Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute. Jürgen Ruszkowski
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      Die 37jährige Witwe und sieben unmündige Kinder blieben allein zurück. Aus eigener Kraft musste Mutter Maria sie nähren, kleiden und zu ordentlichen Menschen erziehen. Wie sie das machte, erscheint auch heute noch fast wie ein Wunder. Mit der Herstellung von Wachskerzen konnte sie sich ein großes Vermögen erwerben.

      Schon 1854 gehörte ihr ein Schiff „MARIA 2", dem später die Schiffe „SIDONIE", „IMMANUEL" und „JOHANNA" folgten.

      Trotz ihrem Kinderreichtum hatte sie es zu einem solchen Wohlstand gebracht, dass sie bei ihrem Tode am 4. August 1889 jedem ihrer sieben Kinder eine Erbschaft von 14.000 Mark hinterließ. Lange hieß es noch voll Bewunderung im Familienkreis „Hut ab vor Mutter Hubert", wenn man von der großen, blonden Frau sprach, deren Bild in der guten Stube der Cranzer Wohnung hing, eine ernste, energische Frau im schwarzseidenen Staat der Altländer Bauerntracht. Als in jenen traurigen Weihnachtstagen des Jahres 1852 Mutter Hubert vor dem Nichts stand, war das Haus voller Kinder, die alle ihrer Hilfe bedurften. Ihr ältester Sohn Johann war gerade erst vierzehn, das jüngste Kind sieben Monate alt. Johann - oder wie man ihn kurz nannte - Jan, fühlte Mitverantwortung, empfand die Schwere des Schicksals, das über die Mutter und die Kinder hereingebrochen war. Und Jan wollte mitverdienen, um es der Mutter leichter zu machen. So kam Jan mit vierzehn Jahren zu seinem Onkel in Neuhaus in die Lehre. Aber, wie der Vater, hielt auch er es bei dem biederen Handwerk nicht lange aus.

      Er ging zur Seefahrt über, und mit 22 Jahren führte er als Kapitän selbständig das erste Schiff seiner Mutter. Zwei Jahre später heiratete er die Tochter des angesehenen Cranzer Schiffsreeders und Kapitäns Nikolaus Wettern. Jan Hubert und seine jungvermählte Frau Engel machten ihre Hochzeitsreise auf dem Schiff "JOHANNA". In Genua konnte der junge Kapitän seiner Frau etwas von der Schönheit der Welt zeigen, von der alle jungen Herzen hinter den Este- und Elbdeichen träumten. Der welterfahrene Schwiegervater mochte dem jungen Jan Hubert einen guten Start ins Leben gegeben haben, denn schon bald stand Jan am Steuer seines dritten Schiffes, der schnellen "ANTELOPE", die er lange auf Südamerikafahrt führte und deren Besitzer und Reeder er als Partenreeder mit seinem Schwiegervater zusammen war. Die ANETOLE wird damals eines der schnellsten Schiffe der Cranzer Flotte gewesen sein und segelte regelmäßig auf der Linie Hamburg – Rio.

      Nach der Hochzeitsreise begleitete Engel ihren Mann nicht mehr auf seinen Fahrten; denn nach Rückkehr von der ersten Reise nach Südamerika kam schon eine kleine Maria in dem Hause in Cranz an, das Schwiegervater Wettern 1851 gebaut hatte und in dem Jan und Engel nun wohnten. Ihre erste Tochter nannten sie Maria nach Jans tüchtiger Mutter, wenig später folgten Emma, dann Pauline. Erst das vierte Kind wurde ein Junge: Ernst Franz, der 1903 eine Tranfabrik in Drestedt bei Hollenstedt gründete. Ihm folgten noch zwei Brüder: Johannes und Gustav. Johannes wurde Kapitän bei der Reederei H. M. Gehrkens und ist die Person, um deren Autobiographie es hier geht, Gustav ging als Exportkaufmann nach Südamerika (Bolivien).

      Mit zunehmender Kinderschar und wachsendem Wohlstand betrieb Jan Hubert dann ab 1875 seine Partenreederei von Cranz aus und sorgte dafür, dass die um viele weitere Neubauten vermehrte Flotte gut ausgerüstet und richtig eingesetzt wurde. "MAGNET" – "WILHELMINE" – "ALLEMANIA" – "AXEL" – "J.G.FICHTE" – "HINRICH" – "ALWINE" – "GOTTLIEB" –

      "EMILIE HESSENMÜLLER" hießen die Schiffe der Reederei Hubert, und Kapitän Jan selbst setzte den Dampfer "ESTE" für den Passagier- und Frachtverkehr auf der Elbe und Unterelbe in Betrieb, den sein Schwiegervater Nikolaus Wettern zusammen mit Kapitän Behr 1859 in London gekauft hatte.

      In dem kinderreichen Cranzer Hause Jan Huberts herrschte in jenen blühenden Jahren reges Leben. Alle Hände von Groß und Klein wurden gebraucht, wenn eines der vielen Segelschiffe eine Reise antreten sollte. Bei der Verproviantierung der eigenen Schiffe musste die ganze Familie des Schiffsreeders mithelfen. In dem Schuppen hinter dem Wohnhaus und auf dem gepflasterten Hofplatz saßen die Frauen und Mädchen und schnitten Bohnen, hobelten Weißkohl und salzten das Gemüse ein oder bereiteten Sauerkohl. Ochsen wurden geschlachtet und das Fleisch in große Pökelfässer eingesalzen. Dann kam der Küper aus Neuenfelde herüber und verschloss die Fässer, damit sie in den Provianträumen an Bord verstaut werden konnten. Diese Vorräte mussten für lange Reisen ausreichen, dauerte eine Reise nach Südamerika doch mit dem Segelschiff zwei bis drei Monate. Gepökeltes, Sauerkohl, Salzbohnen und Schiffszwieback - daraus konnte der Smuttje keinen abwechslungsreichen Speisezettel an Bord zusammenstellen. Gemüse, vitaminreiche Frischkost hatte er nicht zur Verfügung, und so stellten sich damals leicht Nahrungsschäden wie Skorbut ein, wenn die Männer auf langen Seereisen unterwegs waren. Gerade in der Seefahrt hat man deshalb zuerst erkannt, was für eine wichtige Rolle die Vitamine für die menschliche Ernährung spielen.

      Wenn die Brüder von ihren Reisen zurückkehrten, füllte sich die kleine Wohnung in Cranz mit allerlei exotischen Erinnerungen aus fremden Ländern. Manches Abenteuer, manch schwierige Lage wurde nach der Heimkehr getreulich berichtet.

      Das Jahr 1888 bedeutet für die Cranzer Kapitäne und Reeder ebenso wie für die deutsche Hochseefischerei eine Wende. In diesem Jahr gründeten 17 Cranzer Kapitäne eine „Gesellschaft zwecks Beschaffung eines Fischdampfschiffes, womit Seefischerei betrieben resp. der Transport von in der Cranzer Fischerkasse versicherten Fischkuttern oder Ewern gefangenen Fischen zum Markt geschehen soll".

      Bis dahin waren die Finkenwerder und Blankeneser Fischkutter in der Hochseefischerei führend. Aber sie konnten ihre Fänge nicht so schnell auf den Fischmarkt bringen wie die schnellen, vom Wind unabhängigen Fischdampfer, die zuerst in England gebaut wurden und dann nach Deutschland kamen. Wenn die Dampfer bereits ihre Ladung gelöscht hatten, kreuzten die Fischkutter noch gegen den Elbwind stromauf und lieferten ihre Fänge auf dem Fischmarkt ab, nachdem sie viele Tage, fast Wochen in der Bünn gelagert hatten.

      So wurden der Kaufmann August Bröhan in Cranz und dessen nächste Anverwandte, alte Segelschiffkapitäne und Seefahrer, die sich mit der Fischerei nie abgegeben hatten, Gründer der ersten Fischdampferreederei an der Niederelbe, und lange noch haben die niederelbischen Kutterfischer in einer Mischung aus Neid und Hochachtung die Cranzer Fischdampfer spöttisch die "Bauerndampfer" genannt, weil die Besitzer keine Leute "vom Fach" waren. Aber die Cranzer gingen mit solcher Tatkraft an die neue Aufgabe, dass sie schon bald keine Fischmeister mehr an Bord brauchten, die sie anfangs noch einstellen mussten.

      Einer der führenden Leute der Cranzer Dampffischerei war von Anfang an Jan Hubert. Zusammen mit dem alten Cranzer Segelschiffkapitän Hein Fock und dem jungen Gemeindevorsteher August Bröhan gehörte er zum Kreise der Bevollmächtigten, die den Bau des ersten Fischdampfers in Auftrag geben und überwachen sollten. Der schon bald nach der Probefahrt des ersten bei Jürgens & Co. auf Steinwerder erbaute zweite Fischdampfer erhielt auch dann den Namen der beiden Mitbegründer der Fischdampfergesellschaft "Fock und Hubert". Es kam die "WITT" und "BARTELS" dazu. Die beiden Dampfer hatten jeweils 115.000,- Mark gekostet. Das konnte in so kurzer Zeit gemacht werden, weil in dieser Zeit die Dampfer nie unter 20% Dividende abwarfen.

      Jan Hubert hat sich als Vorstandsmitglied der Cranzer Fischdampfergesellschaft bis zu seinem Tod dem Bau neuer Fischdampfer und der Geschäftsführung der Gesellschaft gewidmet. Nach 17jähriger Vorstandstätigkeit starb er im Alter von 67 Jahren auf einer Inspektionsreise nach Geestemünde, wo er die Bauarbeiten an dem Neubau des Fischdampfers "NEUENFELDE" beaufsichtigen СКАЧАТЬ