Название: Das Gänsemädchen von Dohrma
Автор: Hedwig Courths-Mahler
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4066338123145
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In seinen klugen Augen, die unter den buschigen Brauen hervorblitzten, lag ein seltener Ausdruck. Scharf flog sein Blick gleichsam in alle Ecken, alles erfassend, was er sah.
Draußen aus dem großen Rasenplatz vor dem Herrenhause spielte Artur von Dohrma mit seinen beiden Hunden. Er hielt eine lange Peitsche in der Hand und knallte damit übermütig in der Lust herum.
Als er sah, daß Veitel Samuel ängstlich am Hause hinschlich, um der Peitschenschnur auszuweichen, ließ er sie ihm erst recht um die Nase tanzen und knallte ihm ein paarmal übermütig um die Beine.
Die Ängstlichkeit des Juden erschien ihm verächtlich, und um ihn noch mehr zu erschrecken, hetzte er die scharfen Hunde auf ihn, die sich in Veitel Samuels langen Rock verbissen.
Der Jude duckte sich mit lautem Wehgeschrei, und aus seinen Augen flog ein Blick auf den schlanken, herrischen Junker, in dem sich alles aussprach, was er empfand. — —
Artur war nicht schlecht, nicht von niedriger Gesinnung, nur falsch erzogen, und deshalb ließ er den Juden seine Überlegenheit fühlen, ahnungslos, daß dieser ein größeres Recht hatte auf den Grund und Boden, auf dem er stand, als der Junker selbst. — —
Mit verächtlichem Lachen rief Artur endlich die Hunde zurück.
Da blickte ihn Veitel Samuel noch einmal an. In diesem Blick lag die ganze Qual eines geächteten Volkes, in dessen Herzen der Wunsch brennt: »Aug’ um Auge, Zahn um Zahn.«
Artur hatte gerade noch einmal die Peitsche zum Schlage erhoben. Vor diesem Blick sank ihm die Hand wie gelähmt zurück. Dunkle Röte trat plötzlich in sein hübsches, stolzes Gesicht.
Es wurde ihm mit einem Male bewußt, daß er sich an einem Wehrlosen vergriffen hatte, und er schämte sich. Zu stolz aber, sich das einzugestehen, pfiff er seinen Hunden und ging scheinbar gleichgültig davon.
Veitel Samuel rannte eiligst zum Tor hinaus, so daß seine Rockschöße hinter ihm herflatterten. Erst als er draußen in Sicherheit war, blieb er stehen und warf noch einen Blick zurück.
»Der Veitel Samuel vergißt nix — nix Gutes — nix Schlechtes — er wird nicht vergessen die Hunde und die Peitsche! sagte er heiser vor sich hin und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn.«
*
Inzwischen war der Lehrer Seifert An Herrn von Dohrma ins Zimmer getreten.
Dieser saß an seinem Schreibtisch und stieß den Rauch einer Zigarette erregt und hastig von sich. Er war ein stattlicher Mann von etwa fünfzig Jahren, mit gebräuntem, gutgeschnittenem, aber etwas hochmütigem Gesicht. Das graumelierte Haar und der starke Lippenbart waren militärisch verschnitten. Er trug eine graue Joppe, Reithosen und Reitstiefel, man sah, daß er nicht lange vom Felde heimgekehrt war.
Auf seinem Gesicht lag noch ein ärgerlicher Zug. Es war ihm schwer gefallen, Geld von Veitel Samuel flüssig zu machen. Der Jude wurde in letzter Zeit schwierig und wollte nichts mehr vorschießen. Nur nach langem Drängen hatte er das gewünschte Geld herausgerückt.
Moritz von Dohrma wandte sich nach Seifert um.
»Na, Schulmeister, wollen sich wohl vom Urlaub zurückmelden? Härten sichs sparen können. Oder haben Sie sonst ein Anliegen? Dann bitte kurz und bündig, hab keine Zeit!«
Seifert brachte nun ohne Umschweife sein Anliegen vor.
Herr von Dohrma machte ein verdrießliches Gesicht dazu. Er war so gar nicht in der Stimmung, wohlzutun und mitzuteilen.
»Donnerwetter nochmal, Schulmeister, also die Tochter des bankerotten Stellmachers wollen Sie mir aufhalsen? Denken wohl, Dohrma ist so ’ne Art Versorgungsanstalt für die Witwen und Waisen der Dohrmaer Dorfbewohner. Haben mir doch erst voriges Jahr die alte Kätner-Lene ins Haus gebracht!«
»Gnädiger Herr, die Kätner-Lene macht sich doch nützlich als Gänsehüterin und verdient ihr Brot!«
»Na ja — vorläufig noch. Aber wie lange, dann klappt sie vollends zusammen und ich muß ihr dann das Gnadenbrot geben. Man hat ohnedies soviel Mäuler zu stopfen, essen ja alle wie die Scheunendrescher. Na — und nun die Stellmachergöre, so ein Kind ist doch ein ganz nutzloser Brotesser. Natürlich, die Bauern halten sich so was vom Leibe und dann muß ich ran. Lieber Gott — bei den schlechten Zeiten. Sie denken wohl, unsereinem fällt das Geld nur so herein, hm?«
»Nein, gnädiger Herr. Aber ich habe schon überall vergeblich angeklopft, und das arme Kind kann doch unmöglich mit dem geistig unzurechnungsfähigen Vater zusammen im Armenhaus bleiben. Wenn ich nicht selber Kinder hätte, ich würde dem gnädigen Herrn nicht lästig gefallen sein!«
»Na ja, weiß schon, sind so ’n Mensch mit etwas zartem Gemüt. Und da soll ich nun natürlich klein beigeben. Was soll ich denn hier in Dohrma mit dem Mädchen anfangen?«
»Auf dem Gute findet sich vielleicht eine leichte Beschäftigung, damit sie ihr Brot nicht ganz umsonst ißt, gnädiger Herr!«
»Hm! Na, ich wills mir mal überlegen: also in Gottes Namen, bringen Sie das Mädchen her, wenn’s denn durchaus sein muß; ich will mal sehen, wo und wie ich sie anstellen kann!«
Damit war Martha Bergers Schicksal besiegelt.
Am nächsten Morgen brachte sie der Lehrer ins Gutshaus.
Der Abschied vom Vater war herzzerreißend, nur das Versprechen des Lehrers, daß sie alle Tage einmal nach dem Vater sehen, ihm das ärmliche Stübchen in Ordnung halten und ihm sonst einige Handreichungen tun dürfe, vermochte sie ein wenig zu trösten.
In den Mägdekammern im Dachgeschoß fand sich ein Winkelchen, wo man Martha ein Lager aufschlug.
Als der Lehrer, Martha an der Hand führend, den Gutshof betrat, kam eben Frau von Dohrma in einer hocheleganten, kostbaren Sommertoilette aus dem Hause, um mit ihrem Sohne Artur eine Ausfahrt zu machen.
Der Wagen stand schon vor der Tür.
Sie raffte das Kleid zusammen und blickte hochmütig ; über die zitternde Kleine in ihrem schlichten, geflickten Kittelchen hinweg.
Artur wandte den Kopf nach Martha um, als er an den Wagen trat.
Gerade fiel ein Sonnenstrahl über ihr blondes Köpfchen, so daß das Haar goldig aufglänzte.
»Das ist Martha Berger, Mama, die Tochter des Stellmachers, der jetzt im Armenhause ist. Sie soll in Dohrma bleiben, Papa hat es der Mamsell gesagt!« erklärte Artur seiner Mutter und blickte noch immer zu Martha hinüber.
»Ach, kümmere Dich doch nicht um solche Leute, mein Sohn. Das ist nichts für Deinesgleichen!« antwortete diese und lehnte sich im Wagen zurück.
Artur stieg ebenfalls ein.
Er sah in seinem feinen Anzug sehr vornehm aus. Dabei mußte er aber doch denken, daß die kleine Martha ein liebes Gesicht und schönes, goldenes Haar hatte, und eigentlich viel hübscher aussah, als die kleine Komtesse Hohenberg, deren Eltern er jetzt mit seiner Mutter besuchen wollte.
Als er von diesem Besuch wieder nach Hause kam, war sein erstes, die Mamsell zu fragen, was nun mit Martha geschehen solle.
Er СКАЧАТЬ