Название: Blumen des Grauens
Автор: Eva Markert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783847699859
isbn:
Mit einem leisen Quietschen öffnete sich die schwere Tür. Zaghafte Schritte näherten sich dem Sarg.
Die Klinge des Messers, das Maria-Magdalena in der Hand hielt, blitzte auf im schwachen Licht der letzten brennenden Kerze.
„Danke“, flüsterte die tonlose Stimme. „Ich danke dir, dass du mich nicht verlassen hast.“
Maria-Magdalena sank vor dem Sarg auf die Knie, legte das Messer neben sich und faltete die Hände.
Kein Laut störte ihr Gebet.
Nach einer Weile erhob sie sich. Ihre Knie wankten. Dennoch griff sie entschlossen nach dem Messer und stieß die scharfe Spitze durch die Linie, die von den zusammengeklebten Lippen des Papstes gebildet wurde. Sie hörte ein Klicken und spürte den Widerstand, als die Klinge gegen die obere Zahnreihe stieß. Erschrocken hielt sie einen Augenblick inne. Dann machte sie ohne zu zögern einen tiefen Schnitt knapp oberhalb der Lippen. Blasses Zahnfleisch und viel zu groß erscheinende Zähne wurden sichtbar.
Maria-Magdalena schleuderte das Messer im hohen Bogen von sich. Mit einem metallischen Scheppern schlug es auf, schlitterte über den Boden und blieb vor dem Altar liegen.
Mit bloßen Fingern vergrößerte sie die Öffnung. Fauliger Gestank quoll aus der Mundhöhle und ihr wurde übel. Nur undeutlich konnte sie erkennen, dass durchsichtiger weißer Rauch wie Atem in kalter Luft nach oben stieg. Dann rannte sie davon.
***
Die Welt nahm Abschied vom Papst. Auf dem Petersplatz wimmelte es von Menschen.
Als die Trauerfeierlichkeiten begannen, schwenkten die Kameras zum Hauptaltar, wo der Leichnam aufgebahrt war.
Die Frage, warum der Sarg bereits verschlossen war, bewegte alle Gemüter. Ganz Rom summte von Gerüchten und nicht wenige Menschen äußerten den Verdacht, dass die katholische Kirche irgendetwas zu verbergen hatte.
„Der Papst soll keines natürlichen Todes gestorben sein“, flüsterte man hinter vorgehaltener Hand, „denn neben der Leiche lag ein Messer.“
„Er wurde nicht fachmännisch einbalsamiert und hat bereits stark gerochen“, behaupteten andere. „Das haben die Putzfrauen gesagt. Und es gab noch andere Anzeichen von Verwesung.“
„Aber der Papst ist doch gar nicht tot“, sagte ein störrisches kleines Mädchen.
Irgendwo in der Menge stand Maria-Magdalena, bleich, stumm, voller Angst und Hoffnung.
Der griechische Jüngling
„So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.“ Kommissar Schwarzer schüttelte den Kopf.
Lilli, seine junge Kollegin, die ihm erst an diesem Morgen zugeteilt worden war, konnte nicht antworten, denn sie fürchtete, sich übergeben zu müssen, sobald sie den Mund aufmachte.
„Auf jeden Fall ist es der Vermisste.“ Er betrachtete noch einmal das Foto.
Sie nickte schwach.
„Was ist das für ein Mensch, der so etwas tut?“, sinnierte Schwarzer.
Lilli zuckte hilflos mit den Schultern.
***
Pia kannte Adonis, seit sie denken konnte. Er stand im Wohnzimmer in einer Ecke. Sie mochte ihn, besonders sein Gesicht, obwohl er keine richtigen Augen hatte, sondern nur flache, leere Augenhöhlen.
Als kleines Mädchen versuchte sie oft, mit ihm zu spielen. „Fang!“, rief sie und warf ihm einen Ball zu. Doch Adonis rührte sich nicht.
Ihr Bruder Justus lachte sie aus. „Das ist bloß eine Statue.“
„Adonis ist lebendig“, widersprach Pia. „Guck doch! Er freut sich, dass ich mit ihm spiele.“
„Er ist aus Gips.“
Pia wurde so wütend, dass sie anfing zu weinen.
Und Adonis lächelte weiter sein feines, geheimnisvolles Lächeln.
***
Als sie ungefähr acht Jahre alt war, fiel ihr zum ersten Mal auf, dass er nichts anhatte. Sie bemerkte ebenfalls, dass er unten nicht so aussah wie sie und auch ein bisschen anders als Justus. Immer wieder lief sie hin und betrachtete diesen Unterschied. Aber nur, wenn es niemand sah.
Eines Tages fragte sie: „Warum ist Adonis nackt?“
Ihre Mutter lachte. „Statuen frieren nicht.“
„Schämt er sich nicht? Jeder kann doch sein Ding sehen.“
„Das macht ihm nichts aus.“
Aber Pia machte es etwas aus.
***
Die meisten Kisten waren gepackt, die Zimmer fast leer.
Nachdenklich betrachtete die Mutter den griechischen Jüngling. „Ob wir die Figur überhaupt mitnehmen sollen?“, überlegte sie. „Eigentlich hat sie mir nie so richtig gefallen.“
„Mir auch nicht“, stimmte der Vater zu. „Sie ist gar nicht unser Stil. Ob wir sie den Hillers schenken? Die waren doch immer so begeistert davon.“
Pia wurde eiskalt vor Schreck. „Bitte, Mama! Wir dürfen Adonis nicht einfach weggeben. Wir stellen ihn in mein Zimmer.“
Die Mutter runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht. Eine griechische Statue passt nicht in das Zimmer einer Zehnjährigen.“
Pia schluchzte. „Er soll nicht zu fremden Leuten kommen.“
Der Vater legte den Arm um sie. „Meinetwegen“, sagte er. „Wenn dir so viel daran liegt!“
Pia lächelte unter Tränen.
***
Adonis stand in einer Ecke ihres Zimmers, das Gesicht dem Bett zugewandt. Manchmal lief Pia zu ihm hin, um ihn zu umarmen und an sich zu drücken.
Seit sich die ersten Ansätze eines Busens zeigten, drehte sie ihm immer den Rücken zu, wenn sie sich auszog. Er hingegen war ihren Blicken Tag und Nacht ausgesetzt.
Er tat Pia leid. Kurz bevor sie vierzehn wurde, besorgte sie sich ein Betttuch und drapierte es um seine rechte Schulter. Mit Sicherheitsnadeln und einem Gürtel wurde das Gewand zusammengehalten. Bewundernd stand Pia davor. Richtig vornehm sah Adonis jetzt aus.
Mit dem Zeigefinger strich sie über die muskulösen Arme, berührte seine Wangen und die edel geschnittene Nase.
Noch nie hatte sie Adonis’ Mund so deutlich wahrgenommen. Wie schmal, wie schön geschwungen er war und gleichzeitig so männlich! Sie zögerte. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen hastigen Kuss auf die leicht geöffneten Lippen.
Später kam Justus herein. Er brach in Gelächter aus, СКАЧАТЬ