Название: Im heiligen Lande
Автор: Selma Lagerlöf
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754175651
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Auf diese Herausforderung erwiderte die Felsenkirche:
»Was sind einige Jahre der Erniedrigung für mich?! Bin ich nicht beständig der, der ich bin? Es vergingen nur wenige Jahrhunderte, dann kam eines Nachts ein alter, ehrwürdiger Mann mit einem gestreiften Mantel eines Beduinen und dem Turban aus Kamelhaaren auf dem Kopfe zu mir. Dieser Mann war Mohammed, der Prophet Gottes. Er ward lebend in den Himmel aufgenommen, und sein Fuß ruhte auf meiner Stirn, als er von der Erde weggenommen wurde. Im selben Augenblick erhob ich mich durch eigene Kraft mehrere Fuß über der Erde, vor Sehnsucht, ihm folgen zu dürfen. Ich erhob mich aus Schutt und Asche, und ich bin der Ewige, der niemals vergehen kann.«
»Du ließest dein Volk im Stich, Verräter!« klagte die Kirche. »Du verhalfst den Gläubigen zur Macht.«
»Ich habe kein Volk, ich diene keinem, ich bin der ewige Fels. Der, der mich anbetet, den beschütze ich. Bald kam der Tag, da Omar seinen Einzug in Jerusalem hielt und der große Kalif den Tempelplatz reinigen ließ und selbst einen Korb voll Schutt auf seinen Kopf nahm und ihn forttrug. Und einige Jahre später führten Omars Anhänger auf mir das prächtigste Gebäude auf, das das Morgenland jemals gesehen hat.«
Hier unterbrach ihn die Glockenstimme mit ihrer ganzen Heftigkeit: »Ja, das Gebäude ist schön, aber weißt du nicht, woher es stammt? Meinst du, daß ich diese Mosaikgewölbe nicht kenne und diese herrliche Kuppel, diese Marmorwände, unter denen es in ungeschmückter Einfachheit ruht, wie einstmals das heilige Grab in der Rundkirche Helenas? Deine ganze Moschee ist nach dem Muster der ersten Grabeskirche gebaut.«
Mrs. Gordon wurde immer ungeduldiger. Der Streit der beiden Heiligtümer erschien ihr ärmlich und kleinlich. Nicht einen einzigen Gedanken hatten sie für die verschiedenen Religionen übrig, deren Abbild sie waren. Sie dachten nur daran, mit den Gebäuden zu prahlen, die sie bedeckten.
Die Moschee fuhr fort: »Ich erinnere mich an gar manches, nicht aber, daß ich die schöne Grabeskirche gesehen habe, von der du sprichst.«
»Wahrlich ragte sie hier auf Golgatha auf, aber sie wurde bald von Feinden zerstört. Sie wurde wieder aufgebaut und abermals zerstört.«
»Dahingegen entsinne ich mich,« sagte die Felskirche, »daß auf Golgatha eine Menge kleiner und großer Gebäude standen, die für heilig gehalten wurden. Sie waren elend und verfallen, der Regen tropfte durch das Dach.«
»Ja, das ist wahr,« erwiderte die Kirche, »das war deine Zeit und die Zeit deiner Finsternis. Aber ich kann wie du sagen: Was haben einige Jahre der Erniedrigung zu bedeuten? Ich habe gesehen, wie sich das ganze Abendland erhob, um mir zu helfen. Ich habe gesehen, wie Jerusalem von vielen eisenbekleideten Männern aus Europa erobert wurde, die um meinetwillen ausgezogen waren. Ich habe deine Moschee in eine christliche Kirche verwandeln sehen, und die Kreuzfahrer haben auf dir, o Fels, einen Altar errichtet. Ich habe Kreuzritter ihre Pferde in die Gewölbe unter dem Tempelplatz ziehen sehen.«
Der alte Fels erhob seine Stimme und sang, wie ein Derwisch in der Wüste singen würde.
Die Kirche ließ sich aber nicht in ihrem Wortschwall unterbrechen: »Ich entsinne mich, wie die Ritter des Abendlandes ihre eisernen Rüstungen ablegten und zu Axt und Mauerkelle griffen, um die Kirche des heiligen Grabes wieder aufzubauen. Ich entsinne mich, daß sie das Gebäude so groß machten, daß es all die heiligen Stätten umfassen konnte. Ich entsinne mich, wie sie das graue Felsgrab mit weißem Marmor von außen wie von innen bekleideten.«
Die alte Stimme unterbrach: »Was nützt es dir, daß du von Kreuzfahrern erbaut bist, du bist ja doch verfallen!«
»Ich bin voll von Erinnerungen und heiligen Stätten«, rief die Grabeskirche in lautem Tone. »Innerhalb meiner Mauern kann ich auf den Ölberg zeigen, wo Abraham den Widder fand, und auf die Kapelle, wo Adams Schädel begraben wurde. Ich kann auf Golgatha zeigen, und auf das Grab und den Stein, wo der Engel saß, als die Frauen kamen, um über den Toten zu weinen. Innerhalb meiner Mauern liegt der Ort, wo die Kaiserin Helena umherzugehen und die Arbeiter zu ermuntern pflegte, und der Ort, an dem das Kreuz gefunden wurde. Ich besitze die Säule, an der der Gekreuzigte saß, als man ihn mit Dornen krönte, und den Salbungsstein und das Grab Melchisedeks. Ich besitze das Schwert Gottfried von Bouillons. Ich werde noch immer von Kopten und Abessiniern, von Armeniern und Jakobiten, von Griechen und Römern verehrt. In mir wimmelt es von Pilgern – – –«
Die alte Felskirche unterbrach sie: »Woran denkst du nur, du Felsblock, du Grab, dessen Stätten niemand kennt, willst du dich in bezug auf Bedeutung mit dem ewigen Felsen messen? Bin ich es nicht, auf den man Jehovas heiligen, unaussprechlichen Namen eingeschrieben hat, den kein anderer als Jesus hat deuten können? Soll nicht in meinen Tempelhof Mohammed am jüngsten Tage herabsteigen?«
Als der Streit zwischen den Kirchen so an Heftigkeit zunahm, erhob sich Mrs. Gordon. Sie vergaß, daß ihre Stimme nicht die Kraft besaß, sich zugleich mit den beiden mächtigen Stimmen Gehör zu verschaffen. »Wehe euch, wehe euch,« rief sie, »was seid ihr für Heiligtümer? Ihr streitet und zankt miteinander, und durch eure Uneinigkeit wird die Welt mit Unfrieden und Haß und Verfolgung erfüllt. Aber Gottes letztes Gebot heißt Einigkeit, hört das! Gottes letztes Gebot, das ich empfangen habe, heißt Einigkeit!«
Als diese Worte gesagt waren, schwieg sowohl das heilige Grab als auch der heilige Fels. Mrs. Gordon glaubte einen Augenblick fast, daß ihre Worte die Macht besessen hatten, den Streit zu unterbrechen. Da aber sah sie, daß alle Kreuze und Halbmonde, die sich über dem großen Kuppelgebäude der heiligen Stadt erhoben, nach und nach vergoldet wurden und schimmerten. Die Sonne ging über dem Ölberge auf, und alle Stimmen der Nacht mußten verstummen.
Bo Ingmar Maansson.
Unter denen, die zu Hellgums Gemeinde ln Amerika gehört hatten, und mit ihm nach Jerusalem gezogen waren, befanden sich drei, die zu dem alten Ingmarsgeschlecht gehörten. Es waren die beiden Töchter des großen Ingmar, die bald nach dem Tode des Vaters nach Chicago gereist waren, sowie ihr Vetter Bo Ingmar Maansson, ein junger Mann, der sich nur zwei oder drei Jahre in den Vereinigten Staaten aufgehalten hatte.
Bo war gut gewachsen, hatte blondes Haar und blonde Augenbrauen, war rotwangig und von gutmütigem Aussehen. Es war nicht viel in seinen Zügen, das an das alte Geschlecht erinnerte, aber die Ähnlichkeit trat hervor, wenn er eine schwierige Arbeit vorhatte oder in Gemütserregung geriet.
Als Bo heranwuchs und in Storms Schule ging, war er ein träger, schlaffer Junge gewesen. Der Schulmeister hatte sich oft darüber gewundert, daß einem aus einer so klugen Familie das Lernen so schwer werden konnte. Aber die Schlaffheit verschwand indessen ganz, als Bo nach Amerika kam. Er war schnell und aufgeweckt geworden, im Rat wie in der Tat; aber er hatte in seiner Kindheit so oft hören müssen, daß er dumm war, und daher hatte er noch immer ein starkes Mißtrauen zu seinen eigenen Fähigkeiten.
Die Leute im Kirchsprengel waren nicht wenig überrascht, als Bo nach Amerika reiste. Die Eltern besaßen einen großen Hof und waren wohlhabende Leute. Sie hätten den Sohn gern zu Hause behalten.
Es ging zwar das Gerücht, daß Bo Schulmeisters Gertrud liebe, und daß er fortgereist sei, um sie zu vergessen, aber niemand wußte so recht Bescheid, wie sich die Sache verhielt. Bo hatte niemals einen anderen Vertrauten gehabt, als seine Mutter, und die war nicht umsonst die Schwester des großen Ingmar. Sie konnte man nicht dazu verleiten, mehr zu sagen, als sie Lust hatte.
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