Handbuch zu Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Bernd-Jürgen Fischer
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СКАЧАТЬ war den Quellen zufolge Marie Bénardaky (1874–1949), zweifellos ein Vorbild für Gilberte, die in der Nähe der Champs-Élysées (Rue de Chaillot) wohnte, wo er ihr 1886 begegnete, mit der er dort Barlauf spielte und die er in einer Widmung von 1918 für Jacques de Lacretelle als »eine der beiden großen Lieben meines Lebens« bezeichnete – ohne allerdings die zweite zu benennen. Aber Marie schien nicht viel von ihm wissen zu wollen.

      Vermutlich im Frühjahr 1888 schrieb Proust einen Brief an seinen Schulfreund Jacques Bizet, der darauf schließen lässt, dass Proust ihm zuvor einen Antrag gemacht hatte, der Jacques wohl nicht willkommen war (»Ich finde es traurig, die Frucht nicht zu pflücken, die wir schon bald nicht mehr werden pflücken können. Dann wäre es schon … die verbotene Frucht. Aber jedenfalls findest Du sie ja jetzt schon vergiftet«; Corr. I, S. 104). Jacques wurde später Taxiunternehmer in Monaco und vermittelte Proust den Fahrer Alfred Agostinelli, der später noch eine erhebliche Rolle in Prousts Leben spielte.

      Im Oktober 1888 reichte Proust bei der von ihm mitgegründeten Schülerzeitschrift La Revue lilas ein kräftig homoerotisch getöntes Prosagedicht Glaukos ein (Übers. in: Nachgelassenes), das als zu skandalös abgewiesen wurde und Daniel Halévy gemeint haben dürfte: Man muss nicht nur die Bravour bewundern, mit der der damals siebzehnjährige Schüler die übliche Verstellung verweigerte, sondern auch die Gelassenheit, mit der die Adressaten die offenbar unerwünschten Anträge auf sich beruhen ließen.

      Eine Freundschaft, mit der Proust offenbar große Hoffnungen verband, war die zu Willie Heath, einem jungen Engländer, den Proust im Frühjahr 1893 im Bois de Boulogne kennenlernte und der bereits ein halbes Jahr später, am 3. Oktober 1893, an Ruhr starb. In der Widmung »Meinem Freund Willie Heath« von Les Plaisirs et les Jours schreibt Proust: »Wir träumten davon, wir hatten uns geradezu fest vorgenommen, immer inniger in einem Kreis großherziger, auserlesener Frauen und Männer zusammenzuleben, von Dummheit, Laster und Bosheit weit genug entfernt, um uns vor den Pfeilen ihrer Vulgarität sicher zu fühlen.«

      Im Herbst 1901 lernte Proust den Comte Bertrand de Salignac-Fénelon (1878–1914) durch den gemeinsamen Bekannten Antoine Bibesco kennen. Offenbar entwickelt sich zwischen den beiden schnell ein enges Freundschaftsgefühl: Die Szene aus Guermantes, in der Saint-Loup über die Bänke im Restaurant steigt, um Marcel einen Mantel zu besorgen, hat ihr Vorbild im Restaurant Larue, wo Bertrand sich entsprechend verhielt. 1902 jedoch kam das Erwachen: Die beiden unternahmen eine gemeinsame Reise durch Holland, die Proust sich wohl recht sentimental vorgestellt hatte, von der er jedoch äußerst deprimiert an seine Mutter berichtete. Fénelon ging kurz darauf als Attaché nach Konstantinopel, meldete sich dann als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg und fand 1914 den Tod. Proust betrauerte ihn zutiefst.

      Alfred Agostinelli (1888–1914) schließlich, der letzte in diesem Reigen tragischer Liebesaffären, war Proust von seinem Kollegen Odilon Albaret, dem Gatten von Prousts Haushälterin Céleste Albaret und Chauffeur bei Jacques Bizets monegassischem Taxi- und Mietwagen-Unternehmen, als Fahrer vermittelt worden. 1907 und 1908 machten Proust und Agostinelli zahlreiche Ausflüge vor allem in die Normandie und die Bretagne, die in Prousts Figaro-Artikel »Reiseeindrücke im Automobil«4 ihren Niederschlag gefunden haben. Im Sommer 1913 stellte Proust Agostinelli abermals ein, diesmal als Sekretär, der seine Manuskripte abtippen sollte; Agostinelli wohnte in dieser Zeit zusammen mit seiner (übrigens als hässlich verschrienen) angeblichen Frau Anna Square in der Wohnung Prousts, der zudem Anna eine Beschäftigung am Théâtre des Variétés beschaffen sollte. Im Dezember jedoch kehrten die beiden Knall auf Fall Proust und Paris den Rücken, und Alfred meldete sich als »Marcel Swann« bei einer Pilotenschule in Antibes an. Proust setzte alle Hebel in Bewegung, um ihn zur Rückkehr zu bewegen, aber vergebens. Nachdem Agostinelli mit 26 Jahren seinen Pilotenschein erworben hatte, versprach Proust, ihm ein Flugzeug zu kaufen, in das Verse aus Baudelaires Le Cygne eingraviert werden sollten. Bevor es dazu kommen konnte, stürzte er jedoch schon bei seinem zweiten selbständigen Flug ab. Seine von den Fischen übel zugerichtete Leiche wurde erst eine Woche später gefunden. Proust war von Alfreds Tod so sehr erschüttert, dass er sich mit Selbstmordgedanken trug. An André Gide schrieb er: das »Maß ist übervoll geworden durch den Tod eines jungen Freundes, den ich wohl mehr geliebt haben mag als alle anderen« (Corr. XIII, S. 245).

      Als Lebensgefährte Prousts wird häufig Reynaldo Hahn (s. unten) genannt, und sicherlich war diese lebenslange Freundschaft von zärtlicher Zuneigung geprägt, wie die etwas infantile Turtel-Sprache der Briefe Prousts an Hahn ausweist. Die frühen Briefe geben allerdings Anlass zu der Vermutung, dass die Beziehung zumindest in ihrer Anfangsphase auch sexuelle Aspekte aufwies. So schreibt Proust am 16. Oktober 1894 in wohl eindeutig zweideutiger Absicht an Hahn: »Ihre kleine Gans, die dabei ist, im Stall zu spielen, trägt mir ihre ehrerbietigsten Grüße an den kleinen Meister auf, als dessen respektvolle Diener wir uns zu bezeichnen wagen.« Über die körperlichen Aspekte von Prousts Liebesleben gehen allerhand Gerüchte um, denen Céleste Albaret in ihren Erinnerungen allerdings energisch entgegentritt. Unbestritten sind aber wohl zahlreiche Ausflüge in das Männerbordell, das Albert de Cuziat in der Rue de l’Arcade seit 1916 betrieb. Die dort gesammelten Erfahrungen haben sich – eventuell nur zum Teil – in dem Hotel Jupiens niedergeschlagen, in dem Marcel in Le Temps retrouvé vorgeblich unwissentlich landet. Proust war bereits seit 1911 mit de Cuziat gut bekannt, dessen umfangreiche Kenntnisse aristokratischer Genealogien er schätzte.

      Etwas unklar ist in dieser Hinsicht Prousts Verhältnis zu der Schauspielerin Louisa de Mornand, der Geliebten seines Freundes Louis d’Albufera. Louis hatte Proust offenbar in Verdacht, mit Loui­sa angebändelt zu haben, was dieser aber im Juni 1903 in einem Gedicht an Albufera (in: Cahiers Marcel Proust 10, S. 141–143) weit von sich weist. Ein Gedicht an Louisa selbst vom April 1904 beweist allerdings eine verdächtige Vertrautheit Prousts mit ihrem Boudoir (siehe Cahiers Marcel Proust 10, S. 127 f.) – ein Verdacht, den sie 1928 in einem Interview mit der Zeitschrift Candide allem Anschein nach bestätigt –, wogegen dann allerdings wieder Prousts Brief an Louisa vom 9. Juli 1903 zu sprechen scheint: »glauben Sie nicht, dass dies eine indiskrete, anmaßende und fehlgeleitete Art sei, Ihnen den Hof zu machen. Nicht nur, dass das sinnlos wäre, denn Sie würden mich schnellstens davonjagen, ich würde auch lieber eher sterben, als die Augen zu der bewunderten Frau eines Freundes zu erheben …« (Corr. III, S. 366); aber danach mag ja noch viel passiert sein!

      Nicht ganz ohne Grund hatte André Gide Proust als einen »mondain amateur« eingeschätzt (Brief vom 11. 1. 1914, s. auch unten): Schulfreunde führten ihn in die Salons ihrer Mütter ein, wo er offenbar mühelos neue Freundschaften schloss, die ihn in weitere Salons einführten, und so weiter. Der Kreis der Freunde und Bekannten wuchs damit ins Uferlose, so dass hier nur die wichtigsten Persönlichkeiten hervorgehoben werden können; einen deutlich umfangreicheren Überblick, der aber trotz der 188 Einträge noch immer eine Auswahl darstellt, gibt Michel-Thiriets Marcel Proust Lexikon. Für das volle Spektrum muss auf Tadiés Biographie verwiesen werden.

      Ein entscheidender Schritt in Prousts Leben war sicherlich der in den exklusiven Salon der Madame Madeleine Lemaire (1845–1928) in der Rue de Monceau, denn dort schloss er 1893 engere Bekanntschaft mit Robert de Montesquiou und 1894 mit Reynaldo Hahn, den beiden zentralen Personen in seinem geistigen Leben (Montesquiou hatte bereits bei Prousts Eltern gesellschaftlich verkehrt). Madame Lemaire hatte Proust vermutlich im Salon der ­Madame Straus kennengelernt, der Mutter seines Schulfreundes ­Jacques Bizet. Madame Lemaire war Malerin und deshalb mit der Kunstszene wohlvertraut, und zudem eine Freundin der Princesse Mathilde, die ihr den Zugang zu höchsten Adelskreisen eröffnete.

      Comte Robert de Montesquiou-Fezensac (1855–1921) war ein unvergleichlicher Repräsentant dieser Salon-Szene; er entstammte einem alten, vermögenden Adelsgeschlecht und kehrte dieses auch gern heraus; ein Dandy und Snob, aber gut aussehend und intelligent, stellte er eine Art Leitfigur für die Jugend des Adels und des gehobenen Bürgertums dar. Proust bewunderte vor allem sein sicheres künstlerisches Urteil und apostrophierte ihn in einer Rezension als einen »Lehrer des Schönen«; seine symbolistischen Gedichte kursierten in den mondänen Kreisen, fanden СКАЧАТЬ