Название: Siebenkäs
Автор: Jean Paul
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754175224
isbn:
Siebenkäs merkte überhaupt vor der ganzen Tafel an, die vornehmen Zirkel seien viel ernsthafter und langweiliger und leerer als die gemeinen; dort spreche man wochenlang davon, wenn einmal ein Fest ohne verdammte Langeweile zum Umkommen ausgefallen, hier aber trage jeder zum frohen Reden-Pickenick so viel zu, daß es selten an etwas anderem fehle als an Bier. »O!« fuhr er fort, »bedächte doch jeder aus unserem Stande, um den tiefern wahrhaft zu beneiden, wie so sehr im figürlichen Sinne das zutrifft, was im eigentlichen längst wahr ist, daß grobe Leinwand besser warm hält als feine oder gar Seidenzeug, so wie ein hölzernes Haus mehr heizt als ein steinernes – im Sommer kühlt es wieder weniger als dieses –, oder so wie das schwarze grobe Roggenmehl nach allen Ärzten ungleich nahrhafter ist als das weiße feine. – So will es mir nicht einleuchten, daß in Paris Damen, welche diamantne Haarnadeln tragen, nur halb so reinheitere Jahre erleben als die Weiber, die sich dort davon erhalten, daß sie schlechte Haarnadeln aus dem Gassenkehricht auflesen; ferner mancher, der bloß mit dürren Tannenzapfen heizt, die er als Tannen-Surrogat vorher selber eingetragen« (hier dachte die holzsparende Tischgesellschaft sehr an sich) »kann oft ebensogut fahren als mancher, der grüne in Zucker einmachen und verspeisen kann.«
»Freund Armen-Advokat«, versetzte Leibgeber, »wie trefft Ihrs! In Kneip' und Krug kriegt jeder seine noch so schwere Not zum Glück auf einmal, er bekommt seine Prügel, seine Fußtritte, seine Schimpfworte sofort plötzlich; die Lust aber steigt schön allmählich mit der Rechnung. Anders gehts in Palästen; in einem Palais für den palais bekommen die Lust alle auf einmal und zu gleicher Zeit ins Maul (so wie die Blattläuse alle zu gleicher Zeit die Steiße heben und den Honig ausspritzenWilhelmis Unterhaltungen aus der Naturgeschichte. Insekten. B. I. ) – hier wird er nämlich ebenso gleichzeitig und gesellig aufgefaßt; – Langeweile hingegen, Überdruß und Ekel sind Sachen, welche erst allmählich, geschickt unter die mannigfachen Freuden verteilt, von einem ganzen langen Festin beigebracht und mitgeteilt werden, so wie man den Hund mit einem Brechmittel ganz überstreicht, damit ers langsam ablecke und so in sich bringe zum Vonsichgeben.«
Und mehr dergleichen Reden wurden vorgebracht. Ist einmal eine Lust groß: so wird sie natürlicherweise noch größer. Viele Gemeine aus der Sitzung machten vom Vorrechte des Trunks und der Spezialinquisition, nämlich du zu sagen, untereinander Gebrauch. Ja der Herr im Rotplüschrock (der Rat trug ihn gerne in Hundstagferien) spitzte das Maul und lächelte schmelzend, wie betagte Jungfern vor betagten Junggesellen, und gab Winke, er verwahre daheim zwei echte horazische Flaschen Champagner. – »Also gewiß Non-mousseux?« versetzte fragweise Leibgeber. – Der Schulrat, der grade den bessern Champagnerwein für den schlechtern ansah, antwortete mit einigem Selber-Bewußtsein: »Moussiert er nicht, nun gut, so schwör' ich, daß ich ihn allein austrinken will.« – Die Flaschen erschienen. Mit Vorsicht feilte Leibgeber an der ersten die Sperrkette der Fruchtsperre ab und zog ihr den Stechhelm aus und öffnete sie wie ein – Testament.... Ich bleibe dabei, wenn einmal die zwei Balsampappeln des Lebens, der Witz und die Menschenliebe, abgedorret sind bis an den Wipfel: so ist ihnen noch nachzuhelfen durch einen rechten Guß aus dem Sprengkrug besagter Flaschen – in drei Minuten werden die Storzeln treiben. – Als die Folie des Getränks, der silberne Schaum, in den Köpfen zu auflaufenden Luftschlössern geschlagen wurde: wie blinkte und gischte da jedes Gehirn! Welche bunte fliegende Blasen warfen nicht alle Ideen des Schulrats Stiefel, die einfachen sowohl als die zusammengesetzten, desgleichen die angebornen und die fixen! – Kann es denn je vergessen werden, daß er keine gelehrten Anzeigen mehr machte als die von Lenettens Reizen, und daß er Siebenkäsen anvertrauete, er wünsche sich zu bewerben, freilich nicht sowohl mit der zehnten Muse oder vierten Grazie oder zweiten Venus – denn er wisse wohl, wer diese schon habe –, aber so etwa mit einer Stiefgöttin und weitläuftigen Verwandten davon. Während der ganzen Fahrt, sagte er, sei er auf dem Kutschkasten ordentlich wie auf einem Predigtstuhle gesessen und habe der Braut das Glück des Ehestandes mit allen möglichen Farben vorgehalten und es ihr so lebhaft vorgeschildert, daß er sich ordentlich selber darnach gesehnt; und der Bräutigam würde ihm gedankt haben, daß sie ihn so dankbar dafür angesehen. – Und in der Tat stand der Braut alles, besonders der Abend, unbeschreiblich schön, am meisten dieses, daß sie an einem solchen Ehrentage mehr diente als bedient wurde – daß sie sich leicht gemacht und in die Hauskleidung geworfen hatte – daß sie so spät Privatstunden über die Küche bei ihren weiblichen Gästen nahm, die ihr nach eigenen Diktaten lasen – und daß sie schon auf morgen Vorsorge traf. – In der Begeisterung machte Stiefel sich an Dinge, die fast unmöglich waren – er stellte seinen linken Arm als Stäuber unter den rechten und erhielt diesen und die Fracht des plüschnen Ärmels waagrecht und schneuzte damit öffentlich das Licht, jedoch nicht ungelenk, sondern einem Gärtner ähnlich, der an einer Stange die Baumschere hinaufhält und unten durch leichtes Zuziehen oben alles beschneidet – er hielt geradezu bei Leibgebern um den Schattenschnitt Lenettens an – und nachher beim Abschied versuchte er sogar (das war das einzige Unternehmen über seine Kräfte) ihre Hand zu fangen und solche zu küssen. – –
Endlich waren alle Freudenfeuer des kleinen frohen Bundes niedergebrannt wie die Lichter, und die Nacht grub einen Edenfluß um den andern ab. Der Gäste und Lichter wurden weniger; jetzo war nur noch ein Gast da, der Rat Stiefel (denn Leibgeber ist keiner), und ein langes Licht. Es ist eine schöne erweichende Minute, nach dem Aussummen eines brausenden Gastmahl-Geläutes noch mit einigen da zu sitzen und stiller, oft trüber, sich in den Nachklang der Freude zu verlieren. Endlich brach der Rat das vorletzte Zelt dieses Lustlagers ab und wich; aber er litt es nicht, daß Finger, an welche seine Lippen mit allem Schnappen nicht kommen konnten, sich um einen kalten Messingleuchter legen sollten, um ihn hinunterzuleuchten. Leibgeber mußte zum Leuchter dienen. Jetzo saß, Hand in Hand, das Brautpaar zum erstenmal allein im Finstern nebeneinander...
Schöne Stunde, worin in jeder Wolke ein lächelnder Engel stand und aus jeder statt der Regentropfen Blumen niederwarf, möge dein Widerschein bis auf mein Papier langen und da noch sichtbar sein! –
Der Neuvermählte hatte noch nie seine Braut geküßt. Er wußte oder glaubte, sein Gesicht sei mehr geistreich, angespannt, eckig und scharf als glatt-schön; und da er noch dazu seine Gestalt immer selber lächerlich machte: so meinte er, sie komme auch andern so vor. Daher bracht' er, der sich sonst über die Augen und Zungen einer ganzen Gasse wegsetzte, doch nicht so viel Mut zusammen, um, außer den Zeiten der freundschaftlichen Dithyramben, nur seinen – Leibgeber zu küssen, geschweige seine Lenette. Er drückte ihre Hand jetzo heftiger und wandte kühn sein Gesicht gegen ihres, zumal da er nichts sehen konnte, und wünschte, die Treppe habe so viel Staffeln wie der Münsterturm, damit Leibgeber später mit dem Lichte erschiene. Auf einmal hüpfte ein gleitender bebender Kuß über seinen Mund und – nun schlugen alle Flammen seiner Liebe aus der weggewehten Asche auf. Denn Lenette, so unschuldig wie ein Kind, glaubte, es sei die Pflicht der Braut, diesen Kuß zu geben. Er umfaßte die zagende Geberin mit aufmerksamer schüchterner Kühnheit und glühte mit allem Feuer, das ihm Liebe, Wein und Freude gaben, auf ihren Lippen mit seinen; aber sie wandte – so sonderbar ist dieses Geschlecht – den gefesselten Mund von dem brennenden ab und kehrte den beglückten СКАЧАТЬ