Ein Leben dauert. Thomas Häring
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Название: Ein Leben dauert

Автор: Thomas Häring

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738030792

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СКАЧАТЬ Verlieren wir uns also nicht länger in absurden Verwirrungen sowie abstrusen Vorstellungen, sondern werfen wir doch lieber einen genaueren Blick auf jenes Leben vor dem Tod, das scheinbar so viele von uns bedroht. Floskeln helfen dabei, den Stillstand zu übertünchen, doch wer die Wartezeit zwischen Geburt und Tod einigermaßen sinnvoll überbrücken will, sollte sich die Mühe machen, einzutauchen in jenes Wunderwerk namens Leben und auch wenn es manchmal wirklich kaum mehr zu ertragen ist, so sollten wir uns dennoch oder gerade deswegen immer vor Augen halten, daß wir eingewilligt haben, in was auch immer. Ich versichere Ihnen, daß es sich beim Leben um kein Werbegeschenk handelt, allerdings ist das hier auch hundertprozentig keine Lebensversicherung. Am besten wird es sein, wenn Sie es selbst ausprobieren und sich durchklicken durch ihre eigenen Lebensstationen. Also gut, hier noch eine kurze, mißlungene Überleitung, damit Sie jetzt nicht völlig ins kalte Wasser geschmissen werden: Was nun folgt, ist die Verbindung zwischen Sport, in diesem Fall einem Fußballspiel und der menschlichen Existenz. Viele von Ihnen werden behaupten, daß man diese beiden Dinge ja wohl nun wirklich nicht miteinander vergleichen könne, genau deswegen versuche ich es natürlich trotzdem. Also dann, lassen Sie sich ruhig ein auf dieses Abenteuer, denn Sie brauchen nur lesen, das Denken können Sie sich schenken. In diesem Sinne, lasset das Spiel beginnen!

      Anpfiff zur ersten Halbzeit: Ich bin da. Keine Ahnung von woher man mich in die Welt geschmissen oder vielleicht sogar geschissen hat, das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Ich stehe auf dem Platz und es geht los. Zugegeben, momentan kann ich noch nicht viel, ein bißchen rumschreien, plärren, schlafen, nuckeln, kacken und damit hat es sich dann auch. Irgendwie muß ich mich erst daran gewöhnen, in der Welt zu sein und da ich es hier grundsätzlich ziemlich schrecklich finde, schreie ich relativ oft und laut. Aber das scheint niemanden zu stören, ganz im Gegenteil. Die Leute stürzen sich auf mich, strahlen mich an und reden auf mich ein. Nur gut, daß ich das Meiste von dem belanglosen Zeug nicht verstehe und noch besser, daß ich nicht auf ihre rhetorischen Fragen antworten muß. Ja, es hat sicherlich seine guten Gründe, daß ich noch nicht sprechen kann, der Hauptgrund besteht vermutlich darin, daß ich dann die ganze Zeit nur herum schimpfen würde. Wie dem auch sei, das Leben hat begonnen, das Spiel wurde angepfiffen und der Ball liegt vor mir. Was mache ich nun damit? Irgendwie erinnert er mich ja an meine Milchstation, jedoch ist er um Einiges größer und runder. Alle jubeln mir aufmunternd zu, selbst die vielen Zuschauer auf den Rängen scheinen Sympathien für mich zu hegen. Die werden sich noch wundern, aber egal. Ich versuche mich aufzurichten und loszumarschieren, aber immer wieder lande ich auf dem grünen Rasen. Das scheint niemanden zu stören, die Begeisterung bleibt ungebrochen und alle meine erfolglosen Handlungen werden voller Enthusiasmus kommentiert. Egal was ich auch mache, alles ist süß! Ich könnte kotzen und das Gute daran ist, daß selbst das frenetisch gefeiert wird. Aber am tollsten finden sie es, wenn ich ein Bäuerchen mache. Als ob da etwas dabei wäre, eine wirklich komische Welt und zwar merkwürdig, nicht lustig komisch, in die ich da geraten bin. Hin und wieder werde ich in so einem Gefährt rumgefahren und da treffe ich dann auf Gestalten, welche das gleiche Schicksal zu teilen scheinen wie ich selbst. Was für ein Geplärre! Was sind wir nur für bedauernswerte Würmer! Abhängig, hilflos und ziemlich unansehnlich. Doch wie bereits erwähnt, das scheint normal zu sein, denn die Menschen sind fast alle sehr angetan von mir und meinem Gebrüll. Zwei Kreaturen zeichnen sich durch besonders starkes Interesse aus, deren grinsende Visagen muß ich fast stündlich ertragen, es scheint so, als hätten die mit mir mehr zu tun, na bravo, das kann ja Eiter werden.

      2.Spielminute

      Habe mich langsam damit arrangiert, daß ich auf der Erde gelandet bin. Hätte schlimmer kommen können, na gut, war nur ein Witz, es handelt sich bei meinem Eintritt in die Erdatmosphäre natürlich um den absoluten Super-Gau, aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter. Schön langsam lerne ich das Laufen, obwohl ich mich viel lieber schieben lasse und noch viel lieber einen fahren lasse, was mir bisher noch niemand übelnimmt, zumindest tun sie so als wäre das völlig in Ordnung. Hin und wieder lasse ich sogar das eine oder andere Wort aus meinem Mund plumpsen, weil ich damit dafür sorgen kann, daß alle ganz fasziniert von mir sind und mich am liebsten knuddeln würden wie ein Eisbärbaby. Ich wähle meine Worte mit Bedacht, denn es kam schon mal vor, daß ich den besten Freund der Familie absichtlich "Papa" genannt habe und das schien der ganzen Gesellschaft doch ziemlich peinlich zu sein. Würde mich nicht wundern, wenn da irgendwann noch ein dunkles Familiengeheimnis gelüftet werden würde. Wie dem auch sei, ich fresse und scheiße, wachse und kraxle, ich werde immer aktiver und manchmal kommt es sogar vor, daß ich mich freue. Worüber kann ich nicht sagen, das weiß ich selbst nicht so genau, wahrscheinlich einfach nur verrückt spielende Hormone, aber egal. Ich werde mit Spielsachen förmlich zugeschissen und der Mann, der neben dem besten Freund der Familie, immer um mich herumturnt, gibt sich große Mühe, um mit mir Freundschaft zu schließen. Wahrscheinlich will er sich selbst und vor allem den Anderen beweisen, daß er mein richtiger Vater ist und darauf hinarbeiten, daß ich das auch so bald wie möglich begreife, verinnerliche und dann selbstverständlich auch lautstark nach außen kundtue. Na ja, das hätte er wohl gern, der Gehörnte, mir dagegen macht es großen Spaß immer "Opa" zu ihm zu sagen, was alle Anderen, sogar seine Frau, die angeblich meine "Mama" sein soll, sehr lustig finden. Der soll sich mal nicht so haben, versteht wohl keinen Spaß, der Alte. Wie auch immer, im Endeffekt kann er froh darüber sein und sollte es als Kompliment ansehen, daß ich ihn wenigstens als der Familie zugehörig betrachte. Ich hätte ihn ja auch "böser Onkel" nennen können, das hätte bestimmt für Aufregung gesorgt. Außerdem war ja zum Beispiel der Ferdinand Sitzl "Papa" und "Opa" in Personalunion, von daher kann dieses Sensibelchen eigentlich froh darüber sein, daß ich ihn dermaßen ausgezeichnet habe. Apropos Sitzl: Ich wohne über der Erde und habe es bislang noch nicht in den Keller geschafft. Kann gut sein, daß sich dort eine Familie aufhält, aber ich glaube, das geht mich nichts an und wenn nicht, dann ist es auch in Ordnung. Wenn ich mir vorstelle, auf was diese drei Sitzl-Kinder in ihren ersten Jahren alles verzichten mußten, dann wundere ich mich schon sehr. Andererseits kannten die es ja auch nicht anders, von daher war es wohl auch wieder nicht so schlimm, wie wir uns das eigentlich vorstellen. Wahrscheinlich war der Aufschrei der Empörung nur deshalb so groß, weil sich die Erwachsenen vorgestellt haben, wie es wohl für sie selbst wäre, jahrelang in einem Keller eingesperrt zu sein, eine absolute Horrorvision, ganz ohne Frage, da sie ja den Vergleich haben. Die Sitzl-Kellerkinder hingegen wußten ja so gut wie nichts von der Welt da draußen und kannten nur ihre Untergeschoßwohnung, von daher war das für sie bei Weitem nicht so schlimm, noch dazu, da sie ihre Mama die ganze Zeit, rund um die Uhr, um sich hatten. Welche Kinder können das schon von sich behaupten? Also mal ehrlich und unter uns, das war doch das Tollste für so ein Kind überhaupt, daß es die ganze Zeit unter Betreuung und Beobachtung stand, na ja, zumindest in den ersten Lebensjahren. Und wenn Besuch kam, dann handelte es sich dabei um den Papa und um den Opa zugleich, also einen Gast, der im Grunde zwei Personen darstellte und der zu allem Überfluß auch noch ein Doppelleben führte! Kann es etwas Aufregenderes geben? Ganz bestimmt, aber auf alle Fälle sind diese Kinder etwas ganz Besonderes, wenngleich sie sich selbstverständlich, so wie wir alle halt, als ganz normal betrachten. Genug jetzt, für einen, der sich noch am Spielbeginn befindet, habe ich ganz schön viel mitzuteilen, findet Ihr nicht? Hätte ich geschwiegen, dann wäre ich Philosoph oder doof geblieben. Also gut, das reicht jetzt erst mal, das Spiel ist bereits in vollem Gange, hin und wieder trete ich sogar schon gegen den Ball, aber meine Bewegungen sind nach wie vor ein wenig unkoordiniert, deshalb geht es für mich erst mal wieder ins Trainingslager.

      3.Spielminute

      Der bittere Kelch ist tatsächlich an mir vorbei geflitzt, denn ich wurde vom Glauben verschont, was bedeutet, daß ich weder getauft noch beschnitten worden bin. Was für ein Glück! Man hat mich also nicht zu einem jüdischen Moslem gemacht, da wäre von meiner Vorhaut wohl überhaupt nichts mehr übrig geblieben. War das jetzt antisemislamistisch? Na hoffentlich, wenigstens sind meine Eltern eingefleischte Atheisten und von Moral haben sie keinen blassen Schimmer. Religion, wer braucht die schon? Oder soll mich etwa der Buddhismus retten, mit seinem Kreislauf der Wiedergeburten? Nein danke, mir hat die eine Geburt vor über zwei СКАЧАТЬ