Название: Platon: Besprechungen I
Автор: Joachim Stiller
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783738080209
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„Platons Sokrates sagt: "Offenbar bin ich (...) um eine Kleinigkeit
weiser, eben darum, dass ich, was ich nicht weiß, auch nicht zu wissen
glaube." -- Allerdings bleibt Platons Sokrates in den reiferen Dialogen
an diesem Punkt niemals stehen, sondern dieser Punkt ist der Anfang zu
einem neuen, einem besseren Wissen. Es darf angenommen werden, dass
diese Haltung weit mehr von Platon stammt, als dass sie von dem
wirklichen Sokrates entlehnt sei.“ (Wiki)
Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß
In dem entsprechenden Wiki-Artikel wird gesagt, bei dem "Ich weiß, dass ich nichts weiß" des Sokrates handle es sich zwar um ein geflügeltes Wort, allein es gäbe den Sokrates der Apologie falsch wieder. Korrekt müsse es heißen: "Ich weiß, dass ich nicht weiß", oder "Ich weiß, dass ich unwissend bin". Und wie zum Beweis wird nun der Abschnitt 4 b) unserer Apologie zitiert, nach dem man den Ausführungen durchaus zustimmen müsste. Was dabei aber übersehen wird, ist, dass Sokrates die Formulierung ständig variiert und mit unter auch sinngemäß sagt: "Ich weiß, dass ich nichts weiß". Auch dafür gibt es Belege, z.B. den Abschnitt 4 d):
4 d) Prüfung des Orakels an den Handwerkern
„Zum Schluss nun ging ich auch zu den Handarbeitern. Denn von mir selbst wusste ich, dass ich gar nicht(s) weiß, um es geradeheraus zu sagen, von diesen aber wusste ich doch, dass ich sie vielerlei Schönes wissend finden würde. Und darin betrog ich mich nun auch nicht; sondern sie wussten wirklich, was ich nicht wusste, und waren insofern weiser. Aber, ihr Athener, denselben Fehler wie die Dichter, dünkte mich, hatten auch diese trefflichen Meister. Weil er seine Kunst gründlich erlernt hatte, wollte jeder auch in den andern wichtigsten Dingen sehr weise sein; und diese ihre Torheit verdeckte jene ihre Weisheit. So dass ich mich selbst auch befragte im Namen des Orakels, welches ich wohl lieber möchte, so sein, wie ich war, gar nichts verstehend von ihrer Weisheit und auch nicht behaftet mit ihrem Unverstande, oder aber in beiden Stücken so sein wie sie. Da antwortete ich denn mir selbst und dem Orakel, es wäre mir besser, so zu sein, wie ich war.“ (Platon: Apologie)
Platon räumt also selber ein, dass er mit der Formulierung "Ich weiß, dass ich nichts weiß" einverstanden ist, und diese soweit billigt. Und in der Tat ist der Sinn beider Paradoxien nahezu der gleiche, und so ist es von je her von den Menschen verstanden worden. Nur in diesem Sinne wurde der Satz je gebraucht. Damit will ich sagen, dass ich die Formulierung "Ich weiß, dass ich nichts weiß" durchaus für akzeptabel halte.
Übrigens habe ich selber einmal die Wendung gebraucht: "Je mehr ich weiß, um so mehr weiß ich, dass ich nichts weiß". Das ist halt meine eigene Art eines skeptischen Standpunktes. Und in der Tat handelt es sich bei Platon um einen Skeptizismus. So gesehen kann Platon wohl als einer der Ahnherren der späteren Skeptizismus angesehen werden. Der Unterschied ist nur, dass der Skeptizismus sich auch noch mit dem Relativismus der Sophisten verband, einem Relativismus, den Sokrates selber entschieden abgelehnt und zurückgewiesen hat.
Zuerst einmal ist die Diskussion darüber inwieweit welcher platonische Sokrates noch ein überlieferter, welcher ein idealisierter und welcher gar ein erdachter ist, zu schwierig, vor Allem, da wir uns hier nur auf die Texte Platons konzentrieren und nicht auf die überlieferten Darstellungen von Sokrates (wen das interessiert, sollte sich nebst den platonischen Dialogen vor allem "Die Wolken" von Aristophanes und "Die Apologie" von Xenephon anschauen).
Doch glaube ich, dass jede Variante des hier diskutierten sokratischen Satzes "Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß", in jedem Fall (auch) als eine gegen den Sophismus gerichtete Aussage verstanden werden kann. Ob wir nun Platon als den Erfinder dieses Sokrates' annehmen, oder als reinen Chronisten - zweifelsfrei bleibt in der Aussage vor allem die Verurteilung vermeintlichen Wissens präsent, d.h. dass hier (jedes Paradoxon und jeden Skeptizismus bei Seite gelassen) vor ein ewiges Noch-nicht-Wissen gemeint sein könnte. Auf diese Art verstanden deckt sich die Aussage dann auch sowohl mit den "sokratischen Methoden" des Elenchos und der Mäeutik, so wie sie den Dialog als einen Akt der Wahrheitsfindung und Lernens hervorhebt. (Auch die spätere Ideenlehre Platons ließe sich auf diese Weise mit dieser "relativistischen" Auslegung des Satzes decken - doch das muss/kann/soll bei einer Diskussion über die Apologie sicher noch nicht thematisiert werden).
Allerdings halte ich es für fraglich, die ganze Apologie auf diesen einen Satz zu reduzieren. Die Apologie bietet eine ungeheuer interessante Charakterisierung des frühen platonischen Sokrates und ich fände es schade, wenn wir diesen Sokrates, der uns noch lange bei der Lektüre der platonischen Dialoge begleiten wird, derart übergehen würden. Mit der Entwicklung der Figur des Sokrates bei Platon kann man (behaupte ich zumindest) auch die Entwicklung Platons selbst sehr schön beobachten. Daher halte ich es für sinnvoll ein wenig auf diese Sokrates einzugehen, seine wichtigsten Aussagen zusammen zu tragen, womöglich auch eine Ansichten zu den Lehren (Sophisten) seiner Zeit und sein "Selbstverständnis" als "Nicht-Lehrer"...
Nicht zuletzt stellte sich mir bei der Apologie immer die Frage, wie dieser zu Beginn so (zwar überzeugte aber doch) bescheidene Mann am Ende seiner Verhandlung die größte Ehre Athens verlangen konnte - als einzige für ihn in Frage kommende Strafe.
Zephred
1. Du schreibst, dass Sokrates mit seinem berühmten Satz, wie man ihn auch formulieren will, ein ewiges Noch-nicht-Wissen gemeint haben könnte. Und wenn ich ehrlich bin, ungefähr so habe ich es auch immer verstanden
2. merkst Du an, dass die Apologie eine interessante Charakterisierung des frühen Sokrates bieten kann. Kannst Du vielleicht etwas dazu sagen. Denn offensichtlich kennst Du Dich mit Platon wirklich gut aus...
Dass Sokrates (zumindest als Figur) in den platonischen Dialogen eine enorme Rolle spielt, ist glaube ich, unbestreitbar, allerdings muss man, wenn die Dialoge überblickt feststellen, dass sich die von Platon Sokrates zugedachte Rolle wandelt (und womöglich sogar die Figur selbst). Es geht sogar soweit, dass Sokrates in den späten Dialogen ganz in den Hintergrund tritt. Der frühe Sokrates (in den Frühwerken beschrieben) dürfte noch eine ungeheure Idealisierung darstellen - eine Idealisierung, die zum Verständnis der platonischen Philosophie und ihrer Entwicklung sicherlich hilfreich sein kann. Sokrates repräsentiert für Platon zweifelsohne (zu Beginn) den Philosophen par excellence - womöglich sogar die Philosophie selbst. (Mag Platon dem Urteilsspruch des Orakels von Delphi vielleicht sogar geglaubt haben...)
In der Apologie charakterisiert sich Sokrates (notgedrungen) selbst und bietet uns somit auch einen gewissen Einblick in Platons eigenes Denken: So wird Sokrates zum Beispiel in Bezug auf die Anklagepunkte dargestellt. Die Anklagepunkte sind
- Ungläubigkeit (was auch als "Erforschen des Himmels und des Unterirdischen" bezeichnet wird und der Versuch neue Götter einzuführen (was sich auf seinen Daimonion bezieht),
- das Verführen und Verderben der Jugend, sowie
- die schwächere Rede zur Stärkeren zu machen.
Er wird also angeklagt: 1. Naturphilosophie zu betreiben, 2. ein (schlechter / verderb-licher) Lehrer zu sein und 3. zudem noch ein Sophist.
Nun streitet Sokrates genau das ab, und behauptet nicht (mehr) der Naturphilosophie anzuhängen (obwohl er wohl Schüler des Anaxagoras war), sondern sogar gläubig zu sein (was er mit seinem Glauben an Apollon zu beweisen sucht [in wieweit Apollon für Sokrates das Prinzip der Vernunft repräsentiert sei hier in Frage gestellt]), weiterhin behauptet er, kein Lehrer zu sein und es nicht einmal im Entferntesten für sich zu beanspruchen, СКАЧАТЬ