Название: Das Gänsemädchen von Dohrma
Автор: Hedwig Courths-Mahler
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4066338123145
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Als er nach Herrn von Dohrma fragte, wurde er nach dessen Arbeitszimmer gewiesen.
Im Vorraum zu diesem Arbeitszimmer, wohin von dem großen, dielenartigen Hausflur eine Tür führte, saß an einem Pult auf einem hohen Drehsessel der Sekretär des Herrn von Dohrma, Johannes Spiegel.
Dieser war ein kleines, mageres Männchen, den die Natur sehr stiefmütterlich behandelt hatte. Er hatte einen Höcker und schiefe Schultern und bewegte den Kopf in einer seltsamen Weise schnell hin und her, wenn er mit jemand sprach.
Dreißig Jahre mochte er zählen, aber trotz seiner mißgestalteten Figur hatte er ein gutgeformtes Gesicht und kluge, etwas schwärmerisch blickende Augen.
So zufrieden und heiter, wie Johannes Spiegel, fand sich selten ein Mensch in sein hartes Schicksal. Er trug sein körperliches Mißgeschick wirklich mit Humor und Seelengröße und war bei allen Menschen beliebt.
Wo er weilte, gab es fast immer lachende, frohe Gesichter, man belustigte sich über seine komische Redeweise.
In seiner Jugend wollte Johannes Spiegel ein großer Dichter werden und übte sich von Kind auf darin, in gereimter Rede zu sprechen.
Er dachte, durch diese Übung sein erträumtes Ziel zu erreichet, hatte jedoch sonst nicht das geringste Talent dazu.
Nach mannigfachen Fehlschlägen hatte er eingesehen, daß er es als Dichter zu nichts bringen werde, und war dann froh gewesen, als ihn Herr von Dohrma als Schreiber und Sekretär anstellte.
Das Reimen aber hatte er nicht mehr lassen können, es war ihrn zur zweiten Natur geworden, und es gewährte ihm innige Befriedigung, alles, was er zu sagen hatte, in gereimter Rede hervorzubringen.
Darin hatte er es zu einer großen Fertigkeit gebracht. Nie war er um einen passenden Reim verlegen, wenn er auch zuweilen etwas gewaltsam damit verfuhr. —
Als der Lehrer Seifert zu dem Herrn Sekretär ins Vorzimmer trat, drehte sich dieser, wie er immer zu tun pflegte, mit seinem lederüberzogenen Drehsessel schnell um.
»Guten Tag, Herr Sekretär!« sagte Seifert freundlich.
Spiegel sprang von seinem Sessel herunter und reichte ihm mit einer possierlichen Verbeugung die Hand.
»Ei guten Tag! Zurück von der Reise,
Ich möchte sagen – erfreulicherweise.«
So sagte er vergnügt.
»Ja, Herr Sekretär, schon seit einigen Tagen bin ich zurück. Und ich habe nun ein Anliegen an den gnädigen Herrn. Ob er wohl für mich zu sprechen sein wird?«
Johannes Spiegel nickte lebhaft und bewegte den Kopf wie ein munterer Vogel hin und her.
»Sie brauchen nicht zu bangen,
Der Herr wird Sie empfangen.«
»Kann ich gleich zu ihm hineingehen, ist er allein?«
Spiegel legte ihm die Hand auf den Arm.«
»Er spricht jetzt mit dem Juden
Doch wird er sich wohl sputen,«
sagte er belehrend.
»Ah, Vetter Samuel ist bei ihm. Da komme ich doch wohl ungelegen?«
»Das soll Sie nicht vertreiben,
Sie können ruhig bleiben.«
Spiegel schob dem Lehrer einen Stuhl hin und kletterte wieder auf seinen Drehsessel.
Während er in seinen Papieren blätterte, sprach er noch einiges mit dem Lehrer, immer in gereimter Rede.
Er teilte ihm mit, daß der gnädige Herr geschäftlich mit dem Juden Veitel Samuel unterhandelte und daß dieser wohl das nächste Getreide wieder auf den Halmen kaufen würde. [Das heißt also, bevor es geerntet wird.]
Es war ein offenes Geheimnis in Dohrma, daß Veitel Samuel sehr viel Geld in Dohrma stecken hatte. Auch die Hypotheken mit denen Dohrma belastet war, gehörten ihm. —
Nach einer Weile kam Vettel Samuel aus dem Zimmer des Herrn von Dohrma. Er klopfte Spiegel auf die Schulter.
»Hab’ ich vorhin gar nicht gehabt Zeit zu fragen, wie es Ihnen geht, Herr Sekretär!«
Dieser drehte lächelnd den Kopf.
»Ich danke — sozusagen
Kann ich mich nicht beklagen.«
Und zum Lehrer gewendet, fuhr er fort:
»Nu: einen Augenblick,
Ich komme gleich zurück.«
Damit verschwand er im Zimmer des Gutsherrn, um den Lehrer anzumelden.
Veitel Samuel begrüßte inzwischen den Lehrer sehr höflich und bescheiden.
Niemand hätte dem in einem langen, abgeschabten Rock steckenden, hageren Juden angesehen, daß er ein reicher Mann war und im Grunde genommen der eigentliche Besitzer von Dohrma.
»Der Herr Lehrer wollen gewiß sprechen mit dem gnädigen Herrn über die kleine Martha Berger!« sagte er in seiner jüdischen Sprechweise, das schwarze Käppchen in der Hand haltend und den Lehrer eindringlich betrachtend.
Seifert sah ihn überrascht an.
»Sie wissen das, Herr Samuel?«
Dieser zuckte die Achseln und lächelte eigentümlich. »Warum soll ich nicht wissen? Weiß doch im Dorf jedes Kind, daß Sie sich bemühen, unterzubringen das arme Kind des Stellmachers bei guten Leuten. Is e’ braver Mann gewesen, der Stellmacher und hat nicht verdient so e’ Schicksal. Und das Kind — es is e’ christliches Kind und gehört in e’ christliches Haus, sonst, wahrhaftigen Gott, sonst würde ichs nehmen auf in meinem bescheidenen Haus.
Hat mir die kleine Martha doch beschützt meinen Sohn Isaak. Als er hat begleitet seinen Vater ins Dorf, sind über ihn hergefallen die wilden Dorfrangen und haben ihn wollen werfen mit Steinen. Mit ausgebreiteten Armen hat sie sich gestellt vor den schwachen Knaben und hat ’n beschützt und hat ’n abgewischt die Tränen mit ihrem eigenen Taschentuch.
Das wird der Veitel Samuel nie vergessen, und er wird vergelten der Martha eines Tages, was sie hat Gutes getan an seinem Sohne. Es wird schon kommen eine Zeit. Ich kann warten ——— der Jüd’ ist geduldig.
Und nun wünsch’ ich Ihnen eine gute Verrichtung, Herr Lehrer. Hoffentlich werden Sie haben Glück beim gnädigen Herrn. Er is e’ vornehmer Herr und is nicht knickerig und sparsam wie die Bauern im Dorf. Und dies Haus hier is e’ großes Haus und e’ christliches Haus, es wird Platz drin sein for e’ armes Kind, was is schutzlos und verlassen.
Und wenn sich weigert der gnädige Herr — nu — da kommen Sie zum Veitel Samuel und er wird einlegen ein СКАЧАТЬ