Hugo Wietholz – ein Diakon des Rauhen Hauses – Autobiographie. Jürgen Ruszkowski
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СКАЧАТЬ nun an, durften wir uns nicht mehr Concordia nennen. Wir legten uns den Namen „Evangelischer Jungendienst Hoheluft“ zu. Es war erstaunlich, wie viele Jungen noch zu uns kamen. Natürlich machten wir jetzt vermehrt Bibelfreizeiten.

      Jede dieser Freizeiten musste über das Jugendpfarramt gemeldet werden. Seit einiger Zeit hatten wir ein Kinderheim in Alveslohe als Stützpunkt. Das Haus hatte einen Saal. In der Küche aßen wir mit dem Hausvater Wendt (Sohn Gottfried wurde später Diakon des Rauhen Hauses) und den Kindern unser Mittagessen. Es war immer schön, mit der Kindergemeinschaft und dem Hausvater, der auch die Morgenandacht hielt, zusammen zu sein. An einem Wochenende waren wir wieder draußen in Alveslohe zur Bibelfreizeit, als plötzlich die Saaltür aufgerissen wurde und eine Gruppe von HJ-Führern in den Saal stürmte und unsere Versammlung störte. Natürlich wollte man uns überraschen und feststellen, dass wir keine Bibelarbeit trieben, aber damit hatte man kein Glück, die Bibeln lagen auf dem Tisch. Man brüllte in den Raum, alle HJ-Mitglieder sollten ihre Ausweise zeigen, um zu sehen, ob sie auch berechtigt seien das Koppelschloss zu tragen. Man konnte uns nichts anhaben, und so zogen sie wutschnaubend wieder ab. Geärgert hatte ich mich nur über den Hausvater, er hätte sie wegen Hausfriedensbruch feuern sollen, aber er hatte dazu keinen Mumm.

      Wir ließen uns aber nicht verschrecken, sondern fuhren im Sommer weiter ins Bibellager nach Borkum. Auch weiterhin wurden wir in Hoheluft überwacht. Das zeigte sich darin, dass ich eine Vorladung zur Gestapo Stadthausbrücke bekam. Dort sollte ich mich wegen der Jugendarbeit und der Verbreitung unserer Monatsblätter verantworten. In meiner Aktentasche hatte ich mehrere Exemplare dabei. Dem Beamten konnte ich Rede und Antwort stehen. Ich musste meinen Ausweis vom CVJM vorlegen und ebenso die Monatsblätter. Der Beamte hat sich alles aufgeschrieben, um den Bericht weiterzugeben. Wie es weitergehen sollte, habe ich später noch erfahren, denn die Nazis ließen so schnell keinen aus ihren Klauen. Man hatte auch herausgefunden, dass es bei uns in Hoheluft eine Gruppe der Bekennenden Kirche gab.

      Natürlich machte sich das Muss zur Staatsjugend bemerkbar. Etliche sprangen ab. Was mich aber besonders wunderte, dass der Werner Landauer, ein Halbjude, eines Tages bei uns in SS-Uniform auftauchte. Von den alten Concorden waren schon damals einige zur SA gegangen. Im Jungendienst waren wir aber immer noch eine Gruppe, die sich sehen lassen konnte. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft, die sich treu zur Gemeinde bekannte. Ein Vater eines unserer Jungen, der Maler war, hat uns im Heim einen Vers aus dem Gesangbuch an die Wand gemalt: „Dein Kampf ist unser Sieg, dein Tod ist unser Leben, in deinen Wunden ist die Freiheit uns gegeben.“ Das entsprach ganz unserer Einstellung.

      In der Adventszeit 1936 gelang es mir, dass Pastor Dr. Schumacher, der unser persönlicher Freund war, für mich Geld locker machte, damit ich ein Bibelseminar in der Sekretärschule des CVJM in Kassel besuchen konnte. Ich wurde bei meinem Meister von der Arbeit beurlaubt und bekam die Genehmigung am Seminar teilzunehmen. Dafür war ich dem Pastor Dr. Schumacher sehr dankbar. In der Bibelschule gab es einen Kurs über den Korintherbrief, gehalten von Dr. Stange. Oft war nachmittags Sport, denn es gab auch eine Sportschule im Haus. Hero Lüst war für die Verwaltung des Hauses zuständig und hat uns vieles, was zur Jugendarbeit nötig ist, beigebracht. Mein Zimmer teilte ich mit einem Tschechen. Ab und zu wurde auch missionarisch gearbeitet. Ich trug Sonntagsblätter aus, oder wir gingen in ein nahegelegenes Dorf und luden die Jugend zur Sonntagsstunde ein. Eines steht fest, diese 14 Tage haben mir am inwendigen und äußeren Menschen gut getan. Später konnte ich viel von dem brauchen, was ich dort gelernt hatte.

      In meinem Beruf durfte ich natürlich nicht schlechter werden. Arbeit war genug da, doch für den Erwerb von Metallen gab es Bezugscheine. Wir konnten uns schon einen Reim darauf machen, Hitler brauchte das Metall für die Rüstung. Weil so schwer Blei zu bekommen war, hatte mein Meister versucht, die angebotenen Plastikrohre zu verkleben, doch wenn der Wasserdruck sich nur wenig änderte, flog alles auseinander.

      Eine neue Tätigkeit gab es für mich. Im Sommer mussten die Giebelwände geteert werden, weil sie sonst bei Regen die Feuchtigkeit durchließen. So schwebte ich oft in luftiger Höhe im Fahrstuhl an der Hauswand. Die Arbeit zwischen Himmel und Erde machte mir schon Spaß, nur das Anbringen der Haltetaue war oft schwierig. Wo es ging, wurden die Dachbalken zum Befestigen genommen, aber manchmal waren die Balken nicht in der gewünschten Nähe. Dann mussten Schornsteine her, und die waren nicht immer so standfest, wie man es sich wünschte. Wenn dann alles festgemacht war, wurde mit mehreren Mann die Belastungsprobe vorgenommen. Man stellte sich in den Fahrstuhl und dann wurde tüchtig geruckt. Einer war auf dem Dach und beobachtete, wie sich die Seile verhielten. Es war immer spannend, denn man wollte ja nicht abstürzen, wenn man mal eben in der 5. Etage hing. Oft wurden bei der Pinselei auch die Fenster mit Teer bekleckert. Dann musste ein Lappen mit Petroleum her, und die Fenster wurden gründlich gesäubert.

      Nicht nur im Fahrstuhl hing ich in großer Höhe, auch auf den Dächern war ich zu Hause. Oft kam der Ruf: „Hugo, du musst mal wieder auf das Dach der Christuskirche.“ Es hatten sich etliche Schiefer aus der Befestigung gelöst, die mussten wieder eingebunden werden. Also ging es dem Dach mit besonders langen Schieferleitern zu Leibe. Die mussten wir erst durch kleine Erkerfenster ziehen, dann wurden sie auf dem Schieferdach in Dachhaken gehängt, und erst dann konnte die Reparatur beginnen. Beim Bombenangriff wurde diese Kirche auch getroffen und bekam später ein Pfannendach. Noch heute kann man sehen, wie hoch das alte Dach gewesen ist, an der Turmwand sieht man die alte Markierung. Überhaupt hatten wir dort an den drei Pastoraten viel zu tun. Oft waren wir in dem ersten Pastorat an der Fruchtallee. Dort wohnte Pastor Mummsen mit Frau und vielen Kindern. Bei einer Arbeit erlebte ich etwas Unvergessliches. Der Pastor kam nach Haus und rief im Treppenhaus: „Miezi bist du da?“ Von oben kam die Stimme seiner Frau: „Ja, Putzi ich bin hier.“ Wir haben uns über diese Begrüßung köstlich amüsiert. Noch heute brauche ich bei Lisa mal diese Anrede.

      Noch etwas aus der Arbeitswelt, was nicht verschwiegen werden soll und sich ja später in einer anderen Gemeinde wiederholen sollte. Vor Weihnachten mussten immer zwei große Christbäume mit elektrischen Kerzen bestückt werden. Ich turnte dann mit einer langen Leiter um die Bäume herum, um sie mit den Kerzenketten zu behängen. Wenn dann alle Kerzen brannten, hatte ich ein stolzes Gefühl des Erfolges.

      Eines steht fest, mein Beruf war sehr abwechslungsreich, manches habe ich auf diesen Kundschaftsfahrten erlebt, manches Gespräch geführt und dabei viele Menschen kennen gelernt.

      Wie gesagt, unsere Jugendarbeit war trotz der Eingliederungsversuche nicht kaputt zu machen. Wir bekamen oft ältere Jungen, die bei uns mitmachen wollten. Unter anderen drei Brüder Schmidt, deren Mutter später sogar zu unserer Trauung in die Martinskirche kam. Dann war da Helmut Wittmaak, den wir „Langes Hemd“ nannten, der nach mir auch ins Rauhe Haus ging. Und Rudolf Wentorf, der Kirchenmusiker werden wollte und bei uns den Spitznamen „Halbe Note“ bekam. Viel später, so nach 40 Jahren trafen wir uns wieder, da war er Pastor in Seedorf am Schaalsee.

      Da das 40ste Jahresfest der Concordia bevorstand, wurde zeitig ein Festprogramm aufgestellt und ein Laienspiel einstudiert. Aus dem Nordbund des CVJM hatte ich Pastor Forck, der auch Pastor in Hamm war, als Festredner gewinnen können. Wir waren mächtig dabei, damit das Fest gut gelingen sollte. Eine Bühne im Saal wurde erstellt, und zum ersten Mal hing die Fahne mit dem Kreuz auf der Weltkugel im Saal. Später wurde dieses Symbol das Zeichen der gesamten Evangelischen Jugend Deutschlands. Wir hatten die Werbetrommel tüchtig gerührt, auch die alten Concorden wurden eingeladen.

      Der Abend war gut besucht und alles klappte vorzüglich. Erst am Schluss gab es in der Garderobe eine Auseinandersetzung mit einigen alten Concorden, die in SA-Uniform gekommen waren. Man warf uns vor, wir hätten die Concordia verraten, und es wären staatspolitische Dinge zum Vorschein gekommen, die sich gegen den Staat richteten. Bei ihrem Abgang hieß es, wir würden noch so einiges erleben.

      Später, als ich mit Pastor Forck in der Martinskirche zusammenarbeitete, erzählte er mir, auf Grund dieses Jahresfestes und seines Vortrags, sei er zur Gestapo befohlen СКАЧАТЬ