Sie. Henry Rider Haggard
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Sie - Henry Rider Haggard страница 4

Название: Sie

Автор: Henry Rider Haggard

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754183830

isbn:

СКАЧАТЬ – er deutete auf den eisernen Kasten – »eine Expedition, die leider erfolglos blieb. Auf dem Rückweg bereiste ich Südeuropa und kam auch nach Athen. Dort lernte ich meine geliebte Frau kennen, die wohl, genau wie mein alter griechischer Vorfahre, den Beinamen ›die Schöne‹ verdient hätte. Ich heiratete sie, und ein Jahr später, bei der Geburt meines Sohnes, ist sie gestorben.«

       Er schwieg eine Weile, den Kopf in die Hand gestützt. Dann fuhr er fort:

       »Meine Heirat hatte mich von einem Plan abgelenkt, auf den ich jetzt nicht näher eingehen kann. Ich habe keine Zeit, Holly – keine Zeit! Wenn du die Vormundschaft übernimmst, wirst du eines Tages alles darüber erfahren. Nach dem Tod meiner Frau beschäftigte ich mich wieder mit diesem Plan. Doch zuerst schien es mir notwendig, mir eine genaue Kenntnis der orientalischen Sprachen anzueignen, vor allem des Arabischen. Zu diesem Zweck kam ich hierher, doch bald bin ich erkrankt, und nun ist es aus mit mir.« Und als wollte er diese Worte bekräftigen, verfiel er in einen neuen schrecklichen Hustenanfall.

       Ich gab ihm noch einen Schluck Whisky, und nachdem er sich ein wenig erholt hatte, fuhr er fort:

       »Ich habe meinen Sohn Leo nicht gesehen, seit er ein ganz kleines Kind war. Ich konnte seinen Anblick nicht ertragen. Er soll ein hübscher, aufgeweckter Junge sein. In diesem Brief« – er zog ein an mich adressiertes Kuvert aus der Tasche – »habe ich dargelegt, wie ich mir seine Erziehung denke. Ich habe in dieser Hinsicht ein wenig eigenartige Vorstellungen und möchte deshalb keinen Fremden damit betrauen. Ich frage dich noch einmal: Willst du diese Aufgabe übernehmen?«

       »Dazu müßte ich erst wissen, worin sie besteht«, erwiderte ich.

       »Du sollst den Jungen zu dir nehmen, bis er fünfundzwanzig Jahre alt ist, und ihn keinesfalls auf eine Schule schicken. An seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag endet deine Vormundschaft. Dann wirst du mit diesen Schlüsseln, die ich dir hiermit übergebe« – er legte sie auf den Tisch –, »den eisernen Kasten öffnen und ihn den Inhalt lesen lassen. Er soll dann entscheiden, ob er die Reise unternehmen will oder nicht. Wohlgemerkt, er ist in keiner Weise dazu verpflichtet. Und nun zu den Bedingungen. Mein gegenwärtiges Einkommen beträgt zweitausendzweihundert Pfund im Jahr. Die Hälfte davon habe ich dir – vorausgesetzt, du übernimmst die Vormundschaft – auf Lebenszeit vermacht. Das heißt, tausend Pfund davon sind für dich selbst als Entschädigung für deine Bemühungen bestimmt und hundert Pfund jährlich für den Unterhalt des Jungen. Der Rest soll liegenbleiben und sich verzinsen, damit Leo, wenn er sich mit fünfundzwanzig Jahren entschließen sollte, die Reise zu unternehmen, das dafür nötige Geld zur Verfügung steht.«

       »Und wenn ich früher sterben sollte?« fragte ich. »Dann muß das Vormundschaftsgericht sich seiner annehmen. Du darfst nur nicht vergessen, ihm den Kasten testamentarisch zu vermachen. Ich bitte dich nochmals, Holly – schlage es mir nicht ab. Glaube mir, es wird nicht zu deinem Schaden sein. Du bist dieser Welt nicht gewachsen, mein Lieber. In ein paar Wochen wirst du dein Fellowship-Examen machen, und das Einkommen, das du dann erhalten wirst, wird es dir, zusammen mit dem Geld, das ich dir vermache, ermöglichen, ganz der Wissenschaft zu leben und dich deinem geliebten Sport zu widmen.«

       Er hielt inne und sah mich erwartungsvoll an, doch ich zögerte noch immer. Sein Ersuchen schien mir doch gar zu seltsam. »Tu's mir zuliebe, Holly. Wir sind doch gute Freunde, und ich habe keine Zeit mehr, andere Vorkehrungen zu treffen.«

       »Also schön«, sagte ich. »Ich bin einverstanden – vorausgesetzt, daß in diesem Brief nichts steht, was mich umstimmen könnte.«

       »Ich danke dir von ganzem Herzen, Holly. Mache dir deshalb keine Sorgen. Schwöre mir bei Gott, daß du dem Jungen ein guter Vater sein und die darin niedergelegten Anweisungen befolgen wirst.«

       »Ich schwöre es«, sagte ich feierlich.

       »Gut. Aber denke daran, daß ich eines Tages vielleicht Rechenschaft von dir fordern werde, denn wenn ich auch tot und vergessen sein werde, so werde ich dennoch leben. Glaube mir, Holly, es gibt keinen Tod, nur eine Wandlung, und ich bin überzeugt, daß sich auch hier auf Erden diese Wandlung unter gewissen Umständen unendlich weit hinausschieben läßt.« Und wieder bekam er einen furchtbaren Hustenanfall.

       »Ich muß jetzt gehen«, sagte er. »Den Kasten habe ich dir ausgehändigt, und das Testament, demzufolge man dir den Jungen übergeben wird, befindet sich unter meinen Papieren. Du wirst reich entschädigt, Holly, und ich weiß, du bist ein Ehrenmann – solltest du jedoch deinen Eid brechen, bei Gott, so wird mein Geist dich heimsuchen.«

       Ich schwieg, denn ich war zu bestürzt, um ein Wort hervorzubringen.

       Er nahm die Kerze, hob sie hoch und betrachtete sich im Spiegel. Sein Gesicht war einst schön gewesen, doch die Krankheit hatte es entstellt. »Futter für die Würmer«, sagte er. »Ein merkwürdiger Gedanke, daß ich in wenigen Stunden steif und kalt sein werde. Ach, Holly, das Leben ist all die Mühsal nicht wert, es sei denn, man liebt – das meine wenigstens war es nicht. Vielleicht wird mein Sohn Leo, wenn er genügend Glauben und Mut hat, das Glück finden. Leb wohl, mein Freund!« Und in einem plötzlichen Anfall von Zärtlichkeit umarmte er mich und küßte mich auf die Stirn, bevor er zur Tür ging.

       »Nun warte doch, Vincey«, rief ich. »Wenn du wirklich so krank bist, wie du glaubst, solltest du mich doch lieber einen Arzt holen lassen.«

       »Nein, nein«, sagte er ernst. »Versprich mir, daß du das nicht tun wirst. Ich werde sterben, und wie eine vergiftete Ratte will ich allein sterben.«

       »Was für ein Unsinn«, erwiderte ich. Er sagte lächelnd: »Vergiß nichts«, und ging hinaus. Ich setzte mich, rieb mir die Augen und fragte mich, ob ich dies alles nur geträumt habe. Doch da diese Annahme absurd war, verwarf ich sie und erwog, ob Vincey vielleicht betrunken gewesen war. Ich wußte, er war sehr krank; dennoch schien es mir ausgeschlossen, daß sein Befinden so schlecht war, daß er mit solcher Bestimmtheit annehmen konnte, er werde die Nacht nicht überleben. Wenn er dem Tode so nahe war, dann hätte er wohl kaum so herumgehen und den schweren Eisenkasten tragen können. Und auch seine Geschichte schien mir, als ich darüber nachdachte, gänzlich unglaublich, denn ich war damals noch nicht alt genug, um zu wissen, daß auf dieser Welt viele Dinge geschehen, die der Mensch mit seinem begrenzten Verstand nicht fassen kann und deshalb für unmöglich hält. Zu dieser Einsicht bin ich erst vor kurzem gelangt. War es möglich, daß ein Mann einen fünfjährigen Sohn besaß, den er seit seiner frühesten Kindheit nicht gesehen hatte? Nein. War es möglich, daß er seinen eigenen Tod mit solcher Bestimmtheit vorhersehen konnte? Nein. War es möglich, daß er seinen Stammbaum bis auf mehr als drei Jahrhunderte vor Christus zurückverfolgen konnte, daß er einem Studienkollegen plötzlich die unumschränkte Vormundschaft über sein Kind anvertraute und ihm sein halbes Vermögen vermachte? Ganz gewiß nicht. Doch wenn dem so war, was hatte dann das Ganze zu bedeuten? Und was befand sich in dem versiegelten eisernen Kasten?

       Die ganze Sache verwirrte und beunruhigte mich dermaßen, daß ich es schließlich nicht länger aushielt und beschloß, eine Nacht darüber zu schlafen. Ich sprang also auf, verwahrte die von Vincey mir übergebenen Schlüssel und den Brief in meiner Dokumentenmappe, sperrte den eisernen Kasten in einen Reisekoffer, ging zu Bett und schlief rasch ein.

       Mir schien, als hätte ich erst wenige Minuten geschlafen, als mich jemand weckte, indem er meinen Namen rief. Ich fuhr auf und rieb mir die Augen – es war heller Tag, acht Uhr schon.

       »Was ist denn mit dir los, John?« fragte ich den Collegediener, der für Vincey und mich die Aufwartung besorgte. »Du blickst ja drein, als hättest du ein Gespenst gesehen!«

       »Ja, Sir, das habe ich«, erwiderte er, »... noch viel schlimmer, ich habe einen Toten gesehen. Soeben wollte ich Mr. Vincey wie immer wecken, und er liegt kalt und tot in seinem Bett!«

СКАЧАТЬ