Название: Vom Werden eines Diakons - Rückblicke - Teil 3
Автор: Jürgen Ruszkowski
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783738067415
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„Was will ich? Dienen will ich. Wem will ich dienen? Dem Herrn in Seinen Elenden und Armen. Und was ist mein Lohn? Ich diene weder um Lohn noch Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist, dass ich darf.“
Wenn etwa dieser Diakonissenspruch von einigen Diakonenschülern schon seinerzeit kritisch hinterfragt oder das Choralversfragment „Gott soll’n wir billig loben“ spöttisch zitiert wird, so kann ich diese damals für mich blasphemische Haltung nicht nachvollziehen. Der frühere Leiter der Höheren Fachschule, Peter Stolt, bemerkt dazu:
„Über das Phänomen Brüderschaft ist nur richtig zu urteilen, wenn spirituelle Traditionen mit berücksichtigt werden. Für jede Kommunität ist „disciplina“ ein hoher Wert, so hart die Novizen darunter leiden mögen. Die Sache konnte unter patriarchalischen oder faschistischen Vorzeichen Entstellungen erleiden; es sind Schwachpunkte aufweisbar. Doch blieb für die Ära der Brüderschaft, die Anfang der 1970er Jahre endete, nicht wenig vom ursprünglichen, heilsamen Sinn kommunitärer disciplina erhalten: Arbeit an sich selbst, Zurückstellung des Ich-Willens unter dem aufmerksamen Blick für andere.“
Ich bekomme zu Beginn der Ausbildung ein Taschengeld von 20 DM monatlich. Drei Jahre später, im Sommer 1957, werden es schon stolze 35 DM sein. Davon muss ich Zahnpasta, Friseur, hin und wieder Fahrgeld und Kleidung bestreiten. Meine Eltern unterstützen mich aus der DDR, indem sie mir Unterwäsche und Socken schicken. Aus amerikanischen Kleiderspenden, die das Rauhe Haus zum Anerkennungsentgelt von ein bis zwei Mark je Stück zum Aussuchen anbietet, decke ich mich mit Schlafanzügen, Hosen und einmal sogar mit meinem späteren Hochzeitsanzug, einem abgeschabten schwarzen Kellneranzug, ein. Unterkunft und Verpflegung stellt das Rauhe Haus. Der versicherungspflichtige Wert beträgt 1957 monatlich 72 DM. Meine Wäsche wird auch kostenfrei gewaschen und gepflegt. Geldprobleme habe ich in meinem Leben, auch bei geringem Einkommen, nie. Über einige Notgroschen verfüge ich immer. Eine asketische Grundeinstellung bringe ich mit. Begierde auf Luxus ist mir stets fremd. Einigen Mitbrüdern ist meine Lebenseinstellung zu „karg“ und „kleinkariert“. Genuss ohne Reue zuzulassen lerne ich erst Jahrzehnte später mühevoll von meiner Frau.
Das erste Jahr im Rauhen Haus
Ich führe während der Ausbildungszeit über Jahre hinweg Tagebuch, nicht regelmäßig und oft mit größeren Unterbrechungen. Diese Aufzeichnungen sind in der Sprache des 19-22jährigen Jünglings in der seinerzeitigen Gedanken- und Erlebniswelt verfasst. Ich habe sie mit nur geringfügigen redaktionellen Änderungen hier wiedergegeben, weil sie große Aussagekraft über mein damaliges Befinden haben. Als ich sie nach Jahrzehnten wieder lese, bin ich selber über manche Passagen erstaunt. Ihre Lektüre nach meiner Pensionierung gibt mir auch den Impuls, mir über meinen gesamten Lebensablauf Rechenschaft abzulegen und diese Autobiographie als Selbstreflexion zusammenzutragen. Als Opa kann ich meinen Nachkommen damit aus vergangenen Zeiten erzählen und ein Stück Zeitgeschichte verständlich machen und vielleicht auch einigen Freunden aus jenen Jahren gemeinsame Erlebnisse in Erinnerung rufen. Den Anstoß, diese alten Aufzeichnungen aus dem verstaubten Karton im Keller auszupacken, liefert das Referat des Professors und Konrektors der Fachhochschule des Rauhen Hauses, Wolfgang Braun, anlässlich des 25jährigen Jubiläums der Fachhochschule und der darauf folgenden Leserbriefreaktionen der Brüder Lothar Borowski, Norbert Mieck, Gert Müssig, Horst Schönrock, Erhard Schübel, und Peter Stolt, im Boten der Brüder- und Schwesternschaft, in denen auch dazu aufgerufen wird, die Ereignisse der damaligen Zeit aufzuarbeiten und zu hinterfragen, solange noch Zeitzeugen leben.
Der Prozess des Suchens, des Ringens mit sich und der Umwelt, der langsamen Reifung des jungen Diakonenschülers wird in diesen Tagebuchaufzeichnungen deutlich:
Am 19. Juli 1954 notiere ich: „Die Zeit verrinnt wie im Fluge. Über drei Monate bin ich schon im Rauhen Haus und rechne mich bereits zum Stammpersonal. Ich habe mich eingelebt und kenne die guten und auch die schlechten Seiten der Anstalt. Ideal kann das Rauhe Haus gar nicht sein, denn nichts Menschliches ist vollkommen, aber das ist eine Selbstverständlichkeit. Wie sagt doch August Füßinger?: „Es menschelt überall!“ Jedenfalls fühle ich mich hier ganz wohl. Einiges ist natürlich auch zu bemängeln. Vor allem fehlt mir die geistliche Gemeinschaft unter den Brüdern. Wir auf unserer Stube, überhaupt in unserer Klasse, kommen gut miteinander aus. Es ist doch meistens mehr Kameradschaft als Bruderschaft. Es gibt aber auch einige Brüder, bei denen man wirklich etwas von Bruderschaft spürt. Das Rauhe Haus erscheint mir zu wenig als Anstalt der Kirche, zu wenig Werk der Gemeinde Jesu Christi. Es nennt sich „christliches“ Internat, ist jedoch durch und durch traditionelle konservative autoritäre Verwahr- und Drillanstalt. Vor allem darf ich selber nicht abstumpfen, verknöchern und verkalken! Ich muss mir die jugendhafte Frische erhalten, die ich aus der Jugendarbeit mitgebracht habe, ebenso die Selbstzucht und vor allem muss ich festhalten am Bekenntnischristentum, das uns im Osten geschenkt wurde. Kein Glaube ohne Tat und keine Tat ohne Glauben!“
Am Grundbergsee
Das Rauhe Haus entsendet mich zu meinem ersten praktischen pädagogischen Einsatz zu Bruder Fritz Drephal, einem begnadeten herzensguten älteren Diakon, der in Bremen als altgedienter Gemeindediakon arbeitet und in einem gemeindeeigenen Freizeitheim am Grundbergsee eine Sommerfreizeit leitet. Man kündigt mich dort an:
„...werden wir Bruder R., der sich bisher gut gemacht hat und auch in seiner ganzen Haltung einen ordentlichen Eindruck macht, freistellen...“
Ich notiere im Tagebuch:
Hamburg, am 23. Juli 1954: „Morgen geht’s auf Fahrt. Nachdem es zunächst bereits vor zwei Wochen losgehen sollte und dann verschoben wurde, starte ich nun morgen. Der Rucksack ist gepackt. Ich weiß zwar nicht, wie lange, ob nur bis Ottersberg oder in die Rhön, aber ich bin voller Vorfreude und Tatendrang.“
Dodenberg, am 25. Juli 1954: „Zwei Tage bin ich nun hier auf dem Dodenberg. Ich glaubte immer, Jugendarbeit wäre mein Fall, aber leider muss ich feststellen, dass ich - wie es bisher aussieht - dafür nicht die geringste Eignung habe. Es mag ja sein, dass es besser wird, wenn die Jungen kommen. Bis jetzt sind ja hauptsächlich Mädchen hier. Mir fehlt der Schwung, sportliches Können. Vor allem plagt mich mein altes Leiden: Meine Zunge kommt nicht recht in Bewegung. Möge mir die Kraft für diesen für mich schweren Dienst geschenkt werden!“
27. Juli 1954: „Gestern machten wir eine Schnitzeljagd. Ich war mit der Aufsicht betraut. Durch unglückliche Umstände kam das Spiel zu keinem guten Abschluss. Die suchende Gruppe teilte sich, und alle kamen kleckerweise nach Hause. Kein gutes Zeichen für mich als Leiter! Dagegen habe ich gestern Abend mit den großen Mädchen und einigen Jungen gut zurechtkommen können. Wir haben in den Sanddünen im Wald rumgetollt. Die Bibelarbeit, die ich heute Morgen mit den kleinen Mädchen hielt, wurde verhältnismäßig lebhaft aufgenommen. Als ich zum Schluss anfing, theologisch zu werden, schalteten sie ab. - Bruder Drephal und Frau sind fabelhafte Heimeltern, zu den Kindern und Mitarbeitern in gleicher Weise. Nur schade, dass ich ihnen wegen meiner mangelhaften Fähigkeiten nicht vollkommenere Hilfe sein kann.“
4. August 1954: „Meine Zeit hier in Ottersberg ist nun bald zu Ende. Es geht mit der Arbeit besser als in der ersten Woche. Das mag vor allem daran liegen, dass jetzt statt der Mädchen Jungen hier sind. Ich komme mit den Jungen besser zurecht. Aber ideal ist meine Arbeit bestimmt nicht. Das eine steht fest: Wenn ich mich nicht gewaltig ändere, hat es gar keinen Zweck, später einmal in die Gemeinde- oder Jugendarbeit СКАЧАТЬ