Was seine Schwägerin betrifft, ist er ratlos. Im Hinblick auf seine Ehe reift in Paul Schmitz immer mehr die Überzeugung, dass er sich von seiner Frau gütlich trennen sollte.
Der Krieg hat andere Menschen aus seiner Gattin und ihm gemacht – andere Menschen, die nicht mehr so zueinander passen, wie dies vor der großen Völkerschlacht noch der Fall gewesen war.
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Clarissa Schmitz erholt sich schnell vom Schock dessen, was Dr. Freudenberg auf seinem Ultraschallgerät zu sehen geglaubt hat. Sie ist ein aktiver, ein tatkräftiger Mensch und fest entschlossen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit das Baby gesund zur Welt kommt.
Und selbst wenn das Kind behindert sein sollte: Es ist ihr Baby und sie wird es mit aller nur erdenklichen Liebe großziehen.
Die ersten Möbel für das Kinderzimmer sind geliefert worden, eine Woche früher als angekündigt, sodass das Zimmer noch nicht tapeziert ist.
Clarissa ist handwerklich sehr begabt, es gibt kaum etwas in der Wohnung, was sie nicht selbst in Angriff nimmt.
Sie hat gerade den Tapeziertisch aufgestellt, als das Telefon klingelt.
„Hallo Clarissa, hier ist Guiseppe aus Bella Italia.“
Clarissa ist baff erstaunt, hat sie doch seit langer Zeit nichts mehr von der Verwandtschaft aus Italien gehört.
„Guiseppe, welch' eine Überraschung. Wie lange haben wir wohl nichts voneinander gehört?“
„Beinahe eine Ewigkeit.“
„In jedem Fall viel zu lange!“
„Ich habe von den Problemen in Deiner Schwangerschaft gehört. Das tut mir unendlich leid.“
„Danke, Guiseppe. Da hilft wohl nur warten – und beten.“
„Beten solltest Du, aber warten? Du musst die besten Ärzte aufsuchen, Dich nach neuen Untersuchungsmethoden und Medikamenten erkundigen. Vielleicht gibt es etwas, das dem Kind helfen kann.“
„An der Universitätsklinik hier in Köln sind schon richtige Experten, das kannst Du mir glauben.“
„Sicher, aber was Du brauchst, ist kein Experte, sondern ein Spezialist. Einer, der sich genau mit dem Problem auskennt, das Du hast.“
„Und woher soll ich den nehmen, Guiseppe?“
„Bei uns in Italien, am altehrwürdigen Santa Maria Nuova in Firenze, gibt es einen Arzt, der einen sehr guten Ruf hat, gerade, was Probleme im Mutterleib angeht. Er hat schon viele Risikokinder auf die Welt geholt und schon einige problematische Geburten gemeistert.“
„Meinst Du wirklich, der Dottore weiß mehr als unsere Ärzte in Deutschland?“
„Gut möglich, Clarissa. Ich würde es in jedem Fall versuchen. Ich kenne einen Kollegen von Dr. Baldini aus der gemeinsamen Schulzeit. Er arbeitet im gleichen Ospedale, ich könnte da was arrangieren.“
„Wirklich? Oh, Danke, Guiseppe, Danke! Ich werde heute Abend direkt mit Werner darüber reden.“
„Mach' das, Clarissa. Wir hören voneinander. Und: Kopf hoch, das wird schon!“
„Tausend Dank, Guiseppe!“
Clarissas Puls jagt, ihr Herz klopft bis zum Hals. Sie setzt sich auf einen Stuhl, streichelt sich über den Bauch und sagt:
„Wir kriegen das schon hin, bambino mio, Du kommst gesund zur Welt.“
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Borna und Davor Krupcic haben sich im Fordwerk zu Köln fest etabliert. Sie sind stets pünktlich, fleißig und engagiert.
Das wird honoriert: Obwohl die Produktion nach wie vor auf Hochtouren läuft, erlaubt ihnen ihr Chef, gemeinsam für zwei Wochen Urlaub zu nehmen, damit sie zusammen in die Heimat fahren können.
Die Brüder verdienen in Deutschland gutes Geld, sie leben sparsam und schicken der Familie regelmäßig Teile ihres Gehalts, damit das Eigenheim in Jugoslawien auf Vordermann gebracht werden kann. Sogar an einen Anbau wird gedacht, für den Fall, dass einer oder gar beide Söhne nach einigen Jahren in Deutschland in die Heimat zurückkehren.
Borna und Davor sind bescheiden geblieben, sie gönnen sich wenig.
Die Zugfahrt über München und Belgrad nach Novi Sad indes tun sich die Brüder nicht mehr an, sie beschließen, fortan mit dem Flugzeug in die Heimat zu reisen.
Das Luftverkehrsunternehmen Jugoslawenski Aerotransport (JAT) nimmt seine Arbeit am 01.04.1947 auf.
Die JAT sorgt für die Ausgestaltung eines Flugnetzes, dass sich nicht nur über die Hauptstädte der einzelnen Teilrepubliken Jugoslawiens und zahlreichen Städten des Auslandes ausdehnt, sondern auch die für den Fremdenverkehr wichtisten Orte: Dubrovnik, Split, Tivat, Veldes, Ohrid und Titograd umschließt. Der Auslandsflugverkehr wird vorwiegend über den neuen Großflughafen Surcin, 17 km vom Zentrum Belgrads entfernt, abgewickelt (33).
Borna und Davor Krupcic stehen am Flughafen Köln/Bonn am Schalter, zwei Tickets nach Belgrad in der Hand.
„Bist Du auch so nervös, Borna?“
„Ja, Davor. Du kennst mich nur als den großen, starken Bruder, was?! Aber ich sag' Dir was: mir ist richtig flau im Magen.“
„Mir auch, Borna.“
„Ich habe gedacht, meinen ersten Flug mache ich mit Ana...“
„Hey, der erste Flug mit mir – ist das etwa nichts?“, Davor lacht.
„Doch, sicher, das ist auch etwas Besonderes“, Borna drückt seinen Bruder kurz, dieser erwidert die Umarmung.
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Das Gespräch mit seinem Vater Andrea, mit Onkel Gianni und Cousin Luigi, hat tiefe Spuren bei Guiseppe Scirelli hinterlassen.
Er hätte nicht gedacht, dass die Familie seinen Plan so entschieden ablehnen würde.
Es muss doch allen bewusst sein, dass ein behindertes Familienmitglied nicht zum Status der Famiglia passt, dass eine Behinderung, geistig wie körperlich, ein Zeichen von Schwäche ist, die sich eine hoch angesehene Familie wie die der Scirellis und Tardeas nicht erlauben darf.
Warum nur sträuben sich alle außer ihm so gegen eine Abtreibung?
Wie dem auch sein, Guiseppes Vorhaben ist gescheitert. Das Kind wird zur Welt kommen – behindert oder nicht.
Das Ospedale von Santa Maria Nuova, das seinen Namen der Kirche des Krankenhauses verdankt, ist das älteste Krankenhaus in Florenz. Es wurde im Jahre 1288 gegründet und ist eines der wichtigsten medizinischen Zentren der Stadt (34).
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