Название: Zur Professionalität der Professionalisierenden
Автор: David Gerlach
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
isbn: 9783823302025
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2.1.2 Kompetenztheoretischer Bestimmungsansatz
Kompetenztheoretische Ansätze beziehen sich in der Regel auf die ursprüngliche Definition von Weinert, welche auch im Rahmen der Kompetenzorientierung in Schulen nach PISA verbreitet die Grundlage für didaktisch-methodische Überlegungen und Standardentwicklung geboten hatte. Nach Weinert (2001b) versteht man unter Kompetenzen die
bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (ebd.: 27f.).
Folglich liegt in einer Kompetenzorientierung nach Weinert der Fokus auf dem Lösen eines Problems bzw. einer Problemstellung, welche/s spontan im Handeln auftritt, bewusst in einem Lehr-/Lernprozess aufgeworfen wird und dann für diesen Prozess genutzt werden kann. Die Kompetenzen zum Lösen dieser Problemstellungen werden jedoch grundsätzlich als erlern- bzw. vermittelbar herausgestellt.
Die oben bereits aufgeführte Kritik Baumert und Kunters (2006) am strukturtheoretischen Ansatz hat deren Sichtweise bereits in Grundzügen insofern verdeutlicht, als dass sie die Unplanbarkeit und Antinomien des Lehrer*innenhandelns als solche nicht als zentral sehen, sondern erlern- und ausbaubare Kompetenzbereiche definieren in Anlehnung an die Arbeiten zum professionellen Wissen von Shulman (1986, s.u.) und Bromme (1992) sowie zur Kompetenzdiagnostik in Schule, wie sie Weinert (2001b) geprägt hat, um letztlich das Lehrerhandeln kompetenztheoretisch zu bestimmen (vgl. auch Helmke 2015). Letzteres ist dann erfolgreich, wenn „es Lehrkräften gelingt, Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern zu initiieren und zu unterstützen, sodass die schulischen Lernziele erreicht werden“ (Baumert/Kunter 2011: 30). Baumert und Kunter räumen zwar ein, dass das Lehrerhandeln tendenziell unsicher und nicht standardisierbar ist,
[daraus] folgt jedoch weder, dass die persönlichen Voraussetzungen, die notwendig sind, um in dieser Situation erfolgreich zu handeln, nicht beschrieben werden könnten, noch, dass diese Voraussetzungen grundsätzlich nicht erlernbar oder vermittelbar seien. (ebd.)
Hierdurch wird im kompetenztheoretischen Bestimmungsansatz vornehmlich Wert auf „die empirische Erforschbarkeit des komplexen unterrichtlichen Geschehens“ (Terhart 2011: 207) gelegt, professionelles Handeln wird mitsamt seiner Fundamente in Wissen und Kompetenzen für Lehrerinnen und Lehrer im Großen und Ganzen erlernbar. Mit in das kompetenztheoretische Feld – von einem weiten Kompetenzbegriff ausgehend – einbezogen werden daher auch Expertiseansätze, die vor allem die pädagogisch-psychologische Forschung zu Lehrkräften seit den 80er Jahren prägen, häufig in der Diskussion um Lehrerprofessionalitätsansätze aber separat betrachtet werden. Zentral innerhalb des Expertiseansatzes ist der Fokus auf Wissensbestände und Routinen, die sich über den Ausbildungs- und Tätigkeitsverlauf vom Novizen hin zum Experten über mehrere Stufen entwickeln (vgl. z.B. Bromme 1992, Berliner 1988). Rekurrierend auf verschiedene Kompetenzdefinitionen und Wissensforschung innerhalb des Novizen-Experten-Paradigmas wird dem folgend im Rahmen der einflussreichen COACTIV-Studie die professionelle Kompetenz für Mathematiklehrkräfte modelliert: Professionelle Kompetenz besteht in COACTIV aus den vier Bereichen „Überzeugungen/Werthaltungen/Ziele“, „Motivationale Orientierungen“, „Selbstregulation“ sowie Professionswissen (s. Abbildung 2; vgl. Baumert/Kunter 2006, 2011). Letzteres übernimmt in seiner Untergliederung die Wissensdomänen von Shulman (1986) als Kompetenzbereiche und ergänzt diese um das Organisationswissen sowie das Beratungswissen, jene werden in der Übersicht jedoch zunächst nicht weiter aufgeschlüsselt.
Modell professioneller Handlungskompetenz – Professionswissen (Baumert/Kunter 2006: 482).
Die Diskussion um pädagogisches Wissen und Wissensdomänen maßgeblich beeinflusst haben zwei Jahrzehnte zuvor die Arbeiten von Shulman (1986, 1987). Er arbeitet heraus, dass noch im 19. Jahrhundert das Handeln und die Qualifikation von Lehrkräften maßgeblich durch ihr Inhaltswissen („knowledge of content“; Shulman 1986: 7) geprägt war, während zur Zeit seiner Beiträge in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts primär Fragen des Classroom managements im Fokus von Praxis und Forschung geraten waren. Dadurch sei in den Hintergrund gerückt, woher das Wissen der Lehrkräfte stamme und wie sie ihr unterrichtliches Handeln mit Fachwissen begründen oder auch in welchem Verhältnis es zu allgemein-pädagogischem Wissen steht. 1987 führte er die folgenden Wissensbereiche als essentiell für das Lehrerhandeln auf (vgl. Shulman 1987: 8):
Fachwissen (content knowledge),
allgemein-pädagogisches Wissen (general pedagogical knowledge),
curriculares Wissen (curriculum knowledge),
fachdidaktisches Wissen (pedagogical content knowledge),
Wissen über Lernende und ihre Eigenschaften (knowledge of learners and their characteristics),
Wissen über pädagogische Kontexte (knowledge of educational contexts),
Wissen über pädagogische Ziele und Werte (knowledge of educational ends, purposes, and values, and their philosophical and historical grounds).
Um die Bedeutung der Verknüpfung zwischen Fach- und fachdidaktischem Wissen wiederherzustellen, gestand Shulman in seiner Konzeption einer pädagogischen Wissensbasis dem fachdidaktischen Wissen einen großen Raum ein. Er prägte damit die Idee des Pedagogical content knowledge. Dieses Wissen beinhaltet für Shulman dementsprechend nicht nur die bedeutendsten fachwissenschaftlichen Konzepte eines Unterrichtsfaches, sondern auch umfängliches Wissen über dessen methodisch-didaktische Zugänge, zugeschnitten und möglichst variabel einsetzbar für verschiedene Zielgruppen von Lernenden (d.h. verschiedene Altersstufen, Vorkenntnisse, Ziele).1 Grob strukturiert wird dieses Wissen durch curriculares Wissen, welches durch Vorgaben bestimmte Inhalte und Themen vorgibt, wodurch wiederum den Lehrkräften diverse Materialien zur Verfügung stehen, welche sie möglichst flexibel, begründet über ihr fachdidaktisches Wissen, einsetzen (vgl. Shulman 1986, 1987).
Als eine der Wissensgrundlagen in der universitären Lehrerbildung dient primär (erziehungs-)wissenschaftliches Wissen, welches jedoch nicht direkt auf die Praxis übertragen werden kann (vgl. Radtke 1996, Neuweg 2004/2014). Hierdurch wird das vielzitierte Theorie-Praxis-Problem häufig von Seiten der Lehramtsstudierenden aufgeworfen, da ein Anwendungsbezug im Sinne eines reflektierenden Transformierens von Wissen nicht erfolgt.
Bezüglich der innerhalb von Lehrerbildung gültigen, vermittelten, oder besser: putativ vermittelbaren, Wissensstrukturen wird demnach hinterfragt, welche Wissensbestände tatsächlich für die Praxis wirksam sein können. Im Gesamtzusammenhang von Wissensforschung und wissenssoziologischen Ansätzen, die dann das Wissen von Lehrkräften (und die Umsetzung dessen in praktischem Handeln) untersuchen, wird gerade dann die Bedeutung impliziten Wissens wiederholt herausgestellt, da wissenssoziologisch davon ausgegangen wird, dass gerade implizites Wissen als handlungsleitend gilt (vgl. Mannheim 1964, Bohnsack 2017). Auch im Anschluss an Polany (2016) betont Neuweg (2004, 2014) wiederholt, dass Professionelle auf impliziter Ebene mehr wissen, ebenfalls СКАЧАТЬ