Название: Ein Leben dauert
Автор: Thomas Häring
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738030792
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4.Spielminute
Es geht alles so unglaublich schnell, ich komme gar nicht mehr hinterher und fühle mich überrollt. Wir lernen in der Vorschule bereits Englisch, Rechnen, Lesen und Schreiben, manchmal machen wir sogar chemische Experimente, doch nachdem der Kindergarten einmal versehentlich in die Luft geflogen ist, haben wir damit wieder aufgehört. Meine Freizeit verdient ihren Namen schon längst nicht mehr, denn nach dem anstrengenden Kindergarten geht es gleich zum Klavierunterricht, danach noch zum Kegeln und später selbstverständlich auch noch zum Fußballtraining. Abends bin ich dann völlig erschöpft und schlafe schon vor dem Sandmännchen ein. Was für ein Hundeleben! Aber es hilft nichts, denn da ich die neun Monate im Bauch meiner Mutter viel zu wenig gelernt und gearbeitet habe, muß ich jetzt meinen Rückstand aufholen, sonst habe ich in der globalisierten Welt keine Chance mehr, gehe unter und werde irgendwann so ein degeneriertes Stück Scheiße wie mein mutmaßlicher Erzeuger. Meine Großeltern mögen mich, aber das beruht nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit, denn die bekommen noch voll die fette Rente, während für meine Generation wohl nur noch die blöden Schulden übrig bleiben werden und die werden jeden Tag mehr. Deutschland rettet Europa, ganz was Neues, früher führte Deutschland Europa in den Untergang, aber so ändern sich eben die Zeiten. Vor ein paar Wochen habe ich mit meiner Freundin Schluß gemacht, natürlich per Fuckbook, sie war eifersüchtig auf mich, weil ich schon ein Praktikum im Krankenhaus machen durfte, dabei will sie doch unbedingt Krankenschwester werden. Also hat sie mir eine Szene gemacht, jene ins Internet gestellt und daraufhin habe ich ihr sofort den Laufpaß gegeben, denn wenn das Private nicht mehr privat sein kann, dann brauchen die Piraten die Privaten und Primaten auch nicht länger beraten. Manchmal frage ich mich schon, was das Leben eigentlich für einen Sinn hat, aber dann sehe ich meinen übervollen Stundenplan und höre sofort mit dem Denken auf, denn das strengt an und ist bekanntlich schlecht für den Kopf. "Du bist Scheiße", meinte mein bester Kumpel letztens zu mir. "Das ist nicht wahr. Ich pisse garantiert keine Scheiße, sondern nur hochwertigen, biologisch abbaubaren goldgelben Urin", entgegnete ich. Da stürzte er sich auf mich und verprügelte mich, ich hingegen zog mich in mein stilles inneres Reservat zurück, meditierte eine Runde und griff ihn dann mit den in meinem Inneren erzeugten Laserstrahlen an. Also gut, ich gebe es ja zu, ich habe den Stänkerer einfach nur voll gepißt und danach hat er seine Schnauze gehalten, war allerdings auch nicht länger mein bester Freund. Das war mir ganz recht, denn seine Mutter ist eine Kampflesbe und die hätte mich und meine Familie aufgrund ihrer merkwürdigen Orientierung bestimmt noch in Schwulitäten gebracht. Ab und zu überbrücke ich blitzschnell das Mittelfeld, doch ziemlich oft stehe ich auch im Abseits oder vergebe die besten Torchancen. Von draußen beschimpft mich dann mein Trainer und ich pöble zurück, man muß sich als Dreijähriger ja auch wirklich nicht alles gefallen lassen, oder? Na ja, es geht voran, ich wachse langsam über mich hinaus.
5.Spielminute
Was für eine hundertprozentige Chance! Die Firma BMW hat mir eine Stelle in ihrer Forschungsabteilung angeboten und ich habe abgelehnt! Wieso arbeiten, wenn man auch nichts tun kann? Außerdem sind diese großen Firmen in meiner Generation ohnehin total out und so was von nicht angesagt, daß mir die Absage durchaus leicht fiel. Hoffentlich werde ich das nicht eines Tages bereuen und wenn schon? Gute Nachrichten von der Heimatfront! Meine Mama hat endlich einen Schlußstrich gezogen und den Schlappschwanz, der tatsächlich nicht mein Vater ist, was mir ja schon immer klar gewesen war, vor die Tür gesetzt. Nun lebt sie mit mir und dem besten Freund des Hauses oder der Familie zusammen, meinem richtigen Vater und wir sind alle Drei total happy. Manchmal ist sie ein wenig eifersüchtig, weil sich mein neuer Papa noch besser mit mir versteht als mit ihr, aber daran wird sie sich bestimmt irgendwann gewöhnen. Gewohnheit ist alles und der Mensch als Gewohnheitstier läßt da in keinerlei Hinsicht zu wünschen übrig. Deshalb schnell mal wieder ein Abstecher in den Keller: Dort war man es gewohnt, unter sich zu bleiben und wenn sie keinen Fernseher bekommen hätten, dann wären sie wohl total out of world gewesen. Der Ferdinand Sitzl war ja für das Kellervolk nicht nur Vater und Großvater, sondern irgendwie auch Schöpfer, also quasi Gott, denn ohne ihn hätte es niemanden von denen da unten gegeben und das hatte dann schon fast etwas Mythisches oder vielleicht sogar Mystisches, wenn der Allmächtige höchstpersönlich die vielen Treppen in den Keller hinab schritt, um sein Volk mit Nahrung sowie seiner Anwesenheit zu beglücken. Wie jeder vernünftige und gut ausgebildete Gott strafte er seine Untertanen, wenn sie frech geworden waren und wenn sie lieb gewesen sind, dann bekamen sie Geschenke oder wurden belobigt. Er als Schöpfer schlief sogar mit seinem Werk und befruchtete die von ihm Geschaffenen dadurch natürlich um so mehr. Tja, aber nichts ist für die Ewigkeit und so endete auch jenes Höhlengleichnis, sogar Familie Sitzl wurde aus dem Paradies vertrieben, andere Zeitgenossen sprachen von einer Befreiung, doch wer weiß schon, wie die unmittelbar Betroffenen darüber gedacht haben? Ich nicht, deshalb schweige ich und werfe noch einen letzten Blick auf das feuchte Grün des Fußballplatzes, auf dem es gerade hoch her geht. Der Ball fliegt von einer Ecke zur nächsten, ziemlich viel Durcheinander, der Schiedsrichter verliert schön langsam den Überblick und ich fühle mich gerade sauwohl, denn in meiner Mannschaft hat es endlich den lange ersehnten Wechsel gegeben, der schwächste Mitspieler hat den Rasen verlassen und wurde durch einen hochtalentierten Flügelstürmer ersetzt. Hurra, meine Chancen steigen!
6.Spielminute
Alle reden von der Gleichberechtigung, die Frauenquote ist ebenfalls auf dem Vormarsch, aber für uns Zwerge interessieren sich mal wieder nur die Pädophilen. Dabei gibt es nicht nur Frauen, sondern auch jede Menge Babys, die unter einer postnatalen Depression leiden. Ich zum Beispiel СКАЧАТЬ