Kreaturen des Todes - 2. Band. Walter Brendel
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Название: Kreaturen des Todes - 2. Band

Автор: Walter Brendel

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783966511513

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СКАЧАТЬ offen kokettierte und klarstellte: Ich bin nicht für jedermann zu haben.

      Schon der Teenager Rosemarie versuchte, seine ärmliche, erbärmliche Herkunft zu überspielen. In einer der wenigen stabilen Phasen ihrer Jugend entstand eine Foto, auf der sie in einem figurbetonten Kostüm, mit Schirm und breitkrempigem Hut als Requisiten die Grande Dame mimt. Anfangs steckte Nitribitt jeden Pfennig in ihre Inszenierung als mondäne Mätresse. Wenig Geld gab sie für Essen aus. Im Magen hatte sie auch an ihrem Todestag nur ein wenig Reis.

      Stundenlang blockierte sie das Gemeinschaftsbad ihrer Pension am Stadtrand und ging anschließend in hochgeschlitzten Kleidern, glänzenden Nylons, hochhackigen Schuhen und Pudel Joe auf dem Arm auf Frankfurts Prachtboulevard im Bahnhofsviertel schaulaufen.

      Im Telefonbuch stand die 1 Meter 60 kleine Prostituierte als «Mannequin» zwischen einer Textilien- und Lederbekleidung und zwei Ärzten. Nitribitts Täuschung war zuletzt so vollendet, dass sie sich der Maklerfirma «Dröll und Scheuermann», die über jeden neuen Mieter umfassende Erkundigungen einholte, als selbständiges Mannequin mit einem Monatseinkommen von 800 DM «einwandfrei» verkaufte.

      Im September 1955 zog Nitribitt, die längst mehr als 4000 DM im Monat einnahm, in die Stiftstrasse 36. Apartment Nr. 41, 4. Stock. Zwei Zimmer, Küche, Bad, 75 Quadratmeter, Parkettboden und Fußbodenheizung. Wer an der Türsprechanlage ihren Codenamen «Rebecca» nannte, dem drückte sie die Tür auf.

      Ihr größter Coup aber war ihr Auto. Bevor es ihr Markenzeichen wurde, bedeutete das Auto für Nitribitt die ultimative Freiheit. Darin entkam sie dem Rotlichtmilieu, machte sich unabhängig von einem Zuhälter. Nitribitt stand nicht am Bordstein und wartete auf vorbeifahrende Freier. Das «Rehlein», so einer ihrer Kosenamen, ging selbst auf die Jagd.

      Im Opel gabelte Nitribitt 1953 Ernst Wilhelm Sachs auf, den 24-jährigen Erben der Präzisionskugellager-Werke Fichtel & Sachs. Das schicke Gefährt sprach mehr und hochkarätigere Kunden an, das Prinzip verstand sie. Am 18. Mai 1956 registrierte die Kfz-Zulassung Frankfurt ein schwarzes Mercedes Cabrio 190 SL unter dem Kennzeichen H 70 6425. Rote Echtledersitze, Radio und Weisswandreifen. Rosemarie hatte die 17 700 DM dafür bar hingeblättert. Chefärzte fuhren damals VW Käfer.

      Trotz seiner sportlichen Erscheinung brachte es der kleine Roadster gerade mal auf 170 km/h, aber Nitribitt schaltete meistens ohnehin nur in den ersten oder zweiten Gang. Zur Kundenakquise fuhr sie langsam um den noblen «Frankfurter Hof» herum oder an anderen Luxusschlitten vorbei. Deutsche Industrielle und ausländische Geschäftsleute passte sie am Flughafen Frankfurt ab. Bei schönem Wetter mit offenem Verdeck, oft mit einer dunklen Brille, manchmal mit Lichthupe.

Tatverdächtige Heinz Pohlmann bei einem polizeilichen Ortstermin. (Frankfurt, 4. Juli 1960)

      Tatverdächtige Heinz Pohlmann bei einem polizeilichen Ortstermin. (Frankfurt/Main, 4. Juli 1960)

      In nur anderthalb Jahren legte die tüchtige Nitribitt aber auch im Schritttempo 42 000 km zurück. Innerhalb von nur vier Jahren etablierte sie sich als erste Edelprostituierte der Nachkriegszeit. Sie verkaufte sich geschickt - dem millionenschweren 24-jährigen Mathematikstudenten Gunter Sachs verrechnete sie die ersten beiden Treffen inklusive Dreier und «Mundverkehr» nicht, was ihm schmeichelte (ihre Freundin Irene verlangte 50 DM). Bald war sie so bekannt, dass eine echte Frankfurter Dame des konsularischen Corps von Männern belästigt wurde, weil sie dasselbe Mercedes-Modell in der gleichen Farbe fuhr.

      Eine Prostituierte, die in aller Öffentlichkeit ihre Freier suchte, war eine beispiellose Provokation. Mit dem Gesetz wollte Nitribitt aber nicht mehr in Konflikt geraten. Der berüchtigte Kuppeleiparagraph verbot bis 1969 selbst Eltern noch bei Strafe, unverheiratete Paare im selben Zimmer schlafen zu lassen. Ihr damals hypermodernes, mit weißen Marmorplatten verkleidetes Mietshaus am Eschenheimer Turm schien Nitribitt der ideale unscheinbare Ort für ihr Gewerbe. Es war kein schmutziges Stundenhotel, nein: Rosemarie empfing ihre Kunden im bürgerlichen, fast spießigen Ambiente, das sie «Ernstl» Sachs’ Wohnung abgeschaut hatte.

      Rosemarie Nitribitt war weder rasend schön noch klug. Diese kindliche blonde Person, deren Leibspeise Milchreis war, strahlte eine finstere Lebensweisheit aus. Sie war die Frau, die außer Geld keine Ansprüche stellte und für Geld Phantasien erfüllte. Sie sah Schwulen gerne beim Sex zu, liebte lesbisch und schlug auch «mit dem Rohrstock bis zur geschlechtlichen Befriedigung» zu. Andere Männer erinnerten sich an eine zärtliche Geliebte. Manche kauften sich Zeit, wollten Nähe und nur reden; sie selbst musste dabei kaum etwas sagen. Vom Rand der Gesellschaft aus entlarvte Nitribitt Doppelmoral und schlug daraus mächtig Kapital.

      Eines Samstagabends tauchte Rosemarie Nitribitt im November 1956 im drei Stunden entfernten Bad Homburg auf dem feudalen Anwesen der milliardenschwere Industriellenfamilie Quandt auf. Sie trug ein hautenges Cocktailkleid, stellte sich dem 35 Jahre alte Harald Quandt auf der Geburtstagsparty von dessen 28-jähriger Frau als Rebecca Wolf vor, nippte am Sekt und ging wieder. «Im April oder Mai 1957» kam Quandt eines Abends «auf die Idee [...], die Nitribitt aufzusuchen», sagte er später aus. Nitribitt servierte eine Flasche Sekt, dann redeten sie ungelenk über «ein lustiges Buch», Quandt gab ihr 150 DM, sie zogen sich nackt aus und hatten «ein sexuelles Erlebnis».

      In kürzester Zeit hatte sich die Frau, die große Mühe hatte, ihren eigenen Namen zu schreiben, einen Namen gemacht. «Die Nitribitt» sprach sich herum, in einem erstaunlich großen Einzugsgebiet zu den klangvollsten Namen.

      Zu ihrer Laufkundschaft zählten bald Chefredakteure und Filmemacher, der Rennfahrer Fritz Huschke von Hanstein, Jazzmusiker Joe Zawinul, Prinzen, Fürsten, Barone. Auch Bundeskanzler Ludwig Erhard, Kurt-Georg Kiesinger und ein Bruder des Bundespräsidenten Gustav Heinemann sollen sich an «Rebecca» erfreut haben; angeblich besaß der US-Geheimdienst Fotos von Bonner Politikern auf Nitribitts Bettkante.

      Harald Quandt nannte Nitribitt ihren «Harald den Ersten». «Harald der Zweite» schien Nitribitts bester Fang. Harald Georg Wilhelm von Bohlen und Halbach, Sohn der Stahlbaronin Bertha Krupp, war Junggeselle und laut Boulevard der «reichste Mann Deutschlands». Nitribitt sprach den 41-Jährigen im März 1957 «in der Nähe des Frankfurter Hofes» aus ihrem Cabrio heraus an. Nach einer kurzen Spritztour durch die Stadt hatten sie laut seiner späteren Aussage «G. V.», also Sex. 200 DM gab er ihr danach.

      Die Nitribitt sei ihm einfach «sympathisch» gewesen, sagte von Bohlen und Halbach später. Die Anlagen des Vernehmungsprotokolls der «Spur 32» beweisen: «Harald der Zweite» war verliebt. Bei den «Korrespondenzunterlagen» handelt es sich um 19 stark romantisierte Liebesbriefe und Gedichte. Er schickte Blumen und Küsse und eine Christophorus-Plakette für ihr Mercedes-Cabrio, die sie erinnern sollte, vorsichtig zu fahren «und nicht so ganz plötzlich in die Kurve» zu gehen oder gar «frech» zu überholen. Er schrieb seiner «Sehnsucht» Postkarten mit Bergmotiven aus St. Moritz, aus Tirol, aus dem «Ritz Carlton» in Montreal, rief sie vom Apparat seiner Mutter Bertha aus an, oder besuchte sie in ihrer Wohnung.

      Auf einem Foto sitzt er auf ihrem Chippendalesessel. «Seiner Seele Seligkeit» wollte von Bohlen und Halbach für eine Nacht auf ihren «mondscheinblassen» Brüsten dahingeben. Er schenkte Rosemarie Schmuck, Perlenohrringe, eine «Pferdegruppe aus Porzellan», einen Werkzeugkasten und einen Tirolerhut. Bald besass sie einen Schmuckkoffer aus Leder, Schweizer Uhren, Wein aus der Kruppschen Hauskellerei.

      Aber was sie wirklich wollte, bekam sie nicht. Das Leben verläuft nicht nach «Pretty Woman»-Drehbuch. Nitribitts Spitzname «Gräfin Mariza» ließ sie in der Hierarchie unter ihresgleichen aufsteigen - aber die deutschen Familiendynastien waren moralische Instanzen. Und Nitribitt war keine, die man heiratet.

      Sein «Fohlen», dem er «1000 Zuckerstücke ins Maul stecken» wollte, musste er auf СКАЧАТЬ