Die Farben einer parallelen Welt. Mikola Dziadok
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Название: Die Farben einer parallelen Welt

Автор: Mikola Dziadok

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783949262159

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СКАЧАТЬ ein verbotener Gegenstand in der Zelle befindet. Danach musste der Knipser auf die gleiche Weise wieder versteckt werden.

      Es ist bezeichnend, dass die Bullen jedes Verbot auf der offiziellen Ebene mit irgendwelchen rationalen Gründen zu erklären versuchen: Die Gürtel sind nicht erlaubt, damit sich keiner erhängt; Quark ist nicht erlaubt, damit sich keiner vergiftet; Kleidung mit Reißverschlüssen ist nicht erlaubt, weil alle gleich aussehen sollen; Lebensmittel sind nicht im Nachtschrank gestattet, wegen „unhygienischer Zustände“ und so weiter. Doch nicht jedes Verbot kann rational begründet werden, egal wie sehr man es versucht. Warum soll man die Meldung erstatten: „In der Zelle befindet sich ein Häftling, der diensthabende Zellenälteste ist der Gefangene so-und-so.“? Warum lassen sie die Gefangenen nicht mit den Füßen auf dem Bett sitzen? Würde das denn jemanden in Gefahr bringen? Antworten auf diese Fragen kann man finden. Zur Hilfe kommen interne Unterlagen einer Haftanstalt, die mir persönlich zu Gehör kamen. Während meines Aufenthalts in der Strafkolonie Nr. 17 (Schklou) wurden uns, „gemäß den geltenden Regimevorschriften“, Auszüge aus der internen Vollzugsordnung und verschiedene andere Erlasse über Lautsprecher verlesen. Einiges davon habe ich wortwörtlich notiert. Leider kann ich mich nicht an den genauen Titel dieses Erlasses erinnern. Da sitze ich also in Einzelhaft und eine metallene Stimme schallt aus dem Lautsprecher:

      „Das Vollzugsregime für Besserungsanstalten […]. Die Besserungsfunktion des Vollzugsregimes besteht in der Festlegung von Verboten und Beschränkungen gegenüber dem Verurteilten. Ziel und Zweck von Verboten und Beschränkungen besteht darin, dem Gefangenen Leid und Kummer zu bereiten13, die dazu bestimmt sind, ihn zu zwingen, über sein bisheriges Verhalten nachzudenken.“

      Als ich das das erste Mal hörte, traute ich meinen Ohren nicht. Und was ist mit dem Strafgesetzbuch, wo schwarz auf weiß geschrieben steht, dass „Strafen und andere Maßnahmen strafrechtlicher Sanktionierung NICHT14 das Ziel verfolgen, physisches Leid zuzufügen oder die menschliche Würde herabzusetzen“? Aber in seinen „internen“ Vorschriften reißt das System sich schließlich die Maske weg und zeigt offen, was der wahre Zweck des Vollzugsregimes ist. Und der Gefangene, der sich seit seinem ersten Tag in Haft fragt, wozu all diese Regeln, die in keiner Weise erklärt, gerechtfertigt und rationalisiert werden können, sieht auf einmal klar. Die sind dazu da, damit du leidest. Und all das offizielle Geschwätz der Kerkermeister über „unhygienische Zustände“, „Sicherheitsmaßnahmen“ und so weiter ist nichts weiter als Staub in deine Augen, dazu da, um einem kannibalischen und unmenschlichen System den Anschein von Legitimität und Menschlichkeit zu verleihen, dessen einziges Ziel darin besteht, dir Leid zuzufügen, um deinen Willen zu brechen.

      Bemerkenswert ist, dass das Vollzugsregime und seine Anforderungen aus dem ohnehin nicht sehr klugen Personal der Strafvollzugsanstalten richtige Idioten macht. Eines Tages war es uns im Gefängnis in Shodsina irgendwie gelungen, einen Fernseher in die Zelle zu bekommen. Aber in dieser Betonkiste von Zelle hatte der einen sehr schlechten Empfang, und ihn näher ans Fenster zu stellen war unmöglich: Das Netzkabel war zu kurz und ein Verlangerungskabel war natürlich „nicht gestattet“. Und so stand der also mitten in der Zelle. Aber wenn er auf dem Boden stand, konnte man nichts sehen und wir mussten ihn irgendwie anheben. Wir hatten keine große Auswahl, und so stellten wir ihn auf eine umgedrehte Waschschüssel. Nach einer Weile kamen die Wachen zum Filzen. Deren Chef trat unverschämt auf, wandte den Kopf hin und her, suchte irgendetwas, um uns anmachen zu können. Seinem geschulten Auge fiel eine Abweichung von der Norm auf: der Fernseher auf einer umgedrehten Waschschüssel.

      „Und warum steht der Fernseher da, auf der Waschschüssel?“

      „Man kann nichts sehen, wenn der auf dem Boden steht, und das Kabel reicht nicht bis zum Tisch.“

      Unzufriedenheit im Gesicht des Bullen. Die Schablone ist kaputt, eine Situation außerhalb des Reglements, dringender Handlungsbedarf:

      „Aber das führt doch …“ – für eine Sekunde spiegelt sein Gesicht intensive Gedankenarbeit, die Suche nach einem relevanten und plausiblen Vorwand für eine Schikane – „… zum Verschleiß der Waschschüssel!“

      Als sich die Tür schloss, lachten wir uns über diesen Bullen noch eine halbe Stunde lang schlapp, der hatte uns den Tag gerettet. Unsere Schlussfolgerung: Was für ein Leben! Hast es bis Mitte dreißig geschafft und rennst von einer Zelle zur anderen, um den Häftlingen was vom „Verschleiß der Waschschüssel“ zu erzählen. Das Regime haben sie für uns erschaffen, doch jetzt sind sie es, seine Diener, die noch weniger frei sind als viele Gefangene hinter Gittern.

       Juli 2016

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