Название: Fürstinnen
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783752993318
isbn:
»Wirklich?« fragte Marie, »Vielleicht habe ich mich entwickelt?«
Hilda zuckte leicht mit den Schultern: »Ach nein, Prinzessinnen entwickeln sich nicht.«
Das kränkte Marie, sie wurde ganz rot: »Warum sollen wir uns nicht entwickeln? Natürlich, Krankenpflegerin oder Postfräulein will ich nicht werden, deshalb kann ich mich doch entwickeln.«
Hilda jedoch lachte ihr lautes, gutmütiges Lachen: »Das mit dem Postfräulein hat mein Vater gesagt, das erkenne ich. Nein, Postfräulein will ich nicht werden, es gibt soviel andere Berufe, ja, es gibt eigentlich alle Berufe, wir müssen sie nur erobern. Unsere Brüder bleiben auch nicht zu Hause und werden, was sie wollen. Warum sollen wir immer Töchter bleiben? Tochter ist so ein schreckliches Wort. Tochter ist ein Wesen, das eigentlich nur dazu da ist, um abends ins Haus zurückgeschickt zu werden, damit es der Mama einen Schal holt, weil es anfängt kühl zu werden.«
Marie hörte nicht mehr recht zu, sie dachte daran, ob drüben unter dem Johannisbeerstrauch die blaue Gestalt noch versteckt läge, und da Hilda merkte, daß ihre Zuhörerin zerstreut wurde, schwieg sie. So gingen die beiden Mädchen eine Weile nachdenklich durch das Flirren der Blätterschatten und den Sonnenschein in der großen Lindenallee. Endlich fragte Marie ganz unvermittelt:
»Waren Sie das rote Mädchen auf der Schaukel, das sich von dem Offizier schaukeln ließ, als wir vorüberfuhren?«
»Ja«, bestätigte Hilda, »der Offizier war mein Vetter Barnitz, er hat sich so in mich verguckt.«
»Wirklich? Erzählen Sie doch«, drängte Marie, »haben Sie ihn auch gern?«
»Ach ja, warum nicht«, erwiderte Hilda, als handelte es sich um etwas Alltägliches, »er hat eine poetische Liebe. Er schenkt Rosen, drückt heimlich die Hand und macht Liebeserklärungen. Jeden Abend, wenn wir im dunklen Garten spazierengehen, machte er eine Liebeserklärung. Wenn wir an ein bestimmtes Levkoienbeet gekommen sind, fängt er an.«
»Was sagt er?« forschte Marie.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Hilda, »bei einer Liebeserklärung kommt es hauptsächlich auf den warmen, singenden Ton an, der muß zu Herzen gehen. Gott, solange sie in uns verliebt sind, sind sie alle nett; aber sobald sie merken, daß auch wir schwach werden, dann sind sie lächerlich; dann spielen sie gleich den königlichen Löwen, der seine Mähne schüttelt, und wir sollen die kleinen, nackten Löwinnen sein. Nein, dann erst werden Mann und Weib gleich sein, wenn die Männer uns küssen können, ohne gleich eine dumme Protektormiene aufzusetzen.«
Marie wurde ein wenig verlegen: »Ja, wie wissen Sie...«
Hilda aber lachte: »Ach diese kleinen Prinzessinnen, was die nicht alles wissen wollen.«
Jetzt waren sie bis an das Schloß gelangt und stiegen die Stufen zum Gartensaale hinauf, wo der Tee genommen werden sollte. Marie drückte fest Hildas Arm und sagte leise: »Wie hübsch und klug Sie sind.« In diesem Augenblick begann sie Hilda stark zu lieben. Hilda lächelte mitleidig.
Am nächsten Tage wurde die Fürstin zurückerwartet. Marie teilte ihrem Gefährten unter dem Johannisbeerstrauche mit, es sei heute das letzte Mal, daß sie sich hier träfen.
Felix zog die Augenbrauen empor und machte ein seltsames Gesicht, ein Gesicht, das gleichgültig aussehen sollte. »So, so«, meinte er, »ja, ich muß nun auch bald fort, die verdammte Schule fängt wieder an.«
Marie fragte nach dem Bade, Felix schlug eine Mücke auf Maries Hand tot, aber sonst war es heute ein einsilbiges und trübseliges Beisammensitzen, alles erschien Marie heute traurig, der Sonnenschein und die Johannisbeeren, und das eintönige Summen der Bienen. Einer müßte jetzt etwas Schönes und Süßes sagen, von Felix jedoch ließ sich nichts erwarten, und ihr selbst fiel nichts ein. »Ja, jetzt muß ich gehen«, sagte Felix leichthin, reichte Marie ungelenk die Hand und machte sich bereit fortzuschlüpfen. Doch plötzlich wandte er sich um, ergriff Maries Kopf von hinten, bog ihn zurück und drückte seine heißen Lippen ganz fest auf ihren Mund. Dann war er fort.
Marie saß regungslos und bestürzt da, das hatte sie nicht erwartet. Es verletzte sie, er war wirklich zu wild, und es fehlte ihm an Subordination. Und doch erschütterte es sie tief, Tränen traten in ihre Augen, sie begann zu weinen, Tränen, die von der Sonne auf den Wangen heiß wurden; sie weinte, weil er sie beleidigt hatte und weil ihr Erlebnis heute zu Ende war, und weil sie den großen, wilden Jungen hier unter dem Johannisbeerstrauch so schmerzlich vermißte.
5
Die Fürstin war zurück, und das Leben ging wieder seinen ordnungsmäßen Gang. Wie gewohnt, versammelte man sich nach dem Diner im Gartensaal. Die Baronin Dünhof spielte Halma mit dem Baron Fürwit, und die Fürstin saß an der geöffneten Gartentüre, neben ihr Graf Streith, der sie unterhielt.
»Ach Graf«, sagte die Fürstin langsam, als täte es ihr wohl, die Worte träge verklingen zu lassen, »wie gut tut es, wieder zu Hause und in seiner Ruhe zu sein. Ich tauge nicht mehr für das Hofleben, diese Welt der kleinen Wichtigkeiten macht mich müde und interessiert mich nicht.«
»Gewiß«, bestätigte der Graf und schlug dabei die Augen nieder, so daß es aussah, als säße er mit geschlossenen Augen da, »dort ist es ein eintöniges Stakkato prestissimo. Wir haben hier doch unsere ruhevollen Orgelpunkte.«
»Das klingt hübsch«, meinte die Fürstin, »aber es soll vielleicht nicht sein. Meine Schwägerin, die Herzogin, fragte mich, ob es nicht schwer sei, die für die Erziehung der Mädchen nötige Etikette aufrechtzuerhalten. Du lieber Himmel, die gute Dünhof tut ja, was sie kann, aber ich fürchte, unsere arme Etikette würde vor der Herzogin nicht bestehen. Was wollen Sie, hier auf dem Lande wird man bequem und ein wenig feige.«
Der Graf lachte leise. »Ja, ja, ich habe auch wieder unsere Helden des Hoflebens bewundert, und zu denken, daß man selbst solch ein Held gewesen ist.«
»Sehen Sie«, fuhr die Fürstin nachdenklich fort, »mir kamen diese Leute alle vor wie kostbare Dinge, die immer in einem Etui stecken. Ich war auch einmal solch ein Wesen, das nie aus einem Etui herauskam. Nun, jetzt bin ich aus dem Etui herausgenommen worden, das ist vielleicht unrecht, aber es tut wohl.«
Der Graf beugte sich ein wenig vor und sagte mit gedämpfter Stimme: »Es gibt vielleicht doch einen Augenblick, in dem wir ein Recht auf unser eigenes Leben haben.«
Die Fürstin sah ihn ruhig freundlich an. »Jetzt haben wir einige stille Wochen vor uns«, meinte sie, »die wollen wir genießen, unseren, wie sagten Sie doch, Orgelpunkt. Später kommt wieder Unruhe, mein Neffe, die Verlobung, die Jagd. Morgen, denke ich, will ich wieder reiten.« Sie lehnte sich in den Sessel zurück, starrte in die schwarze Stille der Nacht und strich sacht mit der einen Hand über die andere, als seien die Hände einander dankbar. »Ach Graf«, sagte sie, »wie die Levkoien heute stark duften.«
Marie ging mit Eleonore in den Garten hinunter.
Jetzt wollte sie es sein, die mit der Schwester vertrauliche Gespräche hatte, und sie wußte es, Eleonore hatte ihr Wichtiges anzuvertrauen. Mademoiselle Laure, die, weiß es Gott woher, stets alles zuerst erfuhr, hatte Marie mitgeteilt, Eleonores Verlobung mit dem Vetter Joachim aus Neustatt-Birkenstein sei eine abgemachte Sache. Im Oktober sollte der Erbprinz nach Gutheiden kommen, und dann würde die СКАЧАТЬ