um und warf sie in das Gewölbe, das unter der Kirche
war. In jeder folgenden Nacht ging es ebenso; jeden
Morgen war die Wache verschwunden und kein
Mensch wußte, wo sie geblieben war. Nun wollte zuletzt
keiner mehr bei der Königstochter wachen. Da
ließ der König im ganzen Lande bekannt machen: wer
seine Tochter erlösen könnte, der sollte sie zur Frau
haben und König werden.
Nun war da ein junger Schäfer mit gelben Haaren,
der hieß Jakob, der reiste nach der Königsstadt und
ließ sich anstellen als Wache bei dem Sarge der Prinzessin.
In der ersten Nacht, da es kurz vor Zwölfe war
und der Schäfer daran dachte, daß die andern Wachen
alle so sonderbar verschwunden waren, da ward er
bange und wollte weglaufen. Da rief eine Stimme hinter
ihm her: »Jakob, geh nicht fort, du kannst mich erlösen,
wenn du drei Nächte hintereinander an meinem
Sarge wachst.« Da kehrte der Schäfer wieder um und
versteckte sich unter den Sarg der Prinzessin. Als nun
die Glocke Zwölf schlug, fuhr die Königstochter aus
ihrem Sarge und suchte die ganze Kirche durch; in
dem Augenblick aber, wo sie an den Sarg kam und
den Schäfer eben fassen wollte, schlug die Glocke gerade
Eins; da mußte sie wieder in ihren Sarg hinein.
In der zweiten Nacht, da es wieder bald Zwölfe war
und der Schäfer daran dachte, daß es ihm auch ergehen
könnte wie den andern Wachen, da ward er bange
und wollte weglaufen. Da rief eine Stimme hinter ihm
her: »Jakob, geh nicht fort; du kannst mich erlösen.«
Als der Schäfer das hörte, kehrte er wieder um und
versteckte sich in das Gewölbe, wo die Leichen der
früheren Wachen lagen. Er beschmierte sich Gesicht
und Hände ganz mit Blut, deckte einige der Toten
über sich und verhielt sich so ruhig, als ob er auch
eine Leiche wäre. Als nun die Glocke Zwölf schlug,
fuhr die Königstochter wieder aus ihrem Sarge, durchsuchte
die ganze Kirche und kam auch zuletzt in das
Gewölbe, wo der Schäfer unter den Leichen lag.
»Dem die Füße warm sind, der ist's!« rief sie und tastete
zwischen den Leichen herum. Schon war sie dem
Schäfer ganz nahe, das Blut gerann ihm in den Adern,
da schlug die Glocke Eins. Nun mußte die Prinzessin
wieder zurück in ihren Sarg. – Am andern Morgen
kam der König mit seinem ganzen Hofstaate in die
Kirche, um nach dem Schäfer zu sehen, und als sie
das viele Blut in seinem Gesicht und an seinen Händen
sahen, erschraken sie und meinten nicht anders,
denn es sei ihm ein Leid widerfahren. Jakob aber
sprach: »Wisset, daß ich gesonnen bin, auch noch die
dritte Nacht Wache zu halten; Morgen früh Glocke
Sechs, da kommt mit Pauken und Trompeten und der
ganzen Musik, denn entweder bin ich todt oder die
Prinzessin ist erlöst.« Das mußte ihm der König versprechen.
Kurz vor Zwölfe in der Nacht kroch der Schäfer
unter den Sarg der Prinzessin, und als sie nun mit
dem Schlage Zwölf herausfuhr, legte sich der Schäfer
schnell selber in den Sarg hinein. Nun suchte die
Prinzessin die ganze Kirche durch; als sie aber zuletzt
auch an den Sarg kam, da schlug die Glocke Eins. In
demselben Augenblick fing die Prinzessin an zu sprechen
und sagte: »Jakob, ich danke dir viel tausend
Mal; du hast mich nun erlöst.« Von Stund an begann
sie auch allmählich weiß zu werden, und Morgens
Glock sechs stand sie da in voller Schönheit und weiß
wie zuvor. Da kamen auch der König und die Königin
mit ihrem ganzen Hofstaate und vielem Volk, mit
Pauken und Trompeten und voller Musik; und als nun
Jakob mit der Prinzessin an der Hand aus der Kirche
trat, da rief alles Volk: »Vivat, unser König Jakob!«
und wollte des Jubilierens kein Ende werden.
3. Das Öl der Zwerge.
Es ist einmal eine Hebamme gewesen, zu der kam in
der Nacht ein kleines Männlein mit einer Laterne und
forderte sie auf, eilig mit ihm zu gehen. Sie nahm
ihren Mantel über und folgte dem Zwerge, welcher
über Feld und Wiesen voranschritt bis zu einem Wasser,