Название: Der Politiker
Автор: Geri Schnell
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783748560777
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«Unsere Zeit komm noch», verkünden die Aufpeitscher, «wir müssen Geduld haben und uns auf die kommenden Aufgaben vorbereiten. Man darf erst losschlagen, wenn man sicher ist, dass man gewinnt. Diese Lehre haben wir aus dem gescheiterten Hitlerputsch gezogen. Es dauert nicht mehr lange, dann sind wir an der Reihe.»
Grossdemonstrationen organisierte man keine mehr. Dafür sind immer kleine Gruppen unterwegs, die, allerdings nur wenn keine Gefahr besteht, Schaufenster von jüdischen Geschäften einschlagen oder linke Demonstrant verprügeln, wenn diese aus ihren Kneipen kommen. Solange Hitler nicht an der Macht ist, darf Deutschland nicht zur Ruhe kommen.
Willi lebt sich gut in Aachen ein. Seiner Gabi schreibt er wöchentlich einen Liebesbrief. Beide freuten sich, dass sie sich in den Herbstferien endlich wieder sehen können.
Die Enttäuschung von Gabi ist gross, als ihr Willi schrieb, dass er die ganzen Herbstferien in einem Lager für Studenten verbringt. Willi sieht das Lager als Chance, sich in der Hitlerjugend zu integrieren und das dadurch die jüdische Uroma nicht mehr relevant ist. Das Lager könnte auch seine Chance, später in die Luftwaffe einbezogen zu werden, erhöhen.
Zusammen mit Sepp und Hermann fahren sie nach Brüggen am Niederrhein. Dort wird ein Zeltlager errichtet. Das erste Mal wird Willi einem militärischen Drill ausgesetzt. Es beginnt bereits am Morgen beim Frühstück, ganze zehn Minuten sind dafür eingeplant. Punkt sechs Uhr ist Appel. Der Führer des Lagers verkündet das Tagesprogramm. Zuerst Sport, danach exerzieren, danach Schiessübungen mit einem Karabiner. Endlich darf Willi seinen ersten Schuss abgeben. Der landet nur noch knapp auf der Scheibe, was den Hortenführer zu einer Schimpftirade veranlasst. Mit dem zweiten und dritten Schuss kann er sich die ersten Punkte auf dem Blatt notieren lassen. Eins ist klar, beim Schiessen muss er sich noch gewaltig steigern. Danach gibt es Mittagessen auf dem Feld, das heisst aus der Feldküche und mit der Gamelle.
Nach einer Stunde geht das Programm weiter. Seine Horte wird beim Bau einer Holzbrücke über einen Bach eingesetzt. Da heisst es Holzträger und Bretter schleppen. Vor dem Nachtessen muss noch ein Fussmarsch über fünf Kilometer bewältigt werden. Verpflegung ist spärlich, Willi muss das erste Mal hungrig ins Zelt kriechen, zum Glück ist er so müde, dass er sofort einschläft.
Die nächsten Tage sehen ähnlich aus. Das einzige was Willi richtig Spass macht ist der Sport am Morgen. Besonders wenn Fussball gespielt wird, kann er sich durchsetzen, da hat er mehr Erfahrung. Alle anderen Aktivitäten bereiten ihm noch Probleme. Mit dem Schiessen wird es von Tag zu Tag besser, trotzdem, den Rückstand auf die andern, welche bereits in der Hitlerjugend geübt hatten, kann er nicht aufholen. Das Aufbauen der Brücke macht ihm Spass und auch die immer länger werdenden Fussmärsche bereiten ihm keine Probleme. Auch dass er abends immer hungrig ins Zelt muss, stört ihn nicht mehr, alles eine Frage der Angewöhnung. Das harte Leben wird durch die ausgeprägte Kameradschaft wettgemacht. Gemeinsam leiden ist nicht so schlimm, wie wenn man es allein ertragen müsste.
Nach dem Lager wird Willi in die Hitlerjugend aufgenommen, niemand hat überprüft, ob eine jüdische Verwandte in seinem Stammbaum auftaucht. Wichtig ist, dass er ein guter Kamerad war, auf den man sich verlassen konnte.
Als Mitglied der Studentenverbindung hätte er eigentlich das Recht, die SA-Uniform zu tragen, doch die SA bleibt vom Reichskanzler Schleicher verboten. Man darf sich momentan nur heimlich treffen.
Gabi ist immer noch beleidigt, weil Willi in den Herbstferien nicht nach Worms kam. Ihre Briefe wurden seltener und er merkt, dass sie sich langsam entfremdet. Zum Glück ist schon bald Weihnachten, dann kann er für zwei Wochen nach Hause. Er muss sich für Gabi ein schönes Weihnachtsgeschenk ausdenken, sonst darf er sich nicht blicken lassen. Für ihn war die Aufnahme in die NSDAP wichtiger, als die Freundschaft mit Gabi. Er mag sie, das sicher, aber im Notfall gibt es noch andere Mädels, denen man den Hof machen kann. Das mit der NSDAP hatte nun Vorrang. Er muss die Uroma endlich vergessen machen, ist man mal dabei, kümmert sich niemand mehr, um seine Verwandtschaft.
Die letzten Wochen besucht er immer den Markt. Noch kann er sich nicht entscheiden. Ein schöner Hut, ein Schal oder eine schöne Halskette stehen zuoberst auf der Liste, nur entscheiden kann er sich noch nicht. Eigentlich tendiert er auf die Halskette, doch die ist sehr teuer und übersteigt seine Möglichkeiten deutlich.
«Du suchst doch noch ein Geschenk für Gabi», Sepp wirkt sehr geheimnisvoll, «ich hätte da eine Halskette, die könnte ich dir für fünfzig Mark verkaufen!»
«Fünfzig? - Das könnte ich mir noch leisten», geht Willi auf den Handel ein, «ist sie aus Gold?»
«Natürlich!», er zieht eine kleine Schachtel aus seinem Hosensack und zeigt sie Willi.
Der nimmt die Halskette aus der Schachtel und betrachtet sie im Licht. Zudem schätzt er das Gewicht, ja, sie scheint wirklich aus Gold zu sein.
«Aber fünfzig finde ich etwas gar hoch, sie hat nicht mal ein Amulett», versucht er den Preis noch zu drücken.
«Das könnte ich noch organisieren, welches Sternzeichen hat deine Freundin?»
«Sie ist eine Löwin.»
«Gut, ich beschaffe dir noch ein Amulett mit einem Löwen, aber dann muss ich noch ein Fünfer extra verlangen. Das Amulett kostet mich sicher noch ein Zehner.»
«Also ab gemacht», Willi streckt ihm die Hand entgegen um das Geschäft abzuschliessen, «fünfzig aber mit dem Amulett, dafür kriegst du von mir noch zwei Tafeln Schokolade, mein Vater hat mir gestern ein Paket geschickt.»
Sepp ergreift seine Hand und bestätigt das Geschäft. Beide sind zufrieden, auf die Schokolade kann Willi gut verzichten. Vater schickt ihm beinahe jede Woche ein Paket. Er hat aus seiner Zeit als Schmuggler, immer noch einen Vorrat an Schokolade. Momentan sind die Preise sehr schlecht, so kann er sie wenigstens privat gut einsetzen. Für Willi ist die Schokolade eine Notreserve, wenn mal das Essen in der Mensa nicht seinem Geschmack entspricht.
Vor Weihnachten stehen an der Uni noch einige Tests an. Willi schafft die Prüfungen in Algebra, Physik und Englisch ohne Probleme. Bereits am 4. Advent reisst er mit dem Zug nach Worms. Vater holt ihn vom Bahnhof ab. Willi blickt sich um. Gabi ist nicht da, er ist enttäuscht, er hatte sich auf einen Kuss gefreut.
Mit seinem Vater spaziert er durch das weihnachtlich geschmückte Worms. Den schweren Koffer transportieren sie im Leiterwagen, wie vor einigen Jahren, als sie die Bauernhöfe in der Umgebung besuchten.
Wilhelm erzählt von der Uni und dass er sich gut durchschlägt. Mit den Fächern hat er keine Probleme. Nach einigem Zögern informiert er seinen Vater, dass er in die NSDAP eingetreten ist.
«Gab es dabei keine Probleme», fragte der nach, «du weist doch, die Uroma?»
«Nach dem Lager gab es keine Probleme, ich wurde nicht mehr überprüft.»
«Dann ist's gut», meint Vater, «ich hatte schon befürchtet, dass du deine Zukunft wegen der Uroma verbaut hast. Im Moment kommt man an den Nationalsozialisten nicht vorbei. Ich denke, für Deutschland ist es das Beste, wir brauchen eine starke Führung.»
«Im Lager war es hart, aber die Kameradschaft ist einmalig. Es hat mir gefallen.»
«Das verstehe ich», meint Vater, «wenn nur dieser Hass auf die Juden nicht wäre.»
Wilhelm СКАЧАТЬ