Название: Fürstinnen
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783752993318
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Zuerst kamen Coco und Bruno. Coco drückte seine Nase an die Stäbe des Gitters und rief: »Er kommt nach.« Dann lief er davon und trällerte: »Er hat sich verliebt in 'ne Prinzessin!«
Marie nahm ihr Paket und stellte sich an der Gittertüre auf.
Da kam auch schon Felix herangeschlendert, das Badetuch über der Schulter. Er blieb stehen und lachte: »Ist es gut bekommen?« fragte er.
»Ja, ich danke«, erwiderte Marie, »ich wollte Ihnen dieses hier abgeben.« Sie öffnete die Gittertür und fügte errötend und sehr höflich hinzu: »Wollen Sie nicht ein wenig eintreten?«
»Hier?« fragte Felix erstaunt.
»Oh, es sieht uns keiner«, versicherte Marie, »wir müssen nur in die Johannisbeeren gehen.«
»Das ist etwas anderes«, erwiderte Felix verständnisvoll und trat in den Garten.
Marie ging voran, um ihm den Weg zu zeigen, mitten in das Dickicht der Stachel- und Johannisbeersträuche hinein. Vor einem großen Johannisbeerstrauche blieb sie stehen und sagte »Bitte hier.«
Felix mußte sich dort ausstrecken, und Marie setzte sich zu ihm. Beide saßen ernst da wie in einem Besuchszimmer. Um sie her und über ihnen hingen die Zweige voll glasheller, roter Trauben, heiß von der Mittagsonne, und die Büsche waren voll eines leisen Surrens und Klingens, als brodelten und kochten hier in der Hitze all die reifen Früchte. Dazu glitzerte die Luft von unzähligen blanken Flügeln und blitzenden Leibern.
»Essen Sie Johannisbeeren?« fragte Marie.
»Ja, die esse ich schon«, erwiderte Felix, und seine braune Knabenhand mit den vielen Rissen und Mückenstichen griff in die Trauben.
»War das Bad kalt heute?« führte Marie die Unterhaltung weiter.
Nein, das Bad war nicht kalt gewesen, um diese Zeit war es nie kalt.
»Können Sie schwimmen?« forschte Marie weiter.
Ja, Felix konnte schwimmen, sie mußten das in der Kadettenschule lernen. Und nun fragte Felix seinerseits: »Können Sie schwimmen?«
»Nein«, erwiderte Marie, »ich wollte es lernen, aber der Arzt hat es verboten.«
»Sind sie kränklich?« erkundigte sich Felix höflich.
Marie errötete: »O nein«, sagte sie, »nur, weil ich im Winter hustete.«
Felix zuckte die Achseln: »Ärzte sind immer so ängstlich«, meinte er verachtungsvoll.
Dann wußten sie eine Weile nichts zu sagen, Felix aß die Johannisbeeren, und Marie betrachtete aufmerksam ihren Gast, diesen Knabenkörper, der sich so bequem und träge unter dem losen Leinwandkittel reckte, das braune Gesicht, in dem die blauen Augen so hell und die Zähne so grell weiß erschienen. Merkwürdig war der Mund, mit der kurzen, geschwungenen Oberlippe, er konnte sich fest schließen und sah dann seltsam ernst aus, aber wenn er sich öffnete und lachte, dann lachte das ganze Gesicht mit, ein rücksichtsloses und unendlich leichtsinniges Lachen.
Plötzlich schlug Felix auf Maries Hand: »Pardon«, sagte er, »eine Mücke.«
»Sie können aber stark schlagen«, bemerkte Marie.
»Ist es rot?« fragte Felix und griff nach Maries Hand und hielt sie einen Augenblick in seiner heißen Knabenhand. »Ich sehe nichts«, sagte er und ließ sie fallen. Und dann mußten die beiden Kinder sich anlachen, sie wußten nicht warum.
»Jetzt ist es wohl Zeit, daß ich gehe«, sagte Felix, und da Marie nichts einwandte, schlüpfte er gewandt wie ein Wiesel unter den Sträuchern hindurch bis an das Gartengitter. Marie aber saß noch lange unter dem Johannisbeerstrauch, pflückte sich nachdenklich Johannisbeeren und träumte dem seltsamen Fühlen dieser bedeutsamen Stunde nach.
Für Marie hatten die Tage jetzt nur eine Stunde, eine heiße, goldene Stunde. Mit der Verschwendung solch junger Herzen strich sie alle anderen Erlebnisse um dieses einen Erlebnisses willen. So war es denn auch gleich, ob sie dem Geschichtsvortrag des Professors Wirth zuhören oder am Nachmittage mit Fräulein von Dachsberg allein spazierenfahren mußte. Das, worauf es ankam, war, daß um die Mittagszeit die lange Knabengestalt unter dem Johannisbeerstrauch lag, heiß vom Gehen, das Haar feucht, in den Kleidern noch etwas von dem Hauche des Wassers und des Schilfes, um sie her der säuerliche Duft der Johannisbeeren und das Brodeln des Mittags. Die Unterhaltung ging auch besser vonstatten.
»Ist es wahr?« fragte Marie, »daß Sie wild sind?«
»Wer sagt das?« fragte Felix scharf zurück.
»Der Graf Streith sagte das«, erwiderte Marie, »er sagt, es fehlt Ihnen an Subordination.«
Felix lachte befriedigt: »Na ja«, meinte er, »immer kann man sich von den Kerls nicht unterdrücken lassen.« Und nun kamen die Geschichten von dem heimlichen Rauchen und Trinken und Aus-den-Fenstern-steigen, immer wieder von leisem, höhnischem Lachen unterbrochen.
Marie hörte aufmerksam zu und lachte auch das leise, höhnische Lachen. Felix' Lachen war zu ansteckend, sie mußte mitlachen, es war, als führe jemand mit einer Feder leise über ihr Gesicht und kitzele es. Gut war es auch, wenn sie sich nichts zu sagen hatten, wenn Felix unablässig die roten Trauben zwischen seinen hübschen Lippen verschwinden ließ und nur ab und zu eine Mücke auf Maries Hand erschlug.
Dann kam eine süße Beklommenheit über Marie, das Atmen wurde ein wenig schwer und die Handflächen brannten. Einmal jedoch war Gefahr ganz nahe. Sie hörten durch die Mittagsstille plötzlich die Stimme des Fräuleins von Dachsberg, die mit ihrem klagenden Diskant »Prinzessin Marie!« rief.
Felix machte sich ganz klein und verkroch sich unter dem Johannisbeerstrauch wie ein Igel. Marie war sehr erschrocken. »Gehen Sie nur, ich bleibe hier«, flüsterte Felix.
Da tauchte Marie auf, sehr erhitzt, kleine Blätter im wirren Haar. Drüben bei den Himbeeren standen Damen in hellen Kleidern, und Fräulein von Dachsberg rief und winkte. Marie erkannte die Baronin von Üchtlitz mit ihrer Tochter Hilda.
»Aber Prinzessin«, sagte Fräulein von Dachsberg traurig, »um diese Zeit ist man doch nicht draußen.«
Die Baronin aber lächelte und meinte: »Um diese Zeit schmecken die Beeren am besten, das weiß ich. Ich haben Ihnen hier, Prinzeß Marie, meine Hilda gebracht, sie soll Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten.«
Die Baronin war eine große, schöne Dame, die sich sehr gerade hielt und den Kopf mit dem noch jugendlichen Gesichte vorsichtig bewegte, als sei der Aufbau des blonden Haares eine Krone, die herunterfallen könnte. Neben ihr stand Hilda, auch groß und aufrecht. Der Graf Streith hatte gesagt: »Die Üchtlitzschen Damen haben eine Art sich zu halten, als trügen sie einen Küraß unter dem Kleide.« Hilda hatte prachtvolles, aschblondes Haar, schöne Farben und einen breiten, sehr roten Mund.
Marie war so erregt, daß sie nicht wußte, was sie sagte, nur eines war ihr klar: fort von hier mußten sie. Sie nahm Hildas Arm und sagte: »Wir wollen in die Allee, in den Schatten gehen.« Die beiden Mädchen gingen voran, und die älteren Damen folgten ihnen langsam.
Marie sprach viel und schnell wie im Fieber, СКАЧАТЬ