Название: Thomas More und seine Utopie
Автор: Karl Kautsky
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783966511803
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An Stelle der Fesselung an die Scholle setzte der Handel einen Kosmopolitismus, der sich überall wohlfühlte – wo es etwas zu verdienen gab. Gleichzeitig aber setzte er der Universalität der Kirche entgegen die Nationalität. Der Welthandel erweiterte den Gesichtskreis der abendländischen Völker weit über den Bereich der katholischen Kirche hinaus und verengte ihn gleichzeitig auf das Gebiet der eigenen Nation.
Das klingt paradox, ist aber leicht zu erklären. Die kleinen, selbstgenügsamen Gemeinwesen des Mittelalters standen nur wenig, wenn überhaupt, in einem wirtschaftlichen Gegensatz zueinander. Innerhalb dieser Gemeinwesen gab es wohl Gegensätze, aber die Außenwelt war ihnen ziemlich gleichgültig, solange sie von ihr in Ruhe gelassen wurden. Für den Großkaufmann ist es dagegen nicht gleichgültig, welche Rolle das Gemeinwesen, dem er angehört, im Ausland spielt. Der Handelsprofit entspringt daraus, daß man so billig als möglich kauft, so teuer als möglich verkauft. Der Profit hängt viel davon ab, in welchem Machtverhältnis Käufer und Verkäufer zueinander stehen. Am profitabelsten ist es natürlich, wenn man sich in der angenehmen Lage befindet, einem Warenbesitzer seine Waren ohne jegliche Entschädigung wegnehmen zu können. In der Tat ist der Handel in seinen Anfangen sehr oft gleichbedeutend mit Seeraub. Das zeigen uns nicht bloß die homerischen Gedichte. Wir werden noch im dritten Abschnitt sehen, daß auch im England des sechzehnten Jahrhunderts der Seeraub eine beliebte Form »ursprünglicher Akkumulation« des Kapitals war und deshalb Staatshilfe genoß.
Mit dem Handel entsteht aber auch die Konkurrenz innerhalb der Reihen der Käufer wie der Verkäufer. Auf dem auswärtigen Markte werden diese Gegensätze zu nationalen Gegensätzen. Der Interessengegensatz zum Beispiel zwischen dem genuesischen Käufer und dem griechischen Verkäufer in Konstantinopel wurde zu einem nationalen Gegensatz. Auf der anderen Seite wurde der Interessengegensatz zwischen genuesischen und venetianischen Kaufleuten auf demselben Markte ebenfalls zu einem nationalen Gegensatz. Je mächtiger Genua gegenüber Venedig sowohl als dem griechischen Reiche war, desto bessere Handelsprivilegien durfte es in Konstantinopel erwarten. Je größer, je mächtiger das Vaterland, die Nation, desto größer der Profit. Heute noch ist der Chauvinismus nirgends größer, als unter den Kaufleuten im Ausland, und heute noch gilt die »Ehre der Nation« engagiert, wenn es einem »nationalen« Kaufmann im Ausland erschwert wird, die Leute dort übers Ohr zu hauen.
Durch die Entwicklung des Welthandels entstand somit ein mächtiges ökonomisches Interesse, welches das bis dahin lockere Gefüge der Staaten festigte und konsolidierte, aber auch ihre Abschließung voneinander und damit die Spaltung der Christenheit in mehrere schroff voneinander gesonderte Nationen begünstigte.
Der Binnenhandel trug, nachdem der Welthandel erstanden war, nicht weniger zur Erstarkung der Nationalstaaten bei.
Der Handel strebt naturgemäß danach, sich in gewissen Stapelplätzen zu konzentrieren, Knotenpunkten, in denen die Straßen eines größeren Gebiets zusammenlaufen. Dort sammeln sich die Waren des Auslandes, um von diesem Zentralpunkt aus über das ganze Land durch ein weitverzweigtes Netz von Straßen und Wegen verbreitet zu werden. In demselben Knotenpunkt sammeln sich die Waren des Inlandes, um von da nach dem Ausland zu wandern. Das ganze Gebiet, das ein solcher Stapelplatz beherrscht, wird ein wirtschaftlicher Organismus, dessen Zusammenhang um so enger, dessen Abhängigkeit vom Zentralpunkt um so stärker wird, je mehr die Warenproduktion sich entwickelt und die Produktion für den Selbstgebrauch verdrängt.
Aus allen Gegenden des vom Zentralpunkt beherrschten Gebiets strömen die Menschen in jenem zusammen; die einen, um dort zu bleiben, die anderen, um nach verrichteten Geschäften wieder heimzukehren. Der Zentralpunkt wächst, er wird zu einer Großstadt, in der sich nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das davon abhängige geistige Leben des von ihm beherrschten Landes konzentriert. Die Sprache der Stadt wird die Sprache der Kaufleute und der Gebildeten. Sie fängt an, das Lateinische zu verdrängen und Schriftsprache zu werden. Sie fängt aber auch an, die bäuerlichen Dialekte zu verdrängen: eine Nationalsprache bildet sich.
Die Staatsverwaltung paßt sich der ökonomischen Organisation an. Auch sie wird zentralisiert, die politische Zentralgewalt nimmt ihren Sitz in dem Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens, und dieser wird zur Hauptstadt des Landes, das er jetzt nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch beherrscht.
So bildete die ökonomische Entwicklung den modernen Staat, den Nationalstaat mit einer einheitlichen Sprache, einer zentralisierten Verwaltung, einer Hauptstadt.
Dieser Entwicklungsgang ist vielfach heute noch nicht abgeschlossen; er wurde mehrfach durchkreuzt, aber seine Richtung ist bereits am Ende des fünfzehnten und Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in den Staaten Westeuropas deutlich zu erkennen, und vielleicht gerade deswegen um so deutlicher, weil der Feudalismus damals noch das ökonomische Leben und, kraft der Tradition, in noch größerem Maße die Formen des geistigen Lebens stark beeinflußte. Was sich einige Menschenalter später von selbst verstand, hatte damals noch sein »Recht auf Existenz« zu erweisen und ebenso die Hinfälligkeit des Alten, das es vorfand. Die neue ökonomische, politische und geistige Richtung mußte sich Bahn brechen durch das Bestehende, sie hatte polemisch aufzutreten und deutete daher vielfach ihr Ziel schärfer an als im folgenden Jahrhundert.
Es ist einleuchtend, daß der eben geschilderte Entwicklungsprozeß dem Königtum, oder besser gesagt, der Gewalt des Landesherrn überhaupt förderlich sein mußte überall dort, wo diese noch einen Rest von Kraft bewahrt hatte. Es war natürlich, daß die neue politische Zentralgewalt sich um die Person des Landesherrn kristallisierte, daß er die Spitze der zentralisierten Verwaltung und Armee bildete. Seine Interessen und die Interessen des Handels waren die gleichen. Dieser brauchte einen zuverlässigen Feldherrn und eine starke Armee, die entsprechend dem Charakter der ökonomischen Macht, deren Interessen sie diente, für Geld gemietet war – ein Söldnerheer gegenüber den Gefolgschaften und Aufgeboten des feudalen Grundbesitzes. Der Handel bedurfte der Armee zur Wahrung seiner Interessen nach außen wie nach innen: zur Niederwerfung von konkurrierenden Nationen, zur Eroberung von Märkten, zur Sprengung der Schranken, welche die kleinen Gemeinwesen innerhalb des Staates dem freien Handel entgegensetzten, zur Handhabung der Straßenpolizei gegenüber den großen und kleinen Feudalherren, die dem Eigentumsrecht, das der Handel proklamierte, eine kecke Leugnung, und nicht bloß eine theoretische, entgegensetzten.
Mit dem internationalen Verkehr wuchsen auch die Anlässe zu Reibungen zwischen den verschiedenen Nationen. Die Handelskriege wurden immer häufiger und heftiger. Jeder Krieg aber vermehrte die Gewalt des Landesfürsten und machte sie immer absoluter.
Wo es an einem legitimen, das heißt herkömmlichen Fürstentum fehlte, dem diese Entwicklung hätte zugute kommen können, führte sie oft zum Absolutismus der Führer der Söldnerscharen, deren die Staaten bedurften. So in verschiedenen Republiken Norditaliens.
Aber das neue Staatswesen bedurfte des Fürsten nicht nur als obersten Kriegsherrn. Es bedurfte seiner auch als des Herrn der Staatsverwaltung. Der feudale, partikularistische Verwaltungsapparat war im Zusammenbrechen, aber der neue, zentralistische Verwaltungsmechanismus, die Bureaukratie, war erst in den Anfängen. Der politische Zentralismus, der für die Warenproduktion mit entwickeltem Handel an der Schwelle der kapitalistischen Produktionsweise eine ökonomische Notwendigkeit war, um die ökonomische Zentralisation zu fördern, wie er umgekehrt durch diese bedingt und gefördert wurde, dieser Zentralismus bedurfte in seinen Anfängen einer persönlichen Spitze, die kräftig genug war, um die Einheit der Verwaltung gegenüber den auseinanderstrebenden Elementen, namentlich des Adels, aufrecht zu halten. Diese Kraft besaß nur der Herr der Armee. СКАЧАТЬ