Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke
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Название: Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens

Автор: Helmut Lauschke

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783738059366

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СКАЧАТЬ Begleitpersonal zu betreiben, ohne den Direktanschluss an einen Flughafen zu haben, über den die Schwerverletzten unverzüglich zum Militärhospital nach Pretoria geflogen werden konnten. Eine schwarz-weiße Belegung war undenkbar, da das den weißen Rassengesetzen eklatant den Boden unter den Füßen entzogen hätte. Der ursprünglich geplante Krankensaal mit separatem Raum zur kleinen Wundversorgung, der Operationstrakt mit vier OP-Sälen, die zentrale Sterilisationsanlage sowie der große Bau eines „Outpatient departments“ mit einer logischen Raumaufteilung und angegliedertem Operationsraum wurden in solider Bauweise hochgemauert und nach Fertigstellung der Bantu-Administration in Ondangwa übergeben, die in Bezug auf die viel größere Zahl der schwarzen Zivilbevölkerung auf demselben Gelände weitere Krankensäle in billiger Asbestbauweise errichten ließ. Das Militär konzentrierte sich, was die ärztliche Versorgung seiner Truppen betraf, auf den bereits ausgebauten Flughafen in Ondangwa, ein riesiges, eingezäuntes Areal mit Beobachtungs- und Schießtürmen an den strategisch empfindlichen Stellen. Dort wurde das Lazarett erheblich und nach militärischen wie medizinischen Erkenntnissen des letzten Standes ausgebaut, mit dem modernsten Gerät ausgestattet und von jeweils zwei Spezialisten nicht unter dem Rang eines Colonels und aufwärts betreut, die vom pretorianischen Militärflughafen Waterkloof eingeflogen und im zweiwöchigen Turnus ausgewechselt wurden. Von den Spezialisten war der eine Chirurg und der andere Anästhesist; beide hatten auf ihren Spezialgebieten, und meist mit dem Professorentitel ausgestattet, die Spitzenpositionen an den verschiedenen südafrikanischen Universitäten eingenommen. Für Dr. Ferdinand war es von großem Interesse, die Personen kennen zu lernen, die in sich den hohen Offizier der südafrikanischen Armee mit dem herausragenden Spezialisten und Akademiker an den renommierten Lehr- und Forschungsstätten des Landes vereinten. Er wollte sie unter dem besonderen Gesichtspunkt studieren, welchen Einfluss das rigide Apartheidsystem auf die Denk- und Handlungsweise dieser beruflichen Doppelnaturen hatte. Was war ihnen Beruf und was Berufung? Ihn interessierte, wie die Offiziersspezialisten den Patienten mit schwarzer Hautfarbe gegenübertraten, die mit dem weiß aufgedrückten Stempel, dem Kainszeichen der Rechtlosigkeit und Verworfenheit ins Hospital kamen. Auch diesen Doppelnaturen war bekannt, dass der Schwarze den Hintereingang zu betreten, die schäbige Außentoilette zu benutzen, sich in provozierte Geduld zu fassen und nicht satt zu essen hatte.

      Wie drückte sich die Trennung im Apartheidsystem, welches Rassen nach der Hautfarbe nach oben oder unten drückte, im beruflichen Doppelleben einer Person aus? Das fragte sich Dr. Ferdinand in Anbetracht der Spezialisten in den Uniformen hochrangiger Offiziere, die dienstags und freitags von der Militärbasis Ondangwa nach Oshakati kamen, um hier chirurgisch nach dem Rechten zu sehen. Hatten sie nicht auch andere Aufträge, etwa geheimdienstlicher Art, wo sie auch nach dem Rechten zu sehen hatten, was mit Chirurgie nicht das Geringste zu tun hatte? Er konnte sich das Kaliber dieser Doppelnaturen einfach nicht ausmalen, obwohl er sich schon vorstellte, dass die Uniform mit Intelligenz gepaart eine gute Voraussetzung war, an Dinge geheimdienstlicher Empfindlichkeit ohne Schwierigkeiten heranzukommen. Dass außer den jungen Leutnantsärzten nun auch Oberst- und Generalsuniformen mit chirurgisch und narkotisch orientierten Köpfen sich einen Weg durch die wartenden schwarzen Menschentrauben auf dem Vorplatz bahnten und den Operationstrakt, die Krankensäle und das Büro des Superintendenten betraten, war für ihn ungewöhnlich und bedenklich. Vieles konnte sich hinter dem Befehl des Uniformtragens verbergen, und vieles war möglich mit den beruflichen Doppelnaturen. Natürlich konnten sie helfen, was die chirurgischen Probleme anging, denn sie waren mit Erfahrungen angereichert, die den jungen, noch in der Ausbildung stehenden Kollegen fehlte. Aber war es noch mehr und etwas anderes, was diese Hochrangigen hierher brachte? Wie sah ihr Rapport am Ende aus, wenn sie nach zwei Wochen von anderen hochrangigen, doppelnatürlichen Offizierskollegen abgelöst wurden? Es war für Dr. Ferdinand nur zu ahnen, denn Einsicht in den Rapport bekam nur das höchste Militär mit den Beraterstäben, die sich stets der analytischen Intelligenz der Geheimdienstler bedienten. Und was die Geschichte aller Unrechtssysteme lehrte, war die Perfektion in der Tatsachenverdrehung, die verdeckten bis plumpen Torheiten der Entstellungen bis in die letzte Wahrheitskrume hinein, die verkrümmten Vorspiegelungen von gut genährten Menschen, die tatsächlich nur aus Haut und Knochen bestanden. Es waren die systemtypischen Zeichen der Cliquenherrschaft, deren Vormund sich auf steinerne Säulen stellen ließ und in der Vergrößerung des Wahnsinns mit starren Augen über das sprachlose Volk der Eingeschüchterten blickte, als hätte er es mit Blinden, Tauben und Enthirnten zu tun. Dr. Ferdinand erinnerte sich noch gut, was er als Kind gesehen hatte, als an einem schneeverwehten, frostigen Frühlingsmorgen im April des Jahres fünfundvierzig ein Zug ausgemergelter Menschen mit geschorenen Köpfen, belatschten und belappten Füßen in blau-weiß gestreiften Jacken und Hosen vom Bahnhof kommend durch die Bahnhofstraße schlürfte und hinkte. In den umknöcherten Höhlen der Gesichter lagen die Augen abgemagert und trocken zurück, sie waren enthofft und blickten weder nach links noch nach rechts. Noch vor dem Ende des Zuges wurde ein Leiterwagen, wie ihn die Flüchtenden aus Schlesien, bepackt mit letzter Habe, mit sich führten, von den Händen der Gestreiften geschoben, auf dem zwei andere Gestreifte tief gekrümmt und reglos saßen, als wären sie schon ausgehaucht und tot. Der Zug, der sich dem Marktplatz näherte, wurde beidseitig von bewaffneten SS-Leuten mit ernstfahlen Gesichtern des Gehorsams begleitet, die pflichtbewusst und mit kalten Augen keinen Spaß vertrugen. Vor dem Marktplatz bog der gesicherte Zug nach links der dreibogigen Steinbrücke zu, unter der die Spree das Wasser aus Böhmen nach Berlin führte. Der Zug überquerte die Brücke, es war die letzte. Er war noch zu jung, um zu wissen, was mit den gestreiften Menschen dann geschah, als sie in Reih und Glied und schwer bewacht die Stadt in der Oberlausitz in westlicher Richtung verließen. Es war die Zeit, als das Böllern der Geschütze aus polnischer Richtung ihm Angst und Schrecken einjagte. Ferdinand als noch nicht Elfjähriger wusste sich keinen Rat, was aus dem Zug der Enthofften werden sollte, denn unter „Endlösung“ konnte er sich nichts vorstellen, hatte das Wort als Kind noch nicht gehört. Er berichtete das Gesehene den Eltern. Ihre Gesichter waren blass und ernst, sie sagten etwas, das er nicht verstand. Erst viel später, als alles schon zu spät war, hörte und las er das Wort und begriff das Unbegreifliche, dass die Menschen geschwiegen hatten über das, was sie sahen und ahnten. Er sagte sich und war sich dabei ziemlich sicher, dass es dem Zug, der hinter der Brücke verschwand, nicht anders ergangen war als den anderen Zügen auch, die in seinem Kopf die letzte Brücke überquerten. Wovon er sich nicht beirren ließ, war die Bemerkung der Weggucker, Schein- und Zweckblinden, dass es im Krieg, unter dem alle litten, Dinge gab, die fürchterlich waren. Solche Ausreden und andere Alibi-Sprüche ließ er mit zunehmendem Alter nicht mehr gelten. Er lehnte sie für sich und sein Leben ab.

      Dr. Ferdinand kam in seinen Gedanken nach Afrika zurück und stand vor dem Büro des Superintendenten, als Dr. Eisenstein, der ärztliche Direktor vom Range eines Colonels, durch die geöffnete Tür trat. Sein Gesicht blickte ernst, er trug eine Mappe unter dem Arm, grüßte zurück und ging zu seinem schräg gegenüberliegenden Büro, dessen Klimaanlage auf Hochtouren lief. Sie hatte nicht das schlagende Rattern wie die alte Anlage im Raum der Morgenbesprechung. Die Anlage im Büro des ärztlichen Direktors war moderner, überhaupt war es besser eingerichtet, der große Schreibtisch mit der auf Hochglanz polierten, leeren Schreibplatte, auf dem lediglich ein goldfarbener, metallener Ständer mit aufgesetztem Füllhalter neben dem Jahreskalender stand, war ebenso neu wie die beiden bequemen Stühle vor dem Schreibtisch und der noch bequemere, fahr- und drehbare Schreibtischsessel mit hoher Rückenlehne. Von der Rückwand schaute der südafrikanische Präsident aus dem verglasten, dünn umrahmten, aufgehängten Foto dem Colonel ständig über die Schulter. Dr. Ferdinand hatte sich vor einigen Tagen gefragt, als er auf einem der bequemen Stühle vor dem Schreibtisch saß, um ein Gespräch in persönlicher Sache mit dem Direktor zu führen, ob diesen das ständige Über-die-Schulter-Gucken des streng blickenden Präsidenten nicht bedrückte, oder ihn gar bei den notwendigen Entscheidungen, die für das Hospital zu treffen waren, irritierte. Das war nicht der Fall, als der Direktor gegen Ende des Gespräches auf die nicht zu unterschätzende Bedeutung der jungen Leutnantsärzte zu sprechen kam, deren Einsatz und Leistungen er in den höchsten Tönen lobte. In diesen Lobpreisungen kam Dr. Hutman besonders gut weg. Der Direktor vergaß nicht zu sagen, dass er das Tragen der Uniform bei allen Armeeangehörigen für unverzichtbar hielt. Der Grund lag auf der Hand, vor den Augen von Dr. Ferdinand. Der Bevölkerung sollte der gute Wille, die Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit СКАЧАТЬ