Название: Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang
Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066398903
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Gaddo. Ich bin gelähmt.
Ugolino. Aha, war das die Ursache?
Gaddo. Hilf mir, mein Vater!
Ugolino. So!
Gaddo. Lächle, trauter Vater, und hilf deinem Gaddo!
Ugolino. So!
Gaddo. Gott segne dich!
Ugolino. (hebt ihn auf seinen Schoß) Wo schmerzt es dich, mein Gaddo? Sage mir's, armes Kind.
Gaddo. (ihn sehr beweglich ansehend) Du wirst mich nicht Hungers sterben lassen, mein Vater!
Ugolino. Wo sitzt deine Krankheit?
Gaddo. Im Herzen, im Magen, im Kopf: ich kann's dir nicht sagen. O mich ekelt!
Ugolino. Ich habe dich nicht schreien gehört.
Gaddo. Oh! der Hirnschädel wäre mir geborsten.
Ugolino. Deine Augen sind blau und geschwollen.
Gaddo. Sie wollen nicht weinen!
Ugolino. Gewiß, gewiß, es ist sehr bitter!
Gaddo. Liebt meine Mutter mich noch?
Ugolino. Sie liebt dich immer: wir lieben dich beide.
Gaddo. Hah! wenn dem so wäre! Es ist unglaublich.
Ugolino. Warum unglaublich, mein Gaddo? Sprich! Ich bin dein liebender Vater.
Gaddo. Sie hat mich an ihrem Busen genährt: itzt läßt sie mich verschmachten. Doch sie kann mich verschmachten lassen, und doch lieben: denn du liebst mich, mein Vater; sagtest du nicht so?
Ugolino. (küßt seine Augen) Habe Mitleid, Strafengel! o schone! schone!
Gaddo. (seufzt) Ach!
Ugolino. O nein! nein! lieber rede! daß Gott im Himmel dich höre! rede; strafe deinen Vater; girre nach deiner Mutter, Verlorner! Ärmster! nur laß mich dich süßes Kind nie wieder seufzen hören!
Francesco. (eilig) Es müssen Leute im Thurm sein: ich hörte Fußtritte.
Ugolino. (bestürzt) Wie? Was? (Legt Gaddo hin)
Anselmo. (langsam) Du wolltest vermutlich die Männer im Thurm sehen. Es sind dieselben, die ich vorher bat, mich und Gaddo mitzunehmen: Männer ohne Herz. Sie schlichen fort, da sie mich wahrnahmen, als fürchteten sie mich. Sie sind nicht mehr da.
Francesco. Horch! horch!
Anselmo. Auch die Öffnung ist nicht mehr. St! St!
Francesco. (erblaßt) Die Thurmtüre! Ha! (Man hört sie stark zuschlagen)
Anselmo. Sie wird verschlossen. (Ein sehr langes und schreckenvolles Stillschweigen: worauf Anselmo seinen Bruder leise anstößt) Du siehst den Geist an der Mauer, Francesco! Nein, sieh nicht dort hin; sieh unsern Vater. Erstarrt? Versteinert? Bleich war das Antlitz unsers Vaters; aber sieh, Francesco, itzt ist's schrecklich. Weh mir! ihm ins rote, ins unbewegliche Auge zu sehn, schaudert mich! Ach mein Vater! (Küßt seine Hand) Und auch du, Francesco? Du schweigst? seufzest? auch du, Francesco? und schluchzest? Mein Vater! (Küßt seine Hand noch einmal, sieht auf, und erschrickt) Auf dich wirft er einen schnell zurückgezognen Blick, und auf mich, und auf Gaddo! Blut strömt vom gewaltigen Biß seiner Lippen! Seine Gesichtsmuskeln stehn aufwärts gedrängt und starr! Mein Vater! (Wirft sich ihm zu Füßen)
Francesco. Sei ruhig, Anselmo, ich bitte dich! (er richtet ihn auf)
Anselmo. (mit Heftigkeit) Mein Vater! mein Vater! (Ugolino geht ab) Mein Vater! (Mit den Füßen stampfend) Mein Vater! (Ängstlich schreiend)
Francesco. Was ängstigt dich, mein Anselmo? Was schreckt dich, Lieber? ach! laß unsern Vater nichts von dieser Heftigkeit sehn! sei gelassen! sei ruhig!
Anselmo. Gut, Mann! entferne dich nur! aber schnell! schnell aus meinen Augen! wenn dein Leben dir lieb ist, Mann!
Francesco. Ich darf ihn itzt nicht verlassen, nein. Und mein Vater! o ewige Vorsicht!
Anselmo. Ich irrte mich. Dieser da ist keiner von ihnen. (Sieht sich furchtsam nach allen Seiten um) Ach! (Indem er die Hände ringt) Nun ist es gewiß. Weggeführt haben die Priestersklaven das Opfer! und die Reihe wird an mich kommen: aber desto besser.
Francesco. Gib dich zufrieden, Anselmo. Kennst du mich nicht?
Anselmo. Dich? (misst ihn mit den Augen)
Francesco. Kennst du mich?
Anselmo. Ha! ha! ha! Wie sollt ich dich nicht kennen. Du bist ja Er, der aus dem Abgrunde heraufkam. СКАЧАТЬ