Название: Die Farben einer parallelen Welt
Автор: Mikola Dziadok
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783949262159
isbn:
Einem Operativen in der Strafkolonie Nr. 15 (Mahiljou), der ständig beteuerte, er habe „nichts damit zu tun“, dass man mich in der Zone unter Druck setzte, entgegnete ich direkt: „Das ist nicht wahr. Sie lügen mich ständig an.“ Worauf er lächelte und antwortete: „Lügen ist mein Beruf.“
So unmenschlich der Operative ist, kann er nicht anderes, als auch noch ein Rassist zu sein.
Der abscheuliche Vertreter des GUBOPiK9 Litwinksij, der mit mir ein Gespräch in der Strafkolonie Nr. 15 (Mahiljou) führte, kritisierte zuerst die Skinheads und meinte sein „Großvater hat im Krieg gekämpft“, und fügte dann hinzu: „Ich mag auch keine Neger. Aber ich verprügele sie doch nicht!“. Der Operative Schamjenow aus der Strafkolonie Nr. 17 (Schklou) erzählte mir ausführlich von seinen Ansichten zum Terroranschlag von Anders Breivik: „Dieser Multikulturalismus, der ist schuld daran!“ und fügte stolz hinzu: „Und in Belarus, da kann ich auf die Straße gehen und sicher sein, dass kein Kanake mich anrührt!“ Gerüchten zufolge wurde dieser Beamte später zum KGB versetzt.
Der Operative ist ein Henker der menschlichen Seelen. In der Strafkolonie Nr. 15 klagte mir ein junger Kerl, dass der Operative ihn zur Zusammenarbeit zwingt und von ihm verlangt zu berichten, worüber die Häftlinge untereinander reden, wo jemand was Verbotenes versteckt und ähnliches. Andernfalls, so versprach der Opjer, würde er ihm das Leben zur Hölle machen. Und nicht umsonst versuchte er gerade diesen jungen Typen unter Druck zu setzen. Der brauchte dringend eine vorzeitige Entlassung, denn draußen in der Freiheit hatte er einen kleinen Sohn und seine Frau, tja, die saß in der Waladarka10 ein. Mit aller Kraft versuchte der junge Mann, jegliche Art von Regelverstoß zu vermeiden, arbeitete eifrig im Produktionsbereich der Kolonie und machte sich den ganzen Tag Sorgen um seine Familie. Zweifelsohne wusste der Operative all das und genau deshalb hatte er ihn ausgewählt. Ich konnte die moralischen Qualen dieses Häftlings aus nächster Nähe beobachten, sein Hin- und Herschwanken zwischen seiner Familie und seinem Gewissen, dem Wohlergehen seiner Verwandten und den möglichen Konsequenzen, eine Suka11 zu werden. Er versuchte, aus dieser Zwickmühle rauszukommen und erzählte dem Beamten einige unbedeutende und allgemein bekannte Dinge. Dieser Versuch missglückte jedoch. Ich wurde bald aus dieser Strafkolonie verlegt und habe nie herausgefunden, wie dieses kleine Drama ausgegangen ist. Ich hoffe nur, dass der Bursche letztlich verstanden hat, dass man kein halber Verräter sein kann.
Man sollte nicht diejenigen fürchten, die den Körper töten, aber der Seele nichts antun können, sondern diejenigen, die deine Seele töten – das versteht man mit der Zeit. Im System des Innenministeriums gibt es solche, die den Körper und solche, die die Seele töten. Sie alle, die Henker vom Erschießungskommando und die „Ermittlungsbeamten“, bekommen jeder ihren eigenen Lohn für ihre eigene Art von Mord.
Ja, der Operative lässt den Körper am Leben, einen Organismus, der Kraft seiner Instinkte und Grundbedürfnisse weiter existiert, doch um eine Persönlichkeit im vollen Sinne des Wortes handelt es sich dabei nicht mehr. Die Krux bei der Sache ist die: Wenn es im Charakter eines Menschen, der hinter Gitter geraten ist, auch nur die kleinste Fäulnis gibt, ein Körnchen von Gemeinheit und Unehrlichkeit, dann wird es unter den wachsamen Augen eines Operativen und mit seiner steten Fürsorge wachsen und all das Gute, das sonst im Menschen ist, aus ihm saugen. Dazu trägt auch die Atmosphäre bei, die in Gefängnissen und Lagern herrscht, jenes moralische Klima mit dem Imperativ: „Tritt nach unten und spuk auf deinen Nächsten.“ Und ohne Zweifel wird der Operative das Wachstum dieser Samen beschleunigen, wobei er für einen jeden einen ganz individuellen Dünger zubereiten wird, ganz auf den Charakter der Person abgestimmt: Für den einen wird es ein zusätzlicher Besuchstermin der eigenen Frau sein, für einen anderen ist es die Angst um die eigene Sicherheit, für den dritten die Sorge um die eigene Autorität, für jemanden die Aussicht auf Bewährung und für jemand anderen werden ein Päckchen Tee und eine Schachtel Zigaretten völlig ausreichen. Doch das Ergebnis ist immer das gleiche: Diese Person wird das Gefängnis innerlich verfault, frei von Prinzipien und ohne irgendeinen Glauben verlassen. In der Weltwahrnehmung dieser Person ist die Grenze zwischen Gut und Böse ausgelöscht. All das ist der Arbeit der „operativen Abteilung der Strafvollzugsanstalt“ zu verdanken.
Manchmal frage ich mich, wie sind die Operativen denn in ihrem ganz normalen Alltagsleben? Die werden doch nicht alle ihre Ehefrauen und Kinder schlagen, ihre Freunde belügen … Vermutlich sind auch sie fähig, ihre Angehörigen zu lieben, sich um sie zu sorgen, gut zu ihren Ehefrauen und Müttern zu sein, von Herzen zu lachen, Freundschaften zu pflegen, ganz normale menschliche Empfindungen zu haben. Bei Festen und Feiern haben sie vermutlich ganz einfach Spaß. Sie umarmen ihre Freunde und Kollegen, singen mit einem Gläschen in der Hand ihre Lieblingslieder: „Und wenn der nächste Tag viel härter wird, als der schon gestern war, dann sagen die Operativen: Ja! Wir schaffen das, na klar!“
Natürlich werdet ihr es schaffen. Munter und im Gleichschritt. In die Hölle.
März 2015
DAS REGIME
Es gibt Phänomene, die grausam sind. Es gibt Phänomene, die sinnlos sind. Aber alles wirkt noch grausamer, wenn es sinnlos ist. Genau dazu zählt das Gefängnisregime – ein Moloch, dem das psychische und physische Wohlbefinden der Gefangenen, ihr Seelenfrieden und ihre Selbstachtung geopfert werden.
Eine Person, die zum ersten Mal im Gefängnis landet, befindet sich zunächst in einem Zustand von Verwirrung und enormer Verwunderung. Mit dem Verstand einer normalen und freien Persönlichkeit kann der neue Gefangene das, was die Kerkermeister von ihm mit Verweis auf rätselhafte „Vorschriften“ verlangen, nicht nachvollziehen.
Alles beginnt mit dem Filzen. Noch im Polizeigewahrsam wundert sich der Gefangene, wenn ihm beim Filzen vor der Unterbringung in der Zelle, der Gürtel und die Schnürsenkel abgenommen werden. Er fragt: „Warum kann ich die nicht behalten?“. „Nicht gestattet“, knurrt der Bulle zur Antwort. Erst später klären ihn erfahrene Zellengenossen darüber auf, dass er sich die Hosen deshalb andauernd wird hochziehen müssen und in den Turnschuhen so rumlaufen wird, als ob sie lustige lose Schlappen wären, weil er sich mit dem Gürtel und den Schnürsenkeln erhängen könnte.
Doch das Interessanteste erwartet ihn im Untersuchungsgefängnis, wenn seine Angehörigen versuchen, Pakete für ihn abzugeben. Zigaretten? Müssen der Packung entnommen und in einen transparenten Beutel gelegt werden. Tee? Auch nur in einem transparenten Beutel. Süßigkeiten? Jede einzelne muss frei von jeglicher Verpackung sein. Und stellt euch dann vor, wieviel Aufwand es bedeutet, damit ein dreißig Kilo schweres Paket eingereicht und übergeben werden kann. Sprudelwasser? Verboten! Quark, Milch, Käse, Butter – verboten! Honig? Verboten! Warum? „Nicht gestattet!“ Irgendetwas in einer Glasflasche? Gott bewahre! „Die werden sich doch gegenseitig abstechen!“ Konserven – verboten, „die werden Stichwaffen basteln“.
Und falls die Angehörigen anfangen sollten, sich bei den verschiedensten Chefbeamten zu beschweren, dann wird man ihnen eine lange Liste verschiedener Erlasse und Anordnungen vorzeigen, die Vollzugsordnung und die Hygienevorschriften der Gesundheitsämter vorlegen, aus denen sie erfahren, dass Milchprodukte aus Sorge vor einer Epidemie verboten sind, Zigaretten umverpackt werden müssen, „falls Sie da etwas versteckt haben“, und aus demselben Grund muss jedes Bonbonpapier entfernt werden, aus demselben Grund wird jeder Apfel und jede Orange, jedes Obst und Gemüse, das ihr dem Gefangenen zukommen lasst, mit einer Ahle durchstochen und es spielt keine Rolle, ob es dann nur noch ein paar Tage übersteht – jede Vakuumverpackung СКАЧАТЬ