Название: In Amerika
Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783753136028
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Alles schwieg. Die farbigen Gentlemen sahen sich etwas verdutzt um. Sie waren nur hierher gekommen, Anträge zu hören und nicht selber welche zu stellen, und es entstand dadurch eine etwas lange und eigentlich beängstigende Pause. Die benutzte aber der Schriftführer, jener Mulatte Barbier, um aufzustehen und den Saal zu verlassen, während Alfred Henderson noch einmal seine Frage wiederholte, um dann, wenn keine Antwort erfolgte, die Sitzung für heute zu schließen. Alfred Henderson, weiland Sip, hatte außerordentlich viel parlamentarischen Takt; aber er kam trotzdem fast aus seiner parlamentarischen Fassung, als sich plötzlich, dicht hinter ihm, die schrillen Töne einer Violine hören ließen, die unmittelbar darauf auch schon in eine lebendige ‚Jig’58 übergingen.
Rasch drehte er den Kopf danach und fühlte sich aufs Tiefste empört, als er niemand Geringeren als seinen eigenen Schriftführer entdeckte, der da mit fertiger Hand, und ohne sich weiter um die ganze Versammlung zu bekümmern, seinen Bogen strich und auf die Versammelten jedenfalls einen wahren Zauber ausübte.
„Aber Gentleman Jefferson“, rief der Präsident in voller Aufregung, kam jedoch nicht weiter. Die junge farbige Bevölkerung, die draußen vor den Fenstern des Lokals stand und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit dieser ganz neuen Erscheinung – einer Debatte von farbigen Leuten gelauscht – und die verschiedenen Gruppen beobachtet hatte, hörte kaum die – hier allerdings nicht erwarteten, aber deshalb gerade um so mehr berauschenden – Töne, als sie im Nu jede Schranke niederwarf. Bei dem, was jetzt in dem Saal vorging, konnten sie ebenfalls ein Wort mit einsprechen, und im Nu war die Tür aufgestoßen, und die Masse drängte in vollen Schwärmen herein.
„Ladies und Gemmen!“ rief Alfred Henderson in blanker Verzweiflung aus, denn dabei ging seine Autorität allerdings zu Grunde. „Das kann ich nicht dulden! Das ist gegen das Gesetz! Wir haben hier eine politische Versammlung und das Geschäft ist zu ernst, um...“
Es half ihm nichts, denn nach drängte es in hellen Haufen, und mit Lachen und Kichern und Jauchzen sprangen die Paare schon dem Präsidenten gerade entgegen, den Saal entlang. Einhalt war da gar nicht mehr zu tun. Alfred Henderson donnerte allerdings dem leichtsinnigen Barbier einige Zornesworte zu, aber Mr. Jefferson war viel zu sehr in seine Melodie vertieft, da er noch dazu als Prompter59 dienen musste, um auch nur im Geringsten darauf zu hören, und im nächsten Augenblick schon war auch die ganze Versammlung dermaßen aufgelöst, dass an eine weitere Verhandlung nicht mehr gedacht werden konnte. Das sprang und jauchzte nur so durcheinander, und die schrillen Töne der Violine übertäubten jede weitere Ermahnung.
Die beiden Weißen, die Zeugen dieser Szene gewesen, hatten lächelnd dem wunderlichen Schluss der Versammlung zugeschaut. Erst aber als der Tanz in vollem Gange war und überall frische Paare antraten und den Boden dabei stampften, dass das ganze Haus erzitterte, verließen sie den Saal. Durch die starke Bewegung entwickelte sich außerdem eine Atmosphäre, die ihren Geruchsnerven widerstrebte, und es drängte sie hinaus an die frische Luft zu kommen.
Beide waren ein paar schlanke, hochgewachsene Männer, in ihrer Tracht, dem amerikanischen Schnitt, fast gleich und sehr anständig gekleidet, und doch hätte man lange suchen können, ehe man zwei Menschen gefunden, die in dem Ausdruck ihrer Züge eben wieder so verschieden gewesen wären, als diese gerade und der Unterschied lag nicht etwa in dem großen und starken Bart, den der eine von ihnen trug. Dieser war ein Deutscher, Fortmann mit Namen, stark und breitschultrig gebaut, mit einem guten, ehrlichen Ausdruck in den Zügen und einem Paar klarer, blauer Augen, die jedem, mit dem er sprach, fest und treuherzig begegneten.
Ganz verschieden von ihm war sein Begleiter, ein Amerikaner, dessen vollkommen glattrasiertes, aber scharf markiertes Gesicht ihn deutlich genug als ein Kind der nordöstlichen oder Neu-England-Staaten verriet. An Gestalt und kräftig gebautem Körper wie in seiner Kleidung hielt er sich mehr ungeniert, ja man hätte fast nachlässig sagen können. Die Kleider hingen ihm nur so auf dem Körper, der Hut saß ihm weit zurück im Nacken, die beiden Daumen trug er in den Armlöchern der Weste, und beide Ballen seiner noch ganz neuen Stiefel hatte er mit einem scharfen Federmesser aufgeschnitten, weil sie ihn wahrscheinlich etwas gedrückt.
Er hielt auch etwas auf Schmuck. Während sein Begleiter, der Deutsche, nicht einmal einen Goldreif an einem Finger zeigte, trug der Amerikaner eine große Tuchnadel, emaillierte Hemdknöpfchen, eine schwere Uhrenkette aus Stücken kalifornischen Goldes, und fünf, sechs Ringe mit bunten Steinen an seinen Händen; aber schwerlich aus Prunksucht, oder aus Prunksucht allein, denn der Mann sah nicht so aus, als ob er irgendetwas ohne einen bestimmten Zweck getan hätte. Er war Arzt in Cincinnati, trieb einen einträglichen Handel mit Patentmedizinen und hatte stets ein paar außerordentliche Kuren an der Hand, gegen die er unfehlbare Mittel wusste. Ob sie unfehlbar waren, blieb allerdings die Frage, aber Bill Taylor schien nicht der Mann, dadurch in Verlegenheit zu geraten. Sein scharfes graues Auge schweifte fortwährend, nicht etwa scheu, doch stets spekulierend umher; er sah alles, was um ihn her vorging; er studierte jeden Menschen, mit dem er in Berührung kam, und war dieser zu irgendetwas für ihn zu verwenden, so ließ er auch nicht nach, bis er es aus ihm heraus hatte.
Nur zu Fortmann hielt er sich nicht in dieser Absicht. Er hatte ihn bald durchschaut – und nichts war leichter – dass er ein braver, ehrlicher Kerl sei und kein Falsch in sich trage, und da er auch oft mit den Gerichten zu tun bekam, so schloss er sich ihm bald in freundschaftlicher Weise an. Fortmann dagegen amüsierte der spekulative, nie ruhende Geist des Mannes, und da der Doktor oft nach Covington kam, oder er auch häufig drüben in Cincinnati zu tun hatte, so trafen sie so jede Woche ein paar Mal zusammen.
Nur in Politik waren sie nicht einerlei Meinung, aber das schadete nichts und würzte eher die Unterhaltung. Fortmann war auch viel zu gutmütig, um es je zu einem wirklichen Streit kommen zu lassen.
„Well, Fortmann“, sagte der Yankee-Doktor, als sie die Straße betraten, „Gott sei Dank, dass wir wieder im Freien sind, denn dieser äthiopische Geruch fing mir an, den Atem zu versetzen. Wie gefällt Ihnen übrigens die Art und Weise, in welcher die Nigger einen Verein beschließen? Heh? Parlamentarisch, nicht wahr? Aber jedenfalls praktisch, denn sie verbinden das Nützliche mit dem Angenehmen, hehehe! – Und die Bande soll in den Kongress wählen dürfen.“
„Und finden Sie in dem Betragen dieser armen Teufel etwas Außerordentliches?“, fragte ihn Fortmann. „Es ist von Natur ein sorgloses, leichtfertiges Volk, sonst hätte es auch nicht die langen Jahre hindurch die drückende, ja zermalmende Last der Sklaverei ertragen. Jetzt aber sind ihm kaum die Fesseln abgenommen, und es springt in so übermütiger Freude in das neu begonnene Leben hinein, als ob es von jetzt ab für sie nur eine ununterbrochene Reihe von Feiertagen gäbe. Und doch sollen diese Menschen von dem heutigen Tage an etwas tun, was sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gekannt: nämlich für sich selber und ihre Familien sorgen und nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werden. Eben deshalb aber liegt etwas tief Ergreifendes in der eben gesehenen Szene.“
„Etwas Ergreifendes?“, lachte der Doktor. „Vielleicht der Tanz?“
„Selbst der Tanz gehört dazu“, erwiderte Fortmann, mit dem Kopfe nickend. „Nehmen Sie aber den Zweck ihrer Zusammenkunft, den ersten Antrag, durch den die Neger bewogen werden sollen, sich und ihren Familien nur erst einmal einen N a m e n zu geben. Sie beginnen damit im wahren Sinne des Worts erst ihre bürgerliche Existenz, denn die altgriechischen oder römischen Namen, die ihnen früher von ihren Herren beigelegt und aufgezwungen wurden, waren nicht viel mehr als Nummern oder Bezeichnungen, wie man sie auch Hunden oder Pferden gibt. Familiennamen existierten gar nicht und deshalb treten sie auch erst mit diesem Schritt in wirkliche Familienbande ein, die kein Mensch mit einer lichteren Hautfarbe mehr das Recht hat zu trennen.“
„Mein lieber Fortmann“, sagte der Doktor, „Sie sind ein Schwärmer, und wenn ich aufrichtig sein soll, so glaube ich, dass sich die Schwarzen früher in ihrer Sklaverei viel wohler befunden СКАЧАТЬ