Narrenschwämme. Jochen Gartz
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Название: Narrenschwämme

Автор: Jochen Gartz

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

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isbn: 9783037884942

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      Durch die Entdeckung der Verwendung des Fliegenpilzes als psychotrope Substanz in Sibirien wurde auch auf die frühe Verwendung dieser Pilzart in Europa geschlossen. Tatsächlich existieren recht spärliche Zeugnisse aus dem Mittelalter über die verbreitete Kenntnis der Wirkung spezieller Pilze auf das menschliche Bewusstsein. Ich glaube aber, dass diese Berichte in der Vergangenheit oft willkürlich dem Fliegenpilz zugeordnet wurden, weil er die einzig bekannte psychotrope Art Europas war. Die spektakulären Halluzinosen durch den Verzehr dieser Spezies bei den sibirischen Stämmen traten in dieser eindrucksvollen Form bei den europäischen Intoxikationen nie auf. Es ist daher anzunehmen, dass die ausgeprägt halluzinatorischen Wirkungen einzelner Psilocybe-Arten und ihrer Verwandten in der Vergangenheit die Menschen Europas weitaus stärker beeindruckt haben als die oft an Delirien erinnernden Erscheinungen nach Verzehr des Fliegenpilzes mit ihrem meist auftretenden Bewusstseinsverlust und den starken körperlichen Nebenwirkungen. Diese Annahme wird auch durch analoge Ergebnisse der umfangreichen Feldforschung aus Mexiko unterstützt. Ich beziehe daher die folgenden Zeugnisse der Kenntnis psychotroper Pilze aus Europa eher auf die Psilocybe-Arten oder verwandte Spezies als auf den Fliegenpilz, ohne dass eine abschließende Bewertung heute noch möglich ist.

      Die Pilzverwendung spiegelt sich sogar noch in der Sagenwelt wieder. So wird darin über einen sonderbaren Giftpilz aus Wales mit dem eigenartigen Namen Bwyd Ellylon berichtet, den die Elfen als Leckerbissen verspeisen, wenn sie Geisterfeste feiern. Die Psilocybe semilanceata als wichtigster psilocybinhaltiger Pilz Europas wächst gerade in diesem Teil Großbritanniens zur Herbstzeit in Massen.

      G. Samorini verdanke ich den Hinweis, dass die Inquisition in den Alpentälern von Valcamonica, Valtrompia und Valtellina (Provinzen Brescia und Sandrio, Norditalien) besonders wütete. Viele Bücher berichten über die zahllosen Hexenverbrennungen in dieser Region, wobei die Treffen der Hexen am „Monte del Tonale“ in 2000 m Höhe in der Literatur am meisten erwähnt werden. Die Feldforschungen ergaben, dass die Nachtschattengewächse („Hexenkräuter“) in diesen Höhen nicht mehr wachsen; auch das Vorkommen des Fliegenpilzes ist selten. Die Psilocybe semilanceata findet man dagegen dort auf den Weiden im Herbst kiloweise. So erscheint es wahrscheinlich, dass die Pilzart in diesem historischen Rahmen eine wichtige Rolle als psychotropes Mittel gespielt hat (vgl. auch Abb. 33, S. 87). Interessanterweise sind – in Analogie zu den mittelalterlichen Berichten über die Hexenpraktiken – auch bei der Psilocybinwirkung Flugsensationen typisch.

       Nordische Berserkerwut

      Im Zuge der ideologischen Machtauseinandersetzung zwischen Christentum und übriggebliebenen Naturreligionen ging durch die Unterdrückung und Ausmerzung der Kulturträger viel ursprüngliches Wissen in Europa verloren, einschließlich der frühen Verwendung temporär bewusstseinsverändernder Pflanzen und Pilze. Auch die „Berserkerwut“ nordischer Krieger wurde von einigen Autoren dem Gebrauch des Fliegenpilzes zugeschrieben. In nordischen Berichten ist häufig die Rede von „Augenverblendungen“ (d. h. Halluzinationen). Nachdem das „Berserker-Gehen“ vom nordischen Recht verfemt worden war, verschwand es abrupt im 12. Jahrhundert. Saxo Grammaticus vermutete etwa zur gleichen Zeit, dass die Berserker Zaubertränke verwendet hätten.

      Es wäre ebenso gut möglich, dass die in Norwegen sehr häufige Psilocybe semilanceata das früher verwendete Halluzinogen darstellte.

      Beide Pilzarten erzeugen im Allgemeinen keine „Wut“. Es wäre jedoch in dem Zusammenhang möglich, dass schon in dieser Zeit eine Verketzerung und Falschdarstellung der Pilzwirkung bei der Bevölkerung einsetzte, um einen Grund für neue Gesetze zu schaffen und damit dieses unerwünschte heidnische Brauchtum schließlich auszumerzen.

      Jedenfalls zeigen Felszeichnungen aus Nordeuropa, die noch 2000 Jahre älter sind als die Berichte über die Berserker, sowie Bronzegefäße aus der gleichen Zeit Pilzmotive, wobei die Darstellung zum Teil zusammen mit Zoomorphen erfolgte. Diese Anzeichen für einen Pilzkult, der in der frühen Eisenzeit wie viele andere Lebensgewohnheiten der damaligen Bevölkerung offensichtlich ausstarb, deuten auf ein Kontinuum der Anwendung psychotroper Pilze in Nordeuropa hin.

      Ein alter schwedischer Volksbrauch, der bis in die Neuzeit praktiziert wurde, dokumentiert ebenfalls, dass wahrscheinlich dort eine frühe Kenntnis über Pilze bestand, die „Geistersehen“ hervorriefen. Während des Festes der Sommerfeuer zur Sonnenwende warfen die Teilnehmer eine heute nicht mehr bekannte Giftpilzart („Bäran“) in die Flammen, um der Macht der Kobolde und anderer böser Geister zu begegnen. Der Pilz erscheint hier als Materialisierung von Schadensgeistern. Durch seine Vernichtung werden diese ebenfalls entmachtet. Uralte Wissensreste über die Psychoaktivität einzelner Spezies könnte die Ursache für diese spätere Annahme gewesen sein. Aus dem ausgehenden Mittelalter existieren einige schriftliche Zeugnisse über psychotrope Arten, die aus verschiedenen Ländern stammen, interessanterweise aber die gleiche Wirkungsrichtung betonen.

       Liebestränke aus bolond gomba

      So fand der große Arzt und Botaniker Clusius (1525–1609) in Ungarn den „bolond gomba“ einen Pilz mit dem deutschen Namen „Narrenschwamm“. Dieser wurde in ländlichen Gebieten gebraucht und vom weisen Mann (javas asszony) zu Liebestränken verarbeitet. Der Narrenschwamm wird in dieser Zeit auch aus der Slowakei erwähnt. In den Versen des polnischen Dichters Waclav Potocki (1625–1699) kommt dieser Pilz ebenfalls vor; es wird von seiner Eigenschaft gesprochen, „töricht zu machen wie Opium“.

      John Parkinson spricht in seinem Theatricum Botanicum (1640) vom analogen „foolish mushroom“, den er aus England näher beschreibt. Über geistige Verwirrung gibt es in Österreich die volkstümliche Bezeichnung „Er hat verrückte Schwammerln gegessen“.

      Diese verstreuten geschichtlichen Zeugnisse lassen keine eindeutige Bestimmung der verwendeten Pilzarten zu. Als Spezies kämen entsprechend ihres Vorkommens vor allem Psilocybe semilanceata und Psilocybe bohemica (S. 20 ff.) in Betracht. Auffällig ist, dass diese Bezeichnungen nur einen Aspekt der Eigenschaften der Pilze herausgreifen, die schizophrenartige Wirkung, die manchmal ausgeprägt sein kann. Niemals kommt in den Berichten eine besondere Wertschätzung im Sinne der mexikanischen Indianer („Teonanacatl“ = Fleisch der Götter) zum Ausdruck.

       Zwischen Bewunderung und Furcht

      Stets wurden die Pilzwirkungen mit den Symptomen von Geisteskrankheiten verglichen. Wahrscheinlich lässt sich die unterschiedliche Einschätzung erklären, wenn man die von R. G. Wasson und seiner Frau erstmalig definierten Begriffe Mykophilie und Mykophobie verwendet. Danach teilte er das traditionelle Verhältnis der Völker zu Pilzen in zwei Gruppen ein, wobei einer ausgesprochenen englischen Pilzabneigung (Mykophobie) die Pilzliebe (Mykophilie) z. B. in den slawischen Ländern gegenübersteht. Die Gründe für diese unterschiedliche Entwicklung liegen im Dunkel der Geschichte.

      Es könnte eine frühe Tabuisierung psychotroper Pilze als Auslöser für ein späteres mykophobes Verhalten gedient haben. Andererseits könnte bei der Erschließung der Pilze als Nahrungsquelle vor Tausenden von Jahren eine auffällige Häufung tödlicher Vergiftungsfälle in mehreren Landstrichen aufgetreten sein, die eine starke und dauerhafte Abneigung der Bevölkerung gegen die gesamte Mykoflora hervorgerufen hat.

      Die Mykophilie im alten Mexiko war jedenfalls verbunden mit einer gesellschaftlichen Akzeptanz der Wirkung der Psilocybe-Arten, ihrer festen Einbindung in Riten, ohne dass eine Beziehung zu den ebenfalls dort vorkommenden echten Geisteskrankheiten gezogen wurde. Die Indianer dieses Landes sind interessanterweise auch die einzigen Amerikas, die traditionell Speisepilze in großem Umfang verwenden.

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