Название: Gesundheit - Begriff, Phänomen, Konstrukt
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Theologisch-praktische Quartalschrift
isbn: 9783791762180
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Frankl bestätigte inmitten tragischster Zustände die Thesen der Logotherapie und Existenzanalyse, die er noch vor seiner Deportation aufstellte, und entwickelte seine Theorie bis zum Tod des Menschen weiter.
1.3 Motivationstheorie der Logotherapie
Die Unterschiede der drei Wiener Richtungen der Psychotherapie liegen nach Viktor Frankl primär in ihrer Motivationstheorie sowie in ihrem Menschenbild. Was die Motivationstheorie anbelangt, definiert Sigmund Freud die Grundmotivation des Menschen als Wille zur Lust und Viktor Adler als Wille zur Macht. Nach Viktor Frankl ist jedoch der Wille zum Sinn die Urmotivation des Menschen.4 Freud sieht im Menschen ein sich abreagierendes Wesen, das sich der Wirklichkeit anpassen muss, um gesund zu bleiben. Adler definiert den Menschen als ein reagierendes oder kompensierendes Wesen, das sich gestalten will, um sich zu behaupten. Bei Frankl ist der Mensch ein agierendes Wesen, das in der Wirklichkeit Wertmöglichkeiten erkennt und erfüllt, um Sinn zu finden. Er definiert den locus of power des Menschen in seiner Sinnorientierung: „Es wird nicht einfach eine Figur wahrgenommen, die uns vor einem Hintergrund in die Augen springt, sondern bei der Sinn-Wahrnehmung handelt es sich um die Entdeckung einer Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit. Und diese Möglichkeit ist jeweils einmalig. Sie ist vergänglich. Aber auch nur sie ist vergänglich. Ist eine Sinnmöglichkeit einmal verwirklicht, ist der Sinn einmal erfüllt, so ist er es nämlich ein für allemal.“5
1.4 Das Menschenbild der Logotherapie
Die Logotherapie und Existenzanalyse arbeitet aufgrund eines dreidimensionalen Menschenbildes, das im Konzept der Dimensionalontologie vorgelegt wird. Neben eine somatische und psychische Dimension tritt hier die Dimension des Geistigen im Menschen, die das eigentlich Menschliche ausmacht.6 Menschliche Existenz bedeutet daher auch immer, aus sich selbst heraus- und sich selbst gegenübertreten zu können, „wobei der Mensch aus der Ebene des Leiblich-Seelischen heraustritt und durch den Raum des Geistigen hindurch zu sich selbst kommt“7. Frankl sieht den Schlüssel der Bewahrung und der Rettung der anthropologischen Einheit und Ganzheit des Menschen in der Dimensionalontologie. Darin löst sich nämlich der Widerspruch dieser verschiedenen und doch einheitlichen Wirklichkeiten der menschlichen Existenz auf.8 Bei dieser anthropologischen Einheit handelt es sich um eine ontologische Differenz, wobei die Person, die „eine Macht, eine Wirkkraft, ein Vermögen in sich trägt, wodurch sie ein immerfort Handelndes ist“, und die „nicht der Kausaldetermination untersteht“, die Erscheinungsform des Geistigen ausmacht.9 In der existenziellen Dynamik der geistigen Person kann von einem qualitativen oder gesunden Sein gesprochen werden, da das menschliche Sein sich in dieser Dynamik nicht als ein faktisches, sondern als ein fakultatives Sein manifestiert, und zwar nicht als ein Nun-einmal-so-und-nicht-anders-sein-Müssen, als welches der neurotische Mensch sein eigenes So-sein missversteht, sondern als ein Immer-auch-anders-werden-Können.10 Obwohl das Geistige den Menschen in Einheit mit seinem Leib und seiner Seele ausmacht, hat es das letzte Wort, „indem es seine Zustimmung erteilt oder vorenthält bei allem und jedem, wozu Leib und Seele gebraucht oder missbraucht werden“11. Die geistige oder noetische Dimension im Menschen macht ihn fähig, zu körperlichen und psychischen Gegebenheiten Stellung zu nehmen, und dadurch für die gesunde Lebenseinstellung trotz ungünstiger Lebensumstände zu optieren.12
1.5 Die Fähigkeiten des Menschen
Geprägt ist diese menschliche Existenz von der Fähigkeit der Selbsttranszendenz. Für Frankl bedeutet sie eine Transzendenz auf die menschliche Existenz hin, also die Fähigkeit des Geistes, aus sich heraustreten zu können, und zwar im Sinne einer Selbstdistanzierung. Um die Bedeutung dieses zentralen Begriffs in der Logotherapie zu erläutern, soll hier Frankl selbst zu Wort kommen: „Menschlichem Dasein geht es um viel mehr als um irgendwelche inneren Zustände; denn Menschsein weist allemal über sich selbst hinaus, auf etwas, dass nicht wieder es selbst ist, besser gesagt auf etwas oder auf jemanden, nämlich auf einen Sinn, dessen Erfüllung sich einem Menschen anbietet, oder auf einen anderen Menschen, den er liebt. In diesem Sinne lässt sich füglich sagen: ganz Mensch ist der Mensch nur im Dienst an einer Sache oder in der Liebe zu einer Person, und sich selbst verwirklicht er erst dann, wenn er sich selbst transzendiert. […] Fassen wir zusammen: Menschsein ist nicht zuständlich, sondern gegenständlich orientiert; es ist nicht an den inneren Zuständen interessiert, sondern an Gegenständen draußen in der Welt.“13
Das sinnzentrierte Menschenbild erkennt in jeder Situation eine Aufforderung an jede Person, in Freiheit und Verantwortlichkeit das Leben unter allen (auch widrigsten) Umständen zu gestalten. Gestalter kann der Mensch kraft seiner geistigen Dimension werden. Frankl bezeichnet diesen Prozess der Gestaltung als die kopernikanische Wende. Diese wandelt den frustrierten Menschen zu einem kreativen Jongleur, der seinen Blick auf die Wertemöglichkeiten richtet, die jeder Situation innewohnen und darauf warten, erfüllt zu werden.14
1.6 Die drei Säulen der Logotherapie
Logotherapie und Existenzanalyse werden von drei Säulen getragen, die Frankl folgendermaßen benennt:
(1) Die Freiheit des Willens: Als geistige Person ist der Mensch in erster Linie nicht nur ein reagierendes, sondern ein agierendes Wesen. Trotz seiner Bedingtheit ist er dazu fähig, Entscheidungen zu treffen, eigenverantwortlich zu handeln und dadurch seinen eigenen Lebensraum zu gestalten. Die Logotherapie hilft dem Menschen dabei, Freiräume im/in konkreten Leben(-ssituation) aufzuschließen, zwischen Symptom und Person zu differenzieren, und dadurch die Selbstbestimmungsfähigkeit im Menschen wieder zu finden.
(2) Der Wille zum Sinn ist ein Grundaxiom der Motivationstheorie der Logotherapie. Frankl meint, dass der Mensch nicht nur frei, sondern immer auf etwas hin frei ist. Ihn bewegt die Grundmotivation, sich in der Welt auszudrücken. Den Menschen bewegt die Suche nach einem Sinn im Leben. Kann der Wille zum Sinn – aus welchem Grund auch immer – nicht zur Geltung kommen, so muss sich der Mensch dem Gefühl der Sinn- oder Wertlosigkeit stellen. Die Andauer dieses Gefühls bedeutet dann existenzielle Frustration und kann zu diversen psychosomatischen oder neurologischen Störungen führen. Durch die Logotherapie wird der Mensch für die Wahrnehmung von Sinnmöglichkeiten sensibilisiert. Sie bietet dem konkreten Menschen nicht den Sinn an, sondern mit Hilfe der Logotherapie wird er dazu gebracht, Sinnmöglichkeiten in seinem Leben selbst zu entdecken.
(3) Sinn des Lebens: Im Sinne der Logotherapie bedeutet dies, dass das Leben nicht nur einen Sinn, sondern einen bedingungslosen Sinn hat. Dieser Sinn ist potenziell da, muss aber gesucht werden. Der Mensch ist dazu fähig, den Sinn in allen Lebenssituationen zu erkennen und zu verwirklichen. Und die Sinnmöglichkeit zeigt sich von Person zu Person unterschiedlich, aber auch im Falle derselben Person ist sie immer auch situationsbedingt. Daher arbeitet die Logotherapie nicht mit einem allgemeinen Lebenssinn, sondern sie hilft dem Menschen, seine Offenheit und Flexibilität für eine sinnvolle Gestaltung des Alltags zu bewahren und die Sinnmöglichkeiten ad situationem und ad personam immer wieder zu finden.15
1.7 Das psychiatrische Credo Frankls
An diese dargestellten konstitutiven Elemente des menschlichen Daseins – im Sinne der Logotherapie und Existenzanalyse – schließt sich das sogenannte psychiatrische Credo von Viktor E. Frankl an. Darin behauptet er, dass das Geistige im Menschen nicht erkranken kann, auch wenn es an schwersten leibseelischen Krankheiten leidet. Es kann gestört oder unsichtbar, aber niemals zerstört werden: „Die geistige Person ist störbar, aber nicht zerstörbar – durch eine psychophysische Erkrankung. Was eine Krankheit zerstören, was sie zerrütten kann, ist der psychophysische Organismus allein, das Endogene. Die Zerrüttung des Organismus bedeutet demnach nicht weniger, aber auch nicht mehr als eine Verschüttung des Zugangs zur Person – nicht mehr. СКАЧАТЬ