Название: Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang
Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066398903
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Anselmo. Fürchterlich!
Gaddo. Erblasse nicht so, Anselmo! Du erschreckst mich nur mehr.
Anselmo. Er wendet sich zu uns. Holdseliger Vater! wie er uns anlächelt!
Ugolino. (setzt sich) Komm her, mein Gaddo – wenn die Entkräftung dir noch so viel Schritte erlaubt – geliebtes Kind – (Hebt ihn auf seinen Schoß)
Gaddo. Ich? ich sollte entkräftet sein? (seines Vaters Hände küssend)
Anselmo. Nein, Vater, belebende Kraft geht von deinem Antlitze aus; das ist gewiß.
Ugolino. Wie alt bist du, Gaddo? weißt du's?
Gaddo. Zwölf Jahre, wo mir recht ist.
Anselmo. Einfältiger Gaddo! kaum sechs.
Ugolino. Laß ihn, Anselmo. Jammer und Elend haben seinen kleinen Lebenslauf schnell beflügelt. Er zählt besser als du glaubst.
Anselmo. Wie, mein Vater? Ich selbst bin wenig über zwölf Jahre alt. Ich müßte doch drum wissen.
Ugolino. Wahr ist's. Deine reifern Tage haben viel Freude gekannt. O du liebesvolle Genügsamkeit! Du hassest Ruggieri, sagst du? sprich nicht, daß du ihn hassest.
Anselmo. Ihn? Er ist mir ein Grauen! dir nicht, Gaddo? Hassest du ihn nicht? Sprich.
Gaddo. Ich fürcht ihn, Anselmo. Daß ich ihn hasse, kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, was das ist.
Ugolino. Gaddo liebt mich.
Anselmo. Nicht mehr, als ich dich liebe; nicht mehr als ich deinetwegen Ruggieri hasse!
Ugolino. Meinetwegen?
Anselmo. Deinetwegen: deiner zerstörten Glückseligkeit wegen, du Befreier von Pisa! laß mich dich dies erstemal mit diesem Namen nennen, großer Mann! Aber auch meiner Mutter wegen; ihrer vielen Tränen wegen! Aber auch Gaddos wegen! sollt ich den Feind deiner Ehre, den Urheber deines Verderbens nicht hassen? Mein Vater, so müßt ich mich selbst hassen; vergib mir.
Ugolino. Nicht weiter! nicht weiter grausamer junger Mensch. Du bis schwerer zu ertragen, als ein unruhiges Gewissen.
Anselmo. Mein Vater!
Ugolino. Geh!
Anselmo. Den Urheber –
Ugolino. Geh, sag ich, entfleuch!
Anselmo. Vergib mir. Den Störer deiner Ruhe –
Ugolino. Verstumme! Zittre!
Anselmo. Den Herrschsüchtigen –
Ugolino. Zittre; du hassest mich! Der Urheber eures Verderbens, der Störer eurer Ruhe, der Herrschsüchtige, der Verräter, der bin ich! Genug, Schmerzenssohn! Du hast nicht verdient, was du für mich leiden mußt.
Anselmo. (Zu Gaddo) Neue Wolken gehn in unsers Vaters Augen auf. Ich für ihn leiden? Ach, mit Wonne! mit Wonne! wenn nur er dann nicht litte! Nicht wahr, Gaddo, du wolltest auch für unsern Vater leiden? wolltest du?
Gaddo. O ja! viel lieber, als ihn so traurig sehn.
Anselmo. Und worüber so traurig? sind wir nicht hier bei dem besten Manne? Du auf seinem Schoße, ich in seinen Arm gelehnt? Wenn jemand sich zu beklagen hat, so ist's unsre Mutter –
Gaddo. Der der Mann mit dem traurigen Namen so unfreundlich begegnete –
Anselmo. Recht, daß er sie allein im Palaste zurückließ. Hier hätt er sie herschicken sollen; und wir wären eine Welt der Freude füreinander gewesen. Dies einzige ist's, glaube mir, Gaddo, denn was könnt es sonst sein? was unsern Vater so traurig macht. Husch! da kömmt Francesco. (Läuft ihm entgegen) O mein anmutiger Bruder! immer so heiter! so emporwallend! Dein Kommen ist mir erwünschter, als der jugendliche Morgen. Aber unser Vater ist traurig.
Francesco. (Leise zu Anselmo) Freue dich Anselmo: der Entwurf ist reif; und er soll ausgeführt werden.
Anselmo. Ist irgendein Beinbruch oder Armbruch oder so was damit verbunden?
Francesco. Nein, das ist eben das Schlimme, daß die Sache so gar leicht ist. Nicht die mindeste Gefahr, auf mein Wort.
Anselmo. Erkläre dich.
Francesco. Du hast die Öffnung gesehn –
Anselmo. Was? die Öffnung in der Spitze des Thurms? Du schwärmst Francesco!
Francesco. Haha! schwindelt dir so früh?
Anselmo. Die Öffnung, sagst du, oben an der Spitze des Thurms! Geh doch! geh! dieser Gedanke ist so erhaben, daß ich ihn dir nicht nachdenken kann: um desto mehr aber bewundre ich ihn.
Francesco. Schmeichler!
Anselmo. Ganz wider meine Absicht. Überdem getraut ich mir kaum, ein Bein hindurchzubringen.
Francesco. Nicht gestritten! Ich sage dir Bübchen, die Öffnung ist so groß, daß sie beide durchschlüpfen, Kopf und Arme hintendrein.
Anselmo. Und wie hast du das gemacht?
Francesco. Wie macht man's? Erst hab ich einen Stein gelöst, dann wieder einen, dann noch einen, und abermals einen gelöst: genug, Schwätzer, wenn du mir nicht glaubst, komm und sieh.
Anselmo. Dann springst du von oben mit einem Sprunge aufs Pflaster herunter! Patsch! war's nicht so?
Francesco. Nicht völlig so. Mit Absätzen spring ich, wie das Eichhörnchen vom Ahornbaum. Du hast's ja wohl gesehen.
Anselmo. Ich springe doch mit, Lieber? Nun du mir davon sprichst, wird's mir ja ganz warm im Kopfe. Nicht? ich springe doch mit, Francesco?
Francesco. Nicht doch! Du schreitest mit aller Gemächlichkeit zur Thurmtüre hinaus. Was ist begreiflicher, als daß ich die Thurmtüre öffne, wenn ich unten bin? Doch dies muß seine Zeit haben. Soviel verspreche ich, ehe der Morgen kömmt, seid ihr frei, frei, wie euch Gott erschaffen hat; oder ich heiße nicht Francesco.
Gaddo. (Horchend) Ach lieber Gott! dann wird gegessen werden!
Anselmo. (traurig) Und ich soll unten wie ein armseliger Tropf, zur Thurmtüre hinausschreiten? was sag ich schreiten? schleichen! Eher soll man mich bei den Haaren hinausschleppen! Merke dir's, Stolzer, ich springe!
Francesco. Tor, wird unser Vater nicht auch hinausschreiten?
Gaddo. (der seines Vaters Schoß verläßt, und Anselmo am Rock zupft) Sprich, daß du schreiten willst! Was ist daran gelegen? Geht's doch hinauswärts!
Ugolino. (auffahrend) Was habt ihr Kinder?
Francesco. Mein Vater, es findet sich im Thurm eine Öffnung – eine Öffnung – von der ich dein Urteil wissen möchte.
Ugolino. Der heftige SThurm, der über uns im Gewölke kracht, und die Spitze schüttelt, hat vermutlich СКАЧАТЬ