Handbuch zu Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Bernd-Jürgen Fischer
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СКАЧАТЬ Rachel de Brancovan oder Hélène Bibesco abgelauscht haben.

      Enger noch als Prousts Verhältnis zu Hélène, deren Charme ihn bezauberte, war das zu Anna de Noailles, deren Dichtungen er bewunderte und deren Gedichtband Les Éblouissements er 1907 in der Literaturbeilage des Figaro in den höchsten Tönen lobend besprach. Umgekehrt bezeugt ein umfangreicher Briefwechsel das lebhafte Interesse, das Anna an Prousts Arbeit schon während der Entstehung von Contre Saint-Beuve und später an der Recherche nahm. Über Anna de Noailles lernte Proust 1902 den halbjüdischen Duc Armand de Guiche (1879–1962) kennen, mit dem er sich häufig in Restaurants traf und der später als Physiker reüssierte, sowie den Duc Louis d’Albufera (1877–1953), genannt »Albu«, der sich vor allem für Autos, Reisen und Frauen interessierte, aber dennoch an Proust hing, bis er nach dem Erscheinen von Sodome et Gomorrhe 1922 sich und seine Geliebte Louisa de Mornand in Saint-Loup und Rachel wiederzuerkennen meinte. Prousts Versöhnungsversuchen war kein Erfolg beschieden.

      1889, während seines Militärdienstes, wurde Proust in den berühmten Salon der Bankierstochter Léontine Arman de Caillavet (1844–1910) eingeführt – von wem, ist nicht bekannt –, in dem »Tout Paris« verkehrte (Maler, Politiker, Schauspieler, Schriftsteller, jedoch keine Musiker), freundete sich mit dem Sohn Gaston (1869–1915) an, der Redakteur des Figaro war und im Ersten Weltkrieg fiel, und lernte endlich einen seit früher Jugend glühend verehrten Autor kennen, Anatole France (1844–1924), den Geliebten von Madame Arman, dem Proust im ersten Teil des zweiten Bandes in der Person Bergottes ein liebevoll-ironisches Denkmal errichtete. Anatole France schrieb 1896 zwar das Vorwort zu Prousts Les Plaisirs et le Jours, schien aber kein tiefergehendes Interesse an dieser Bekanntschaft zu haben.

      André Gide (1869–1951) lernte Proust 1891 durch seinen Studienkollegen Gabriel Trarieux kennen. Gide arbeitete ab 1893 bei der avantgardistischen Literaturzeitschrift La Revue blanche und leitete ab 1911 mit anderen die Nouvelle Revue Française, eine Funktion, in der er noch eine besondere Rolle für die Recherche spielen sollte; dazu s. weiter unten den Abschnitt zur Erstausgabe (S. 71). Die Beziehung zwischen dem heimlichen Homosexuellen Proust und dem bekennenden Homosexuellen Gide beschränkte sich bis 1921 auf das Geschäftliche, bis die Publikation von Sodome et ­Gomorrhe I das gemeinsame Interessengebiet offenbarte. Von da an besuchte Gide Proust öfter, um seine Darstellung des Themas mit ihm zu diskutieren. Gide seinerseits hatte eine Verteidigungsschrift der Homosexualität verfasst, betitelt Corydon, die er 1920 privat drucken ließ (publiziert 1924).

      Eine wichtige Bekanntschaft schließlich, die einmal nicht über Dritte vermittelt wurde, ist die mit den Kunstmäzenen Violet (1874–1962) und Sydney Schiff (1868–1944). Violet, geb. Beddington, war eine englische Übersetzerin französischer Literatur, die der englische Romanautor Sydney Schiff 1911 in zweiter Ehe heiratete. 1919 schrieb Sydney an Proust, um ihm seine Bewunderung für Swann auszudrücken, widmete ihm seinen Roman Richard Kurt und bat ihn, in seiner Literaturzeitschrift Art and Letters einen Auszug aus dem zweiten Band vorabdrucken zu dürfen, was Proust aber so kurz vor dessen Erscheinen ablehnte. Die Korrespondenz zwischen quasi Unbekannten, die sich – soweit erhalten – wie ein Briefwechsel zwischen uralten Freunden liest, riss bis zu Prousts Tod nicht ab. In der Spargelzeit 1919 begegneten sie sich schließlich persönlich in Paris und diskutierten eine Nacht hindurch in Prousts Wohnung. Erstaunlicherweise klärte sich dennoch nicht der Irrtum Prousts auf, dass »Stephen Hudson«, der Name, unter dem Richard Kurt erschienen war, das Pseudonym von Violet und nicht von Sydney Schiff sei, was Prousts Briefen an die Schiffs gelegentlich eine unfreiwillige Komik verleiht. Im Mai 1920 und im Mai 1922 kamen sie noch einmal in Paris zusammen, wenn auch nur kurz. Das Treffen 1920 erfolgte anlässlich eines Diners, das die Schiffs zu Ehren Strawinskys nach der Uraufführung von dessen Oper Le Renard gaben; bei dieser Gelegenheit war auch das legendäre Schweigen zwischen Proust (im Pelz) und Joyce (im Vollrausch) zu hören, als die beiden Großmeister der Sprache einander nichts zu sagen wussten.9

      In der folgenden Übersicht über die wichtigsten Lebens- und Publikationsdaten sind am Ende jedes Jahres-Absatzes die Veröffentlichungen aus dem jeweiligen Jahr aufgelistet.

      1871 10. Juli: Geburt von Valentin Louis Georges Eugène Marcel Proust.

      1873 24. Mai: Geburt von Marcel Prousts einzigem Geschwister Robert.

      1878 Osterferien in Illiers.

      1881 Proust hat seinen ersten Asthmaanfall. Im Herbst der erste Theaterbesuch.

      1882 Oktober: Eintritt in die Quinta des Lycée Condorcet.

      1886 Proust beantwortet das erste Mal einen der berühmten Fragebögen (s. unten, S. 52–56) und liest Augustin Thierrys Aux temps mérovingiens. Im September Aufenthalt in Illiers. Oktober: Er muss die Sekunda wiederholen, weil er im Vorjahr zu lange gefehlt hat.

      1887 Proust spielt mit Marie de Bérnadaky in den Champs-Élysées. Im Oktober Versetzung in die Unterprima, wo er einen Aufsatz über Racine verfasst: »Racine leidenschaftlich zu lieben wäre ganz einfach die tiefste, zärtlichste, schmerzlichste, die aufrichtigste Empfindung …« Zusammen mit Daniel Halévy gründet er die monatliche, hektographierte Schülerzeitschrift Le Lundi. Revue artistique et litteraire, von der dreizehn Nummern erscheinen.

      1888 Im Oktober Versetzung in die Philosophieklasse (Oberprima). Proust liest Barrès, Renan, Leconte de Lisle, Loti und belegt den Philosophie-Kurs von Alphonse Darlu, mit dem er auch später noch in Verbindung blieb, und schreibt im Unterricht Liebesbriefe an seine Klassenkameraden Jacques ­Bizet und Daniel Halévy.

      1889 Ernest Renan widmet ihm sein Buch La vie de Jésus. Seine Großmutter väterlicherseits stirbt. Im Juli Gymnasial-Abschluss (»bachelier ès lettres«). Ab November Wehrdienst in Orléans – den Proust »freiwillig« leistete, um den unfreiwilligen zu vermeiden.

      1890 Im Januar stirbt seine Großmutter mütterlicherseits an Ur­ämie. Im November Beendigung des Wehrdienstes. Proust schreibt sich in die Faculté de droit de Paris und in die École libre des sciences politiques ein. Er lernt Maupassant kennen.

      1891 Urlaube in Cabourg und in Trouville. Er lernt Oscar Wilde, André Gide und Maurice Barrès kennen und schreibt Betrachtungen und Novellen für Le Mensuel.

      1892 Proust und seine Schulfreunde Fernand Gregh, Robert Dreyfus, Daniel Halévy und Horace Finaly gründen die literarische Zeitschrift Le Banquet, in der er im wesentlichen die Texte aus der späteren Sammlung Les Plaisirs et les Jours (1896) publiziert. Er beantwortet den zweiten Fragebogen (s. unten, S. 52–56); im Juli fertigt Jacques-Émile Blanche sein berühmtes Porträt an.

      1893 Veröffentlichungen in Le Banquet, das allerdings im gleichen Jahr eingestellt wird. Proust lernt Robert de Montesquiou kennen und beginnt seine Mitarbeit bei der Revue blanche. L’Indifférent, ein entfernter Vorläufer zu Un amour de Swann, entsteht in dieser Zeit, wird aber erst 1896 veröffentlicht. Urlaube in Sankt Moritz, Évian und Trouville. Er schließt sein Jura-Studium erfolgreich ab (»licence en droit«).

      – Violante ou la mondanité, in Le Banquet.

      – La Conférence parlementaire de la rue Serpente, in Le Banquet.

      – Mondanité de Bouvard et Pécuchet, in La Revue blanche.

      – Mélancholique villégiature de Mme de Breyves, in La Revue blanche.

      – Avant la nuit, in La Revue blanche.

      – Souvenir, in La Revue blanche.

      1894 Beginn der Dreyfus-Affäre. Proust lernt Reynaldo Hahn und Lucien Daudet kennen.

      – Mensonges, Gedicht mit Musik von Léon Delafosse, bei Heugel.

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