Der Philipperbrief des Paulus. Eve-Marie Becker
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СКАЧАТЬ ArtapanusArtapanus (2. Jh. v.Chr.) zufolge geriet auch Mose in Gefangenschaft und wurde – ähnlich wie Petrus, Paulus und Silas in Apg 12 und 16 – durch ein Türöffnungswunder befreit (nach Eusebius, P E IX,27,23-25EusebiusP EIX,27,23-25). In neutestamentlicher Zeit wird besonders über die Inhaftierung des Täufers Johannes in Mk 1,1402Mk01,14parr. sowie seinen Aufenthalt im GefängnisGefängnis (Mt 11,201Mt11,2) berichtet. In der Apostelgeschichte geraten nahezu alle Protagonisten – Petrus (Apg 12,3ff.05Apg12,3ff.), Paulus und Silas (Apg 1605Apg16,2305Apg16,23ff.05Apg16,23ff.), ja sogar „die Apostel“ als Kollektiv (Apg 5,1805Apg05,18) – in Gefangenschaft. Jesus von Nazaret hingegen wird zwar im Zusammenhang der Passionsereignisse gefangen genommen (Mk 14,43ff.02Mk14,43ff.parr.), doch berichten die Evangelien nicht über einen Gefängnisaufenthalt Jesu, sondern deuten ihn höchstens insofern an, als zwischen der Gefangennahme und den ersten Verhören einerseits sowie der Auslieferung Jesu an Pilatus andererseits mindestens eine Nacht liegen muss (vgl. Mk 15,102Mk15,1; Joh 18,2904Joh18,29).

      Während die Apostelgeschichte umfänglich über die Inhaftierungen und Gefangenschaften des Paulus erzählt, berichtet sie nichts über den briefeschreibenden Paulus. Dass Paulus – sogar während seiner Gefangenschaften – Briefe geschrieben hat, ist hingegen vor allem seinen Briefen selbst und den hierin formulierten Hinweisen auf Briefeschreiben (vgl. z.B. 2 Kor 1,1082 Kor01,12-14082 Kor01,12-14; 10,9-11) sowie späteren Reflexen auf die Paulus-Briefe (z.B. 2 Thess 2,2142 Thess02,2; 2 Petr 3,15f.202 Petr03,15f.) zu entnehmen. Indem RembrandtRembrandt van Rijn den briefeschreibenden Paulus im GefängnisGefängnis inszeniert, verknüpft er also die in der Apostelgeschichte überlieferte Erzähltradition über die Inhaftierungen des Paulus mit der überlieferten Paulus-Briefliteratur selbst. Übrigens greift Rembrandt der modernen Epistolographie-Forschung insofern vor, als er Paulus die Codex-, also die Buch-Form, die sich besonders in der römischen Literatur des 1. Jhs. n.Chr. durchzusetzen begann, und nicht Papyrus-Rollen benutzen lässt1. Freilich wird es Rembrandt bei dieser buchgeschichtlichen Anspielung in erster Linie darum gehen, den schriftstellerisch tätigen Heidenapostel in eine größere Nähe zu den vier Evangelisten, die zumeist mit Büchern abgebildet werden, rücken und damit literarisch wie theologisch aufwerten zu wollen – ein Motiv, das sich etwa auch in der berühmten Vier-Apostel-Darstellung Albrecht Dürers („Die vier Apostel Johannes, Petrus, Markus und Paulus“, 1526, Alte Pinakothek, München) finden lässt.

      Während den oben genannten paulinischen GefangenschaftsbriefenGefangenschaftsbrief(e) nicht deutlich zu entnehmen ist, um welche GefangenschaftGefangener, Gefangenschaft des Paulus es sich hier jeweils handelt, lässt RembrandtRembrandt van Rijn keinen Zweifel daran aufkommen, welche paulinische Gefangenschaft er selbst in den Blick nimmt: Das auf der linken Bildseite parallel zur Körperhaltung des Apostels platzierte Schwert sowie die gealterte Gestalt des Paulus deuten auf seinen baldigen Tod hin – Paulus befindet sich also in seiner letzten, in der römischen Gefangenschaft.

      Doch an welchem seiner Briefe könnte Paulus gerade arbeiten, als der Maler RembrandtRembrandt van Rijn ihn im GefängnisGefängnis besucht und porträtiert? Eine Verknüpfung von GefangenschaftGefangener, Gefangenschaft, Alter und Todeserwartung oder Todessehnsucht findet sich vor allem in drei Briefen, nämlich in Phil, Phlm und 2 Tim (vgl. Phil 1,7.13; 1,20f.; Phlm 918Phlm09; 2 Tim 1,8162 Tim01,8; 4,6-8162 Tim04,6-8). Rembrandt selbst hat allerdings noch nicht zwischen authentischen oder pseudepigraphenPseudepigraphie, pseudepigraph Paulus-Briefen unterschieden. Während Paulus im Phlm und im 2 Tim einige Mitstreiter oder Mitgefangene erwähnt (Phlm 2318Phlm23f.18Phlm23f.; 2 Tim 4162 Tim04,11162 Tim04,11.21162 Tim04,21), die bei ihm sind, scheint er nur im PhilipperbriefTimotheus/Timothy2 – so wie in Rembrandts Gefängnisszene – allein zu sein. Können wir also davon ausgehen, dass Rembrandt an den Philipperbrief denkt, wenn er den inhaftierten Paulus in dieser Szene allein in seiner Zelle sitzend einen Brief schreiben lässt?

      Der ernste, aber nicht hoffnungslose Gesichtsausdruck des Heidenapostels, der mit einem zögerlichen, aber entschlossenen, den Schreibfluss unterbrechenden Nachdenken verbunden ist, sowie der einfallende Lichtstreifen, der seine PersonPerson, persona und einen Teil seiner Schriften illuminiert, legen den Eindruck nahe, dass Paulus gerade dabei ist, zwischen Ernst und Freude, Angst und Zuversicht hin- und hergerissen zu sein: Paulus könnte hier gerade Phil 1,18-20 formulieren wollen:

      „Was tut’s aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, daß mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich warte und hoffe, daß ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern daß frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod.“ (Übersetzung nach: rev. Fassung der Lutherbibel 1984).

      4. RembrandtRembrandt van Rijn – der protestantische Maler

      Die Porträtmalerei gehört – kunst- und theologiegeschichtlich betrachtet – zu den wichtigsten Bildgattungen, die im Europa der nachreformatorischen Zeit, so auch im Holland des 17. Jhs., „in einer protestantischen Umgebung weiterbestehen konnte“Gombrich, Ernst H.1. RembrandtRembrandt van Rijn gibt sich darin, dass er die Porträtmalerei zur Interpretation biblischer Themen und Motive wählt, so gesehen als selbständiger und selbstbewusster protestantischer Maler zu erkennen. Denn ein Gemälde wie „Der Apostel Paulus im GefängnisGefängnis“ ist keineswegs als reine Bibelillustration zu verstehen, sondern bietet eine eigenständige, wohl protestantisch gefärbte Deutung der PersonPerson, persona und der Theologie des Paulus: Rembrandt rückt den briefeschreibenden Paulus in schriftstellerische Nähe zu den Evangelisten und wertet damit seine Briefe literarisch und theologisch auf. Zudem gelingt es Rembrandt durch die Wahl der Porträtform, die Gefangenschafssituation des sog. Heidenapostels so zu deuten, dass sie über dessen autobiographische Hinweise und über die in der Apostelgeschichte entworfenen Erzählungen hinausgeht und uns gleichsam introspektiv Einblick in die ‚Person des Paulus‘ als der entscheidenden Konstante seines Lebens und Wirkens gewährt.Person, persona2

      Der bedeutende Kunsthistoriker Ernst H. GombrichGombrich, Ernst H. hat den Zusammenhang zwischen RembrandtsRembrandt van Rijn Menschenkenntnis und seinem starken Interesse an biblischen Themen und deren Deutung einmal wie folgt formuliert:

      „Betrachten wir … RembrandtsRembrandt van Rijn große Porträts, stehen wir Menschen in aller Unmittelbarkeit gegenüber, so wie sie das Schicksal gezeichnet hat. Sein ruhiges Malerauge blickt geradewegs in die Tiefen der menschlichen Seele. Ich weiß, daß das sentimental klingt, aber ich kenne keinen anderen Ausdruck, um Rembrandts geradezu unheimliches Wissen um menschliches Empfinden und Verhalten zu kennzeichnen … Dank dieser Gabe sind Rembrandts Illustrationen zur biblischen Geschichte so grundverschieden von allem, was vorangegangen ist. Als frommer Protestant muß er die Bibel immer wieder gelesen haben. Er versenkte sich in den Geist dieser Geschichten und versuchte, sich genau auszumalen, wie sie sich abgespielt haben mochten und wie sich Menschen in einer solchen Situation bewegen und benehmen würden“Gombrich, Ernst H.3.

      So ist RembrandtsRembrandt van Rijn Gemälde „Der Apostel Paulus im GefängnisGefängnis“ letztlich nicht nur eine Momentaufnahme aus dem Leben und Wirken des Paulus, sondern bietet eine theologisch eigenständige Analyse der PersonPerson, persona des Paulus.

      Wenn einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jhs., der Neutestamentler Rudolf BultmannBultmann, Rudolf (1884-1976), schon in seinen Berliner Studiensemestern (1904/1905) besonders die Malerei RembrandtsRembrandt van Rijn zu schätzen lernt, weil sie seiner Meinung nach eine eindringliche Analyse der menschlichen Realität bietetBultmann, Rudolf4, so erweist sich hier, wie eng Rembrandts Kunst auch wirkungsgeschichtlich mit der protestantischen Theologie und Kultur, ja der neutestamentlichen Exegese, bis ins 20. Jh. und darüber hinaus verbunden bleibt.

      Bibliographie

      D. Apostolos-Cappadona, „RembrandtRembrandt van Rijn“, in: RGG4 СКАЧАТЬ