"Icke" fährt zur See - Teil 1 - Seefahrt damals um 1961 - Schiffsjunge und Jungmann. Jürgen Emmrich
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Читать онлайн книгу "Icke" fährt zur See - Teil 1 - Seefahrt damals um 1961 - Schiffsjunge und Jungmann - Jürgen Emmrich страница 4

СКАЧАТЬ Wir lernten, dass es an Bord nur einen „Master next Gott“ gibt, nämlich den „Alten“.

       Und ohne Disziplin und Demut geht gar nichts. Uns wurde klar gemacht, dass wir an Bord auf uns allein gestellt sein werden.

       Keine Polizei, keine Feuerwehr, kein Richter, keine Mamma, keine Hilfe..., nur wir allein, die weite See und der „Alte“, der alle Macht an Bord hatte. Seine Gehilfen, die Offiziere stünden ihm ehrfürchtig zur Seite.

       Und wir „Moschkoten“, also die Matrosen und Junggrade hätten zu funktionieren. Da waren noch Vorarbeiter, also der Bootsmann und der Zimmermann, die noch über dem Matrosen stünden. Na ja, da gäbe es noch die Schiet- oder Schmiergang. Das wären die „Heizer“ und die Maschinisten, der Storekeeper, die Reiniger, die Assistenten und Ingenieure, aber die zählten für uns stolze Seeleute an Deck nicht so viel. Die wühlten unter Deck im stinkigen Maschinenraum herum und kämen ölverschmiert zum Essen und Schlafen an Deck.

       Die Kombüse wäre besetzt mit einem Koch, einem Schlachter und einem Bäcker, der jeden Tag für frische Brötchen und Brot sorgte. Ja und Stewards gäbe es auch noch. Alles keine richtigen Seelords, so wie wir.

       Also wir begriffen sehr schnell, an Bord herrschte die absolute Hierarchie. Und man müsste sich eben hochdienen. So haben wir Jungs in drei Monaten gelernt, was es bedeutet, Seemann zu sein.

       Wir haben aber auch gelernt, was Kameradschaft ist, mit den unterschiedlichsten Charakteren und Mentalitäten auf engstem Raum auskommen zu müssen. Es ginge nicht mehr um das Ich, sondern nur um das Wir.

       Ich glaube, in der Zeit habe ich auch gelernt, mit jedem auszukommen.

       Seeleute sind eigentlich sehr tolerante Menschen. Hautfarbe, Religion oder Nationalität spielen bei „Hein Seemann“ keine Rolle. Hauptsache „der Mensch ist Mensch“ und vor allen Dingen ist er ein „Seelord“, ein richtiger Maat, ehrlich und aufrecht. Die an Land waren vom anderen Stern. Tja, so dachten wir jedenfalls damals, und das stimmte ja auch ein bisschen, wie ich später auch feststellen musste.

       Ich mochte die Kameradschaft, war eigentlich immer schon ein geselliger Mensch und liebte es, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein.

       Die Zeit raste dahin, es gab Zwischenprüfungen, wie z. B. in Erster Hilfe, die wir alle bestanden, denn wir haben natürlich gebüffelt und uns gegenseitig geholfen. Uns wuchsen auch die ersten Muskeln und auf den Händen die erste Hornhaut, auf die wir natürlich auch stolz waren. Es fehlten nur noch die Haare auf der Brust, um ein richtiger Seebär zu sein. Aber kommt Zeit, kommt Haar.

       In Berlin war inzwischen hohe Aufregung, denn Berlin wurde von einer Mauer zwischen Ost und West getrennt. Mein Vater hatte das vorausgesehen und war mit uns schon 1953 von Ostberlin in den Westen geflüchtet.

       Mein geliebter Opa und die Oma (Eltern meiner Mutter), waren nun im Ostteil der Stadt „eingeschlossen“. Würde ich sie jemals wiedersehen können? Die andere Oma, also die Mutter meines Vaters, war ja schon mit meinen Eltern nach Westberlin gegangen.

       An der Sektorengrenze sollten Panzer der Russen und Amis aufgefahren sein. Es sollte sich um einen kriegsähnlichen Zustand an der Mauer handeln. Ich war sehr traurig, denn meine Eltern schrieben mir, dass man nicht mehr in den Osten könne. Ich konnte gar nicht fassen, dass so etwas möglich ist. Die können doch nicht einfach die Familien trennen, die den Krieg überlebt haben, alles verloren haben und neu anfangen mussten. Ich war sehr in Panik, aber ich konnte die Schule nicht verlassen. Wem könnt ich dann meine Sorgen antragen, wenn Opa nicht mehr erreichbar war?

       So musste ich mit den Sorgen allein fertig werden.

       Am 24. Oktober 1961 schaffte ich mit ausreichenden Leistungen die Abschlussprüfung. Wir mussten alle vor dem Haus antreten, und der Kapitän verabschiedete uns. Als wir vor drei Monaten dort zur Einweisung antraten, begrüßte uns der Kapitän mit: „Guten Tag Jungs.“

       Nun wurden wir mit: „Gute Fahrt, Männer!“ verabschiedet.

       Was waren wir stolz in diesem Moment. Wir waren von Kindern zu richtigen Seemännern ausgebildet worden.

       Wir Jungs feierten Abschied voneinander, natürlich mit einem Besäufnis in einer Finkenwerder Kneipe und hofften, dass wir uns irgendwo, in irgendeinen Hafen wiedersehen, dann aber als richtige, gestandene Seemänner.

       Die Finkenwerder Fischerjungs waren froh, dass wir abhauten, denn wir spannten ihnen immer die Mädels aus, wenn wir an den Wochenenden zum Tanzen in den Finkenwerder Tanzschuppen „Elbhalle“ kamen.

       Der Song „Let`s Twist again“ war da gerade der große Renner, und ich war ein großer „Twister“, aber auch die langsamen Songs lagen mir, und so war ich oft der große Eintänzer in Finkenwerder. Ich war ja wohl mitten in der Pubertät und noch „Jungfrau“. Hatte bei den Mädchen immer viel „Schlag“, schon in der Schule war ich aller Mädel Liebling. Aber es ging noch nichts ab. Mir war das Herumstromern mit meinen Freunden wichtiger. Aufgeklärt war ich auch nicht und lauschte nur den Geschichten der schon erfahrenen Jungs und der Kumpels um meinen Bruder herum, die so glaube ich, alle auch nur sogenannte Verbalerotiker waren und selbst noch nichts erlebt hatten.

       Aber irgendwann werde auch ich fällig sein. Ich hatte in Berlin ja auch noch eine Freundin, die Monika, meine erste große Liebe, zurückgelassen. Beim Abschied, den wir bei Andy, einem Freund, feierten, wollte ich ‘ran, aber sie sagte nein, weil ich dann immer auf See wäre und sie sicher vergessen würde. Wir lagen auf einer Couch und betrieben „Petting“. Da merkte ich schon, dass sich im Unterleib etwas tat, wenn man gestreichelt wird oder selber aktiv ist.

       Gut, dass sie so zurückhaltend war, denn ich hatte keine Kondome, und wer weiß, was sonst passiert wäre. Wir waren doch selbst noch Kinder.

       Meine persönliche Bewerbung und dem Vorstellungsgespräch bei der größten deutschen Reederei, der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG) oder offiziell „Hamburg-Amerikanische-Paketfahrt-Aktiengesellschaft“, verlief positiv, und ich sollte bald ein Schiff bekommen, auf dem ich dann endlich als Decksjunge oder auch „Moses“ genannt, die Welt erobern könnte. Ich war schon sehr stolz, Mitarbeiter in einer so berühmten Reederei, Deutschlands größte und weltweit bekannteste Reederei, zu sein.

       Endlich konnte meine große Sehnsucht gestillt werden.

       Endlich war ich Seemann bei der deutschen Handelsmarine.

       Endlich konnte ich die weite Welt bereisen, während die anderen an Land jeden Morgen an ihre Werkbank mussten, immer derselbe Trott und ihren Urlaub verbrachten sie, wenn die Eltern vermögend waren, vielleicht mal an der Ostsee. Aber mir lag nun die Welt zu Füßen!

       Vorerst musste ich aber noch nach Hamburg, zur SeeBeGe (Seeberufsgenossenschaft), in die Reimerstwiete. Für die Ausstellung eines Seefahrtbuches, musste ich noch ein ärztliches Attest, meine Seediensttauglichkeit, einholen. Zwei Passbilder waren mitzubringen und die Einverständniserklärung der Eltern, sowie ein gültiger Reisepass.

       Ich fuhr dann noch mal nach Hause, sah das Elend mit der Mauer und erfuhr, dass mein Bruder es gerade noch so vom Osten in den Westen geschafft hatte, als er bei Schließung der Grenzen СКАЧАТЬ